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Was war. Was wird.

Träumen arbeitslos gewordene Discounter-Detektive von neuen Jobs bei den heimlichen Online-Durchsuchern des BKA? Wollen Denkende wirklich nicht in den Himmel? Ein bisschen Wellness hie und da täte doch allen gut? Ach was, brummelt Hal Faber.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Der Himmel ist nichts für den denkenden Menschen", kanzelt Willi Winkler den Dalai Lama ab, dessen Wellness-Religion nur für ein paar Plattitüden gut sei. So sei es, daher bleiben wir hier und suchen nicht den Himmel: Willkommen in der nd. Tiefebene und der Stadt, die einstmals das wildeste Motorradrennen der Welt beherbergte, das Eilenriederennen. Wer braucht schon die Isle of Man, wenn es Hannover gibt? Wer braucht schon den Willkommensbonus-Spam eines Spielkasinos auf den Antillen, wenn es Niedersachsen gibt, wo die Spielbank bis 2024 ein Online-Casino betreiben darf. Und wer, bitteschön, produziert solche Typen wie den SPD-Pop-Beauftragten Siggi Gabriel, der von den Daten der Natur schwärmt und dann gesteht: "Wir löschen die Daten der Natur unwiederbringlich von der Festplatte." Was ist das bloss für eine seltsame Festplatte und welches Betriebssystem besorgt da eigentlich die Datenhaltung?

*** Ja, die nd. Tiefebene gibt auch Rätsel auf. Dort, wo die Massentierhaltung in die Containerzucht übergeht, hat eine Politikerin der Linken darauf hingeweisen, dass religiöse Führer und weltliche Politik nicht unbedingt kompatibel sind. Mit dem unsinnigen Vergleich von Dalai Lama und Ajatollah Chomeini ist der Schuss nach hinten losgegangen. Ausgerechnet am Gedenktag für Martin Luther King kassierte Christiane Schneider daraufhin körbeweise Hassmails, wie ihre Fraktion behauptet. Bleibt die Frage, ob die kunstvolle Unterscheidung zwischen sozialen und politischen Menschenrechten die Scherben kittet. Auch die chinesisch geprägte Einschätzung, dass die tibetanischen Unruhen eher an den Zoff in den Pariser Banlieues erinnern, hat etwas delikat Dialektisches. Die Antworten auf alle offenen Fragen und weggeschlossenen Kritiker wird es wohl erst dann geben, wenn die Sportler mit ihren Protesten eine größere Öffentlichkeit erreichen.

*** Manchmal ist das politische Tauziehen um Interpretationen mehr als übliche Wortgeklapper. In dieser Woche stritten sich die Experten von SPD und CDU über den Unterschied zwischen der Durchsuchung einer Wohnung und dem Betreten derselben. Der Polizeitechniker, der mit einem Dietrich eine Wohnung betritt, um eine Schnüffelsoftware aufzuspielen, durchsucht nicht die Wohnung, weil er nur Software auf einen Computer spielt. Auch wenn er beispielsweise den Laptop in anderen Räumen, Taschen oder Schränken suchen muss, ist das noch keine Durchsuchung, sondern ein erweitertes Betreten wie beim Großen Lausangriff, wenn ein Techniker eine Wanze installiert. Insgesamt ist es interessant, dass dieser konventionelle Angriff wieder diskutiert wird, wo doch die fortschrittliche Variante mit einer präparierten Mail oder Website bereits diskutiert wurde. Hat am Ende gar nur die Zollfahndung die Sache mit der Fernsteuerung wirklich im Griff? Doch wenn die Nacht am tiefsten, kündet der Hoffnung zarter Schimmer: Sollten die Hausdetektive von Lidl, Edeka und Plus aus den ehrenwerten Verbrauchermärkten fliegen, eröffnen sich glänzende Perpektiven bei der Polizei, komplett mit bezahltem Urlaub in Lybien, beratend begleitet von der Südmilch AG.

