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Was war. Was wird.

Als Brillenträger visuell restringiert und zugleich zukunftsblind, derart doppelt gehandicapt präsentiert sich Hal Faber - und findet sodann Indizien gegen eine der beiden Beeinträchtigungen.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wie schon einmal erwähnt, bin ich visuell restringiert, ein Brillenträger mit einem großen Handicap: Ich kann nicht in die Zukunft schauen. Jedenfalls nicht in die große weite Zukunft, wenn die ganze Menschheit gechipt ist, um nur ein Beispiel zu nennen. Ein bisschen nahe Zukunft geht gerade noch, die nächste Woche halt, vielleicht bis zur großen Freiheitsdemonstration oder bis zu den geselchten und gepökelten Preisträgern der Big Brother Awards, aber dann hat es sich schon erledigt mit meiner Zukunftssicht. Die große c't-Jubiläumsparty ist schon schwer weit weg, da wüsste ich gerade noch das Hotel zu nennen, in dem für mich das Besäufnis endet.

*** Natürlich lässt sich die Zukunfts-Blindheit vertuschen und überspielen, solange man nichts pexiert. Das Chippen der Menschheit ist so ein Fall. Das sieht schwer nach gekonnter Zukunftsprognose aus, ist aber nur konsequent weitergedacht, wenn man in der Fachpresse Sätze liest wie: "Die Einpflanzung in das Gehirn unterbindet dabei die weit verbreitete Unsitte, RFID-Transponder durch einen Mikrowellenofen unbrauchbar zu machen." Das mag die FIfF-Kommunikation noch ironisch meinen, ich finde es logisch. Ein guter Freund, der heute Abend (am Samstag, an dem die Wochenschau entsteht) sicher Bayerisches Fernsehen schaut, präsentiert in seiner Hommage an Elvis die sattelfeste Zukunftslogik: "Hält die Wachstumsrate weiter an, wird im Jahr 2019 ein Drittel der Weltbevölkerung aus Elvis-Imitatoren bestehen." Das muss man sich einmal vorstellen, besonders in Niedersachsen, wo jeder Dritte glaubt, wie Christian Wulff auszusehen.

*** Wenn es mit der Zukunft nicht funzt, ist ja immer noch die Vergangenheit da, die man ausschlachten kann, natürlich nur mit Erlaubnis vom ollen Google, das nach der Erkenntnis von George Orwell die Zukunft kontrolliert. Eine Selbstsuche nach "Hal Faber" in den verrotteten Daten von 2001 findet prompt "What happened, what will be" an zweiter Stelle mit einer englischen Übersetzung des Satzes: "Die reale Welt ist noch weit davon entfernt, sich von der virtuellen ad absurdum führen zu lassen." Geschrieben in diesem WWWW unmittelbar nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Wobei einige Sätze ganz gut in den aktuellen Wochenrückblick passen, denn die Finanzmärkte kriseln immer:

"Mag der eine oder andere auch überlegt haben, in modernen Zeiten vermeintlich moderne Geldanlagen zu nutzen, so ist er angesichts all der Verrücktheiten der New Economy doch schnell zum Festgeldkonto zurückgekehrt. Ist das nun stockkonservativ oder einfach nur dumm? Wohl weniger; eher die beruhigende Tatsache, dass sich nicht jeder oder jede mit all den Startups, E-Commerce-Stars und Online-Megastores beschäftigen muss, um am Samstagabend in aller Ruhe und ganz entspannt im Hier und Jetzt ein gemütliches Fest feiern zu und dabei auch noch ein recht gutes Leben führt, frei von materiellen Existenzängsten und mit genug Raum, sich über die Entwicklung dieser Gesellschaft seine eigenen Gedanken machen zu können."

*** Prophetische Worte angesichts der aktuellen Bankenkrise? Kann ich vielleicht doch in die Zukunft schauen? Aber wo ist er denn, der ausreichende Raum, in dem man sich noch Gedanken machen kann, wie es weitergeht mit der Gesellschaft? Etwa bei den Bloggern? Darauf One Burbon, One Scotch, One Beer und zwar nicht bei den Anonymen Alkoholikern, die das Lied in der Telefon-Warteschleife spielten, sondern an der Blogbar. Don't Panic, die große DNA-Weisheit, ist heute zu einem "bloß keine Panik verbreiten" verkommen. Prompt ist ein Blog zunächst nicht akzeptabel und dann schwuppdiwupp kommentarlos schlicht und einfach weg. Keine Panik und ein schönes Handtuch bitte, damit es durch die Krise gehen kann: Bald twittern alle, wie sie vor Geldautomaten stehen und noch etwas retten wollen. Was sagte die rote Rosa noch zum freien Raum für Reflektionen über die Gesellschaft: Das Gejammer ist immer das Gejammer der anders Jammernden.

