Studie: Sperrverfügungen nach geltendem Recht meist unzulässig
Juristen und Informatiker kommen in ihrer Analyse zu dem Schluss, das weiterführende Sperrmaßnahmen schnell in Konflikt mit dem Fernmeldegeheimnis geraten können und rät zu klaren gesetzlichen Neuregelungen.
Sperrungen von Internetseiten, die auf der Analyse von IP-Adressen, Port-Nummern, URLs oder Inhaltsdaten beruhen, sind nicht mit geltendem Recht vereinbar. Zu diesem Ergebnis kommen Juristen des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in einer neuen Studie. Das Fazit der Experten: Die geltende Rechtslage erlaube keine Sperrungen, "die in das von Artikel 10 Grundgesetz und Paragraph 88 Telekommunikationsgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis eingreifen". Die Studie war von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) in Auftrag gegeben worden, um nach den Sperrverfügungsverfahren der Bezirksregierung in Düsseldorf rechtliche Klarheit zu schaffen.
Rechtlich gedeckt sind derzeit nur DNS-Manipulationen, die den Zugriff auf die Angebote nicht vollständig verhindern, schreiben der Strafrechtler Ulrich Sieber und seine Mitarbeiterin Malaika Nolde in einer Kurzfassung ihrer Ergebnisse. Die DNS-Manipulationen erforderten anders als IP-, Port-, URL- oder Inhaltssperren nicht so "eingriffsintensive Kontrolltechniken". Stefan Köpsell vom Lehrstuhl für Datenschutz und Datensicherheit an der TU Dresden erklärte dazu: "Man unterbindet mit der DNS-Manipulation praktisch den Zugriff aus Telefonbuch, nicht aber Anrufe zu bekannten Nummern." Die Dresdner Informatiker waren für den technischen Teil der KJM-Studie verantwortlich.
Wirksamere Sperrverfahren erforderten aber gesetzliche Neuregelungen. Denn sie setzten die Analyse von Daten voraus, die durch das Fernmeldegeheimnis geschützt seien. Dazu rechnen die Freiburger Juristen nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern auch "die näheren Umstände der Kommunikation". Zu diesen gehörten auch Adressen und Portnummern. Wolle man ins Fernmeldegeheimnis eingreifen, müsse dies entsprechend gesetzlich geregelt werden, folgert das Expertenteam des MPI.
Gleichzeitig warnen die Forscher, dass derartige Sperrverfahren nicht nur die Sperrung von ausländischen Internetadressen erlauben. Sie könnten vielmehr "mittels einer zentralen Kontrollarchitektur potentiell sogar eine effektive und flächendeckende inhaltliche Überwachung der Internetkommunikation erleichtern". Weder der Öffentlichkeit noch den Gesetzgebern in Bund und Ländern sei die Eingriffsintensität bislang ausreichend bewusst, fürchten die Wissenschaftler.
Das Gutachten weist neben dem mangelhaften Schutz der Grundrechte auch auf weitere vernachlässigte Aspekte hin, darunter Fragen nach Transparenz, Kontrolle und Rechtsschutz. "Bei der Durchführung von nationalen Sperrmaßnahmen im Internet geht es um derart zentrale Fragestellungen für die Freiheitsrechte der Bürger und die Integrität des gesamten Internets, dass der Versuch zum Aufbau eines einigermaßen effektiven Systems auch insoweit nicht ohne intensive Überlegungen und Leitentscheidungen des Gesetzgebers erfolgen sollte."
Die Forscher mahnen eine öffentliche Debatte an, die sich auch mit den technischen Konzepten zu einer Territorialisierung des Internets beschäftigen solle. Mit der öffentlichen Diskussion hapert es allerdings noch: Das Gesamtgutachten ist bislang von der KJM nicht veröffentlicht worden. Eine Stellungnahme zu den Ergebnissen lehnte die Behörde unter Hinweis auf die noch ausstehende interne Auswertung bislang ab. (Monika Ermert) / (vbr)