*** Was ist die Veröffentlichung von Source-Code gegen den Entschluss, den Source-Code zu veröffentlichen? Nicht mal ein Hunderttausendstel der Firefox-Nutzer dürfte der eigentliche Code interessieren, der offenbar die Welt verbessert hat. So gesehen ist die Wiedereröffnung der Original-Website wohl der beste Kommentar zum Thema quelloffener Software. Es hatte es in dieser Woche nicht unbedingt leicht, mit dem Triumph vom TÜV Nord ("Wir machen die Welt sicherer") und dem bekanntgewordenen Rücktritt des Ministers für Open Source. Nur gut, dass Programmierer pragmatische Kerle sind, genau wie Musiker, die freie Lizenzen verwenden.

*** Die ganz harten Kalmäuser werden diese Woche nach Berlin geschaut haben, wo beim Gruppengruscheln auf der re:publica Richtlinien für das Leben im Netz ausgegeben wurden, seien es Forderungen oder Ehrengebote, die den guten alten Bloggerkodex ablösen sollen.

Was wird.

Am Montagmorgen wird Würzburg integriert gestartet, eine Sternstunde der deutschen Wirtschaftsinformatik und ein Meilenstein für die Bertelsmann-Tochter Arvato. Allein der Titel des Projekts wird die Neusprech-Forscher begeistern, denn integriert wird gar nichts, sondern es wird getrennt, wenn der Bereich "Government Services" von Arvato das Bürgerbüro als Internetplattform von Würzburg zunächst 10 Jahre lang betreibt. 75 Stellen von Mitarbeitern, die in den Ruhestand gehen, werden nicht ersetzt, was 27 Millionen Euro Einsparungen produzieren soll. 10 Millionen "Einsparungen" gehen an die Stadt Würzburg, 17 Millionen "Einsparungen" bekommt Arvato ausgezahlt, das für die neue Internetplattform 1 Million Kosten pro Jahr kalkuliert hat. Macht 7 Millionen Reingewinn allein aus Einsparungen. So schön kann Wirtschaft sein, ganz ohne Schlossallee. Warum nur reagiert man so gereizt auf den Protest der Linken?

Ein Blick nach East Riding lohnt sich. Dort hat Arvato die Verwaltung übernommen, komplett mit hoheitlichen Aufgaben wie den Einzug von Steuern. Von 9000 Verwaltungsmitarbeitern wurden etwa 500 übernommen, der Rest wird wohl nach und nach in Rente gehen können. Eine schlanke Fessel macht den schlanken Staat erst richtig fesch. In Würzburg werden die Daten aller Bürger, die die Internetplattform "Würzburg integriert" nutzen, um sich umzumelden, ein Gewerbe anmelden oder einen Reisepass beantragen, ab morgen über ein Rechenzentrum in Gütersloh laufen. So wird aus dem eGovernment ein B-Government in diesem unseren Dubistdeutschland. Auch wenn der bayerische Datenschutz darin keine Probleme sieht, stellt sich doch ein kleines Unbehagen ein. Denn die Software hinter all diesen Government Services hat Arvato entwickelt und bleibt ein "Asset" von Arvato, das an andere Kommunen lizensiert werden kann. In der (nicht online verfügbaren) Lokalpresse hat dies der Projektleiter deutlich ausgesprochen: "Wir sind das Pilotprojekt und profitieren deshalb von der Entwicklung. Andere Kommunen werden nicht mehr so günstige Vertragsbedingungen erhalten." Wer über quelloffene Software in einer bürgernahen Verwaltung spekuliert, sollte einmal nachschlagen, wie Flausen im Lexikon erklärt werden: als lustiger, nicht ernstzunehmender Einfall.

Warum diese Ausführlichkeit zu einer Stadt, die nur in der gerade einmal geht so gelungenen Wegbeschreibung von Peter Hein genossen werden kann? Vergesst Tiepolo und seine vier Erdteile, lobet stattdessen den Bertelsmann, der die Republik umbaut. Der mit seinen Argumenten für ärztliche Versorgungszentren sich daran macht, ein weiteres lukratives Geschäftsmodell zu beackern. Denn am Dienstag startet die conhIT in Berlin, die sich als Leitmesse für die IT im Gesundheitswesen etablieren will. Nur echt mit einem Stand von Microsoft, das mit dem Debüt seiner Patientenakte unter dem Namen "Unified Intelligence System Amalga" geschickt an die aktuelle Debatte um die Ungefährlichkeit von Amalgam anknüpft. (Hal Faber) / (jk)