Internet und Terrorbekämpfung: Von Cyber-9/11 und i-Patriot Act

Vielen Verfechtern der Bürgerrechte und der verbliebenen Freiräume im Internet laufen derzeit kalte Schauer über den Rücken: Angeblich liegt das Pendant zur Anti-Terrorgesetzgebung fürs weltweite Netz schon in den Schubläden der Gesetzgeber.

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Vielen Verfechtern der Bürgerrechte und der verbliebenen Freiräume im Internet laufen derzeit trotz der heißen Temperaturen kalte Schauer über den Rücken. Auslöser der sich vor allem über Blogs verbreitenden Schockwellen ist die Saga, dass das Pendant zur US-amerikanischen Anti-Terrorgesetzgebung, dem heftig umstrittenen Patriot Act mit seinen weiten Überwachungsbefugnissen für Sicherheitsbehörden, angeblich fürs weltweite Netz schon in den Schubläden der Gesetzgeber liegt. Dies berichtete zumindest Lawrence Lessig, Rechtsprofessor an der Stanford University und Gründer des alternativen Copyrights-Projekts "Creative Commons", Ende Juli auf der Konferenz "Brainstorm: Tech" des US-Magazins Fortune in Kalifornien. Als Zeugen führte er niemand Geringeres an als Richard Clarke, den langjährigen Terrorabwehrstrategen der US-Regierung.

Laut einer Videoaufzeichnung des entsprechenden Panels erinnerte sich Lessig an ein Dinnergespräch mit dem Cybersecurity-Experten. Dabei habe er sich darüber gewundert, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 derart rasch ein derart umfangreiches Anti-Terrorgesetz mit "wahnwitzigen" Eingriffen in die Bürgerrechte auf dem Tisch gelegen und 20 Tage nach den Anschlägen bereits vom US-Kongress behandelt und in Folge rasch verabschiedet werden konnte. Ein Vertreter des US-Justizministeriums habe auch bereits eingeräumt, dass die Pläne für das Überwachungsgesetz bereits seit 20 Jahren in den Schreibtischen der Exekutive geschlummert und seine Drahtzieher nur auf das blutige Ereignis gewartet hätten, um sie hervorzuholen.

Genauso offen zeigte sich nach den Worten Lessigs auch Clarke auf die Frage des Juristen, ob denn ein Äquivalent für den Cyberspace in Form eines "i-Patriot Act" ebenfalls bereits bereitliege und nach einer Initialzündung wie einem Internet-GAU dem geschockten Gesetzgeber präsentiert werde. "Natürlich" sei dem so, soll der den US-Geheimdiensten seit Jahren nahe stehende Clarke erwidert haben. "Und Vint Cerf wird ihn nicht mögen", erwiderte unter Anspielung auf den häufig als einen der "Väter des Internet" titulierten Mitentwickler von TCP/IP. Für Lessig ist damit klar, dass auch das Internet bald seinen 11. September erleben werde. Das müsse nicht unbedingt ein Al-Quaida-Anschlag sein. Er gehe vielmehr von einem Ereignis aus, welches die Instabilität oder Unsicherheit des weltweiten Kommunikationsnetzes sichtbar mache und Regierungen zum Eingreifen inspiriere. Ein solcher Zwischenfall werde als Vorwand dienen, fürchtet der Cyberrechtler, "um die Funktionsweise des Internet radikal zu verändern".

In fast  jedem  Blog dies- und jenseits des Atlantiks, das sich auch nur im Entferntesten der Netzpolitk verschrieben hat, verbreitet sich nun die Kunde über das bevorstehende Ende des Internet, wie wir es kennen. Das belegt zunächst die These, dass Verschwörungstheorien ein gefundenes Fressen für die Netzbevölkerung sind.

Vergessen wird meist nur, dass der Patriot Act bereits jetzt gemäß der Losung "Provide Appropriate Tools Required to Intercept and Obstruct Terrorism" der Bundesbehörde FBI und Geheimdiensten weite Möglichkeiten an die Hand gibt, bei Internetprovidern, Telefongesellschaften oder öffentliche Bibliotheken Nutzungsdaten von US-amerikanischen Bürgern einzuholen. Erst aufgrund gerichtlicher Nachbesserungen sind die Klauseln gefallen, dass die Schnüffelei auch ohne richterliche Kontrolle und ohne Mitteilung an die Betroffenen erfolgen durfte. Anfang Juli verabschiedete der US-Kongress zudem die lange umkämpfte Novelle des Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), der den US-Sicherheitsbehörden die Befugnis zum Abhören der internationalen Telekommunikation nebst E-Mail einräumt und den Hilfssheriffs aus der Wirtschaft Straffreiheit einräumt.

Auch hierzulande ist das Abhören von E-Mail durch die Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) seit Jahren zulässig, die verdachtsunabhängig Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten seit Januar in Kraft und eine bundesweite Lizenz für heimliche Online-Durchsuchungen in der Mache. Von einem wenig regulierten oder gar zensurfreien Cyberspace kann seit Langem nicht mehr die Rede sein. Zugleich gehen die Wunschlisten der Innenminister auch ohne "Cyber-9/11" immer weiter. Es ist auch kein Geheimnis, dass Sicherheitsbehörden verbliebene Möglichkeiten zum anonymen Surfen oder zum Einsatz von Verschlüsselungssoftware ein Dorn im Auge sind. Internationale Anstrengungen zur Erhöhung der Computersicherheit und des Schutzes kritischer Infrastrukturen findet man dagegen kaum, während das Pentagon seit Jahren für den offensiven Cyberkrieg rüstet.

Zu den Auseinandersetzungen um die Terrorismus-Bekämpfung, die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)