Spiegel der Zeitgeschichte: Die Freie Universität Berlin wird 60

Deutsche Teilung, Studentenunruhen, Massenuni und zuletzt Sieger im Elitewettbewerb - kaum eine deutsche Hochschule ist ein so perfekter Spiegel der jüngeren Zeit- und Bildungsgeschichte wie die Freie Universität (FU) Berlin.

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  • Ulrike von Leszczynski
  • dpa

Deutsche Teilung, Studentenunruhen, Massenuni und zuletzt Sieger im Elitewettbewerb – kaum eine deutsche Hochschule ist ein so perfekter Spiegel der jüngeren Zeit- und Bildungsgeschichte wie die Freie Universität (FU) Berlin. Am 4. Dezember wird sie 60 Jahre alt. Ihr Name erinnert noch immer an ihre Gründung im Kalten Krieg, als Studenten die Hochschule aus Protest gegen die Repressionen der späteren Ostberliner Humboldt-Universität ins Leben riefen. Heute zählt die FU nach einem zweiten Anlauf zu den Elite-Universitäten Deutschlands. Das hat ihr Selbstbewusstsein gegeben und auch eine neue Aufmüpfigkeit gegenüber ihrem Hauptgeldgeber, dem Land Berlin.

Gesine Schwan, Hans Eichel, Edzard Reuter oder Elke Heidenreich, die Liste der prominenten ehemaligen FU-Studenten aus Politik, Wirtschaft und Kultur ist lang. Alte Passfotos lassen heutige Hochschüler schmunzeln: Schwan, Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, liebte schon vor 45 Jahren ausgefallende Hochsteckfrisuren, und bei Hans Eichel saß der Scheitel bereits im Studium perfekt. Der Stolz auf die Universität, die mitten in der Berlin-Blockade im Dezember 1948 in einem Kino eröffnet wurde, sitzt bei älteren Semestern tief.

Zum Jubiläum präsentierte die Hochschule einen Brief aus dem Jahr 1951. Darin versicherte der damalige Regierende Bürgermeister Ernst Reuter (SPD), dass es im Falle einer Wiedervereinigung Berlins nur eine Uni geben werde – und zwar die Freie Universität. Bis heute sieht sich die Hochschule im Villenvorort Dahlem als Nachfolgerin der führenden Berliner Bildungsinstitutionen aus der Vorkriegszeit inklusive der Humboldtschen Bildungsideale. Das wirkt wie eine kühne Strategie gegenüber der Konkurrentin Humboldt-Universität, die 2010 ihren 200. Geburtstag feiert – jedoch eine gebrochene, wenig rühmliche Geschichte in zwei Diktaturen hat.

Eitel Sonnenschein herrscht an der FU zum runden Jubiläum nicht auf allen Ebenen. Der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) bescheinigte der Uni jüngst, eine "durch massiven Leistungsdruck selektierende Hochschule" zu sein. Uni-Präsident Dieter Lenzen formuliert das erwartungsgemäß anders. "Die FU sehe ich in der Mitte der ersten Forschungsuniversitäten Deutschlands", sagt er. In den Geisteswissenschaften gehöre sie zur Spitze Europas. Die Idee des Berliner Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD), eine Art Berliner "Superuniversität" als Exzellenz-Dach über die drei großen Berliner Hochschulen zu bauen, gefiel Lenzen wenig. Er hatte Sorge, dass das Label FU darunter verblassen könnte. Die Idee schrumpfte schließlich zu einer Stiftung für Spitzenforschung zusammen.

Lenzen weiß, wo er mit der FU hin will: in die Liga der 50 bis 100 besten Universitäten weltweit. Ein großes Problem dabei ist das Geld. Das Land Berlin ist hoch verschuldet. Die heftigen Streich-Orgien in Uni-Haushalten scheinen zwar vorbei zu sein. Doch die Hochschulen werden auf dem heutigen Förderungsniveau niemals an ein Harvard-Budget herankommen. Mit rund 30.000 Studenten ist die FU heute die größte Berliner Universität. Studierende klagen in manchen Fächern über überfüllte Hörsäle. Es sind die Nachwirkungen der Massenuniversität, zu der die FU in den 70er-Jahren ausgebaut wurde – und fast in der Bildungsbeliebigkeit verschwand.

Das war einmal ganz anders. 1968 fürchtete so mancher Beobachter, dass von der FU eine deutsche Revolution losbrechen könnte. Studenten protestierten gegen den Schah-Besuch oder den Vietnamkrieg, es gab Straßenschlachten. Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg, der 1967 bei einer Demonstration von einem Polizisten erschossen wurde, hat die westdeutsche Studentenbewegung radikalisiert. Zu ihrem Wortführer wurde FU-Student Rudi Dutschke. Im April 1968 schoss ein Attentäter auf ihn, an den Folgen starb er 11 Jahre später. Das Otto-Suhr-Institut der FU galt lange Zeit als eine Art "Think Tank" der revolutionären Studenten. Die FU war in diesen Jahren Teil einer politische Bewegung, die die Welt verändern wollte.

Die heutigen Probleme sind andere. Wie kann eine Uni den Spagat schaffen, mit knappen Mitteln in Breite und Spitze gut zu sein? Die FU versucht, sich ihre Studenten so weit wie möglich auszuwählen. Mit den Geldern aus der Exzellenzinitiative hat sie neue Schwerpunkte gesetzt. Einnahmen will sie neben eingeworbenen Drittmitteln auch aus kostenpflichtigen Weiterbildungsangeboten für Berufstätige erzielen. Mit der neuen Philologischen Bibliothek in der Form eines Gehirns gab sich die Hochschule auch architektonisch ein modernes Gesicht. Die Zeiten, in denen Uni-Bauten "Rostlaube" getauft wurden, sind vorbei. (Ulrike von Leszczynski, dpa) / (jk)