Gutachten sieht große Hindernisse für Web-Blockaden und Netzsperren
Die Sperrung kinderpornographischer Webseiten darf nur auf gesetzlicher Basis als letztes Mittel angeordnet werden, geht aus einem Rechtsgutachten des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) hervor.
Das Grundgesetz erlaubt die Blockade von Webseiten und das Kappen von Internetanschlüssen nicht oder nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen. Zu dieser Erkenntnis kommt ein Rechtsgutachten zum "Haftungsregime für Host- und Access-Provider im Bereich der Telemedien", das der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) am heutigen Dienstag in Berlin vorgestellt hat. Demnach könnte etwa die von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gewünschte Sperrung kinderpornographischer Angebote nur auf gesetzlicher Basis als letztes Mittel angeordnet werden. Schon aufgrund des Telekommunikationsgeheimnisses könnten gegenwärtig Zugangsanbieter nicht dem Bestreben der CDU-Politikerin nachkommen.
Sperrungen im Sinne einer vollständigen Verhinderung der Erreichbarkeit eines rechtswidrigen Inhalts im Internet sind nach Auffassung des BVDW aufgrund der dezentralen Strukturen des Internet nicht möglich, allenfalls Zugangsbeschränkungen, "die sich jedoch mit einfachsten Mitteln jederzeit umgehen lassen und zudem teils zu erheblichen Kollateralschäden führen können".
Würde eine technische Blockade etwa auf Basis von IP-Adressen kompletter Server zur Beeinträchtigung zahlreicher legaler Inhalte führen, sei die "Sperrung" eines konkreten Inhalts nicht möglich. Eine solche Lösung dürfe nur eingesetzt werden, wenn Informationen isoliert zu sperren wären. Auch müsse die Blockade stets auf den vorhandenen technischen Realitäten aufsetzen, vor allem auf der bestehenden (Netz-)Infrastruktur. Zur Umsetzung einer Sperrungsverfügung dürfe Providern nicht zugemutet werden, Hard- und Softwarekomponenten zu erwerben, Personal einzustellen und oder die eigene Netztopologie zu ändern.
Weiter seien die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit gemäß Artikel 5 Grundgesetz zu berücksichtigen. Zugangsanbietern sei es laut Telekommunikationsgesetz auch untersagt, Inhalte und Umstände der Telekommunikation für Zwecke der Sperrung zu verwenden. Zugangsbeschränkungen zu rechtswidrigen Informationen durch Manipulationen im Zusammenhang etwa mit IP-Adressen, Domain-Namen, Portnummern oder URLs seien folglich als unzulässige Eingriffe in das Telekommunikationsgeheimnis aufzufassen.
Sollten zu sperrende Seiten im Inland zum Abruf bereit gehalten werden, dürften Access-Provider generell nicht beansprucht werden, heißt es weiter in der Studie. Hier könnten Content- und Host-Provider direkt zur Gefahrenabwehr herangezogen werden. Auch bei Sachverhalten, die EU-Mitgliedstaaten betreffen, müssten Zugangsanbieter im Einklang mit EU-Richtlinin größtenteils außen vor gehalten werden. Zu vergleichbaren Ergebnissen kam zuvor bereits eine im Auftrag der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) erstellte Beurteilung der Rechtslage.
Das System der Haftungsfreistellungen und abgestuften Verantwortlichkeiten für Provider aus dem Telemediengesetz (TMG) gelte auch im Bereich des Jugendmedienschutzes. Der Gesetzgeber habe etwa den Ausschluss von Überwachungs- und Nachforschungspflichten auch für diesen Sektor festschreiben wollen. Die zuständige Landesmediananstalt müsste sich daher zunächst an die Content-Provider halten, bevor sie sich an die Host-Provider oder Zugangsanbieter wende. Zeitnahe, im Bundestag noch skeptisch beäugte Nachbesserungen am TMG halten die Autoren der Studie im Zivilrecht für nötig, da die derzeitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu erheblichen Unsicherheiten für Provider führe.
Eine klare Absage erteilt das Gutachten auch Forderungen zur Einführung der Sperrung kompletter Internetanschlüsse, wie sie derzeit vor allem in Frankreich im Rahmen einer "abgestuften Erwiderung" auf Urheberrechtsverletzungen im Internet diskutiert werden. Bei Verletzungen geistiger Eigentumsrechte in der Sphäre des weltweiten Internets dürften Zugangsprovider nicht beansprucht werden, es seien allenfalls allgemeine Informations- und Aufklärungspflichten gegenüber den Kunden denkbar. Für weitere Maßnahmen fehle hierzulande ein gesetzlich geregelter Rahmen, der sicherstelle, "dass alle betroffenen Grundrechtspositionen zu einem interessengerechten Ausgleich gebracht und die rechtsstaatlichen Standards des Grundgesetzes beachtet werden". (Stefan Krempl) / (anw)