*** Wie beschränkt ich in die Zukunft schauen kann, belegt ein aktueller Fall: Die vorige Wochenschau schmückte ein längeres Zitat des ehemaligen BKA-Chefs Horts Herold zur "negativen Rasterfahndung". So nannte Herold seine "Technik", aus einer Mega-Alles-ist-drin-Datenbank alles zu löschen, was nicht verdächtig ist, mit dem Resultat, dass nur Verdächtige übrig bleiben. Konnte ich ahnen, dass sich in dieser Woche Herold selbst mit einer Erklärung dieser Fahndung zu Worte melden würde? Das auch noch in einem Magazin namens Beef, das sich, dem Web-Design nach zu urteilen, mit dem Rinderwahnsinn befasst und Raster affengeil findet. Ich konnte es nicht ahnen, weit jenseits jeder werberelevanten Gruppe schreibend. Dagegen lag ich bei der Bayernwahl schon richtiger: Die Erde ist nämlich eine Scheibe und nun sind die unten, die vorher oben waren. Microsoft drückte es mit seinem Gratulations-Update freilich besser aus: Jetzt muss neu gestartet werden. Und wo könnte man das besser als in München?

*** Und wo bleibt das Positive? Freuen wir uns mit der Schweiz über den Gewinn des Friedens-Ig-Nobelpreises für einen wunderbaren Text über die Pflanzenwürde. Ein großer Durchbruch für die Forschung ist auch die Entdeckung, dass teure Placebos besser heilen als billige Placebos, die offenbar auch den Schätzerkreis des deutschen Medizin-Unwesens faszinierte: Er konnte sich in dieser Woche nicht über den Beitragssatz der deutschen Krankenspende einigen und überlässt das Thema einem Kabinettsbeschluss. Was, anders als der Ig-Preis zum Thema Cola als Spermizid, leider nicht so positiv ist.

*** Positive Dinge gibt es aber überall dort zu berichten, wo man auf die Kultur und nicht aufs Konto achtet. Man nehme nur diesen Song von France Gall, die es mit "Computer Nummer Drei" in die ewige Heise-Hitliste der Computermusik brachte. Ist es nicht ein Segen, dass dieser Song vergessen wurde, genau wie das Treffen von Napoleon mit Monsieur Göt vor 200 Jahren? Akzeptieren wir positiv gestimmt einfach, dass das aktuelle Treffen von Carla Bruni bei Thomas Gottschalk viel eher die höhere sittliche Reife hat und die Zeiten der Madame de Staël vorbei sind, die ihre Treffer mit ins Bett nahm und ständig das Private mit dem Öffentlichen vermischte.

*** Das war damals revolutionär, heute ist es eine Spezialität von Paris Hilton, befindet ein Text über den Verlust der Privatsphäre. Er schließt mit einer Warnung, die nicht an Paris Hilton, sondern an uns alle gerichtet ist: "Sie (die öffentliche Kommunikation) ist die einzige Möglichkeit, die Gesellschaft zu beobachten und demokratisch zu regulieren, wenn wir an der Demokratie festhalten wollen. Ungleich dem anderen totalen Gut, dem Wasser, von dessen Rückständen an Psychopharmaka wir auch nichts merken, bloß sediert werden, sind die Veränderungen der öffentlichen Kommunikation wesentlich gefährlicher."

Was wird.

Kann die Privatsphäre noch verteidigt werden, wenn das Sammelsurium geplanter polizeilicher Befugnisse immer größer wird? Gibt es einen Erosionsschutz bürgerlicher Freiheiten, wie es offenbar einen Software-Erosionsschutz gibt? Ich kann nicht in die Zukunft schauen, aber wohl in das aktuelle Bus-Angebot für einen leider immer noch notwendigen Termin. Wenn die polizeiliche Hysterie ausreicht, aus einem etwas schwülstig geschriebenen Liebesbrief einer Verlobten einen Abschiedsbrief eines Terroristen zu machen, dann bekommt man eine kleine Vorstellung davon, was eine heimliche Online-Durchsuchung mit den Dateien einer Festplatte machen kann, sollte sie denn technisch machbar sein.

In etwas fernerer Zukunft kommt kein Mensch ohne RFID-Chip aus, ich schrieb ja es weiter oben. Nur mit dem Chip unter der Haut ergibt der RFID-Chip im elektronischen Pass beim Matching wirklich Sinn, nur mit dem Chip können Systeme wie die Personen-Maut auf deutschen Bürgersteigen leicht und einfach eingerichtet werden. Wichtig ist es daher, schon frühzeitig etwas für die "freiwillige Transparenz und Akzeptanz" der subkutanen Technik zu tun. Begrüßenswert, dass ein Logo-Wettbewerb durchgeführt wurde und die Preisträger vom Informationsforum RFID nunmehr in Berlin geehrt werden sollen. Man mag den Slogan RFID zeigt Gesicht (PDF-Datei) etwas übertrieben nennen, denn das Bürger-Chippen muss ja nicht voll in die Visage gehen, sondern kann auch ganz diskret vom Haar verborgen sein. Voll und ganz stehen wir also hinter dem "Logo- und Implementierungskonzept zur Kennzeichnung von RFID-Anwendungen für Verbraucher im Alltag", wie die offizielle Bezeichnung des Wettbewerbs lautet. "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin", jubeln die Demonstranten und die siegreichen Gewinner des Logo-Wettbewerbs. Bleibt nur noch die Frage, ob sie alle im selben Bus sitzen.

Nicht alle fahren nach Berlin. Einige sind schon dort wie der sprichwörtliche genmanipulierte Igel. Nehmen wir nur die Deutsche Telekom mit ihrer prächtigen "Hauptstadtrepräsentanz". Dort findet Ende Oktober der "Deutsche Telekom Innovation Day" statt, diesmal unter dem besonders schönen Titel: "Focus on Web X.0" Besonders interessant für alle X ≤ 17 Millionen. (Hal Faber) / (anw)