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Was war. Was wird.

Ach was, Dämonen. Wo die Raubtiere als Plüschtiere im Kinderzimmer liegen und noch der niedlichste Wolf in deutschen Wäldern gleich abgeschossen wird, müssen neue Dämonen her. Wo die wohl zu finden sein werden ... Hal Faber schaudert's.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** I did it my way. Ja genau, aber wem jetzt gleich ol'blue eyes in die Gehörgänge kriecht, sollte nochmal kurz innehalten. Aus gar keinem gegebenen Anlass fängt diese Wochenschau mit Lester Bowie an, dessen Todestag sich diesen November leider schon zum zehnten Mal jährt, der als Mitgründer des Art Ensemble of Chicago und Gründer seiner eigenen Brass Fantasy einen wichtigen Beitrag zum modernen Great American Songbook leistete. Es darf genausowenig, wie die Musik Lester Bowies in der Versenkung verschwinden sollte, vergessen werden, dass dieses ewig wachsende und ewig sich verändernde Songbook viel früher als alle Anfänge in der Tin Pan Alley und auch immer danach von schwarzen Musikern gefüllt wurde.

*** Das mit dem eigenen Weg aber ist so eine Sache – es gibt oft viele Wege, und welcher der eigene ist, muss man sich oft zwischen vielen öffentlichen und privaten Dämonen suchen. Aber nun wird ja Frühling, da gibt es keine Dämonen mehr. Wird es wirklich Frühling? Ach, diese Gefühle, die man mit dieser Jahreszeit verbindet, sie wollen nicht so recht aufkommen. Es pladdert unaufhörlich, wenigstens ist es nicht mehr gar so kalt. In Wirklichkeit aber sind das alles Petitessen. Denn es ist ein Graus. Während die modernen Gaffer ganz souverän ihre sensationsgeilen Bedürfnisse befriedigen lassen, beerdigen derweil ihre Oberen das Grundgesetz und den Rechtsstaat als juristische Spitzfindigkeiten. Aber so ist das mit dem my way und den Dämonen: Da das Internet ja eh böse ist, braucht man nicht weiter nach den Ungeheuern suchen. Immerhin kündigen Amokläufer dort ihr Tun an, und Politiker verlustieren sich mit Kinderpornographie. Oder war das in Wirklichkeit alles ganz anders, das Posting ein Fake, der Chat gar kein Chat sondern ein Image-Board und der Politiker ein übereifriger Cybercrime-Jäger? Ach egal, Hauptsache, es gibt ein nettes Skandälchen. Da treffen sich die Holzmedien und die Zwitscherer in weit trauterer Eintracht, als sie das in der Öffentlichkeit gerne vorgeführt sehen. Und da faseln manche Leute doch glatt vom Ende des Gutenberg-Zeitalters.

*** Damit aber wären wir bei der dämlichsten Frage der Woche: "Sie meinen die Allgegenwärtigkeit von Pornographie?"
Die Antwort eines hochgeschätzten Künstlers: "Das sind die neuen Dämonen. Früher waren es die Raubtiere, dann die Nazis, heute ist es das Internet."
Die Raubtiere sind weg, selbst Wölfchen haben keine Chance bei uns. Und Nazis sind bei uns am Aussterben, weil sie Alkis sind und, hey, was ist denn schon dabei, wenn sich im Suff "das Menschenbild verrückt" und sie mal eben einen Menschen umbringen. Bleibt also das Internet. Eben. q.e.d.

*** Während die kleine Wochenschau in der norddeutschen Tiefebene entsteht, wird der Geburtstag des Ulmers Albert Einstein gefeiert. Nicht ganz so fett wie im Einstein-Jahr, aber immerhin. Vielfach kann man immer noch lesen, dass der Gott, der lächelte ein sehr mittelmäßiger Schüler gewesen sei, weil sein erster Biograph die vielen Sechsen auf einem Schweizer Matura-Zeugnis falsch interpretierte. In der schulischen Biographie des Mannes mit einer weltberühmten Zunge findet sich übrigens ein deutscher Lehrer, der sich von Einstein terrorisiert fühlte und den Rauswurf des Schülers betrieb. Nein, kein Counterstrike weit und breit: Einstein saß in der Klasse hinten und lächelte ständig. Dem Ausschluss wegen schulischer Unreife, bezeugt durch fortdauerndes Lächeln, kam Einstein zuvor und verließ die Schule. Eric Harris, der Schülermörder von Littleton trug unter seinem langen Mantel mitunter ein schwarzes T-Shirt mit Einsteins berühmter Geste als humanistisches Zugeständnis: Ihr könnt mich alle mal. Er hatte eine verständnisvolle Lehrerin. Eine von ihm geschriebene düstere Geschichte über die Hinrichtung von Mitschülern kommentierte sie: "Du hast einen besonderen Ansatz und deine Erzählung funktioniert auf eine grausige Weise – gute Details und guter Stimmungsaufbau." Nachzulesen im Buch: Ich bin voller Hass – und das liebe ich.

*** Mit seiner schulischen Intervention "Amokzahltag" hatte der Reutlinger Rapper Kaas weniger Glück als Einstein. In einer Talkshow schäumte der CDU-Innenpolitiker Udo Bosbach los, als ohne jeden Kommentar das Video zum Song gezeigt wurde: "Das ist gewaltverherrlichend, das ist schwer jugendgefährdend. So etwas gehört nicht ins Netz, leider lässt sich da aber aller Dreck dieser Erde finden. Die Politik darf davor nicht die Augen verschließen, damit so etwas nicht rund um den Globus geht." Das Video enthielt, wie man hier nachlesen kann, verschiedene Szenen aus dem preisgekrönten Diplom-Abschlussfilm "Amok" von Peter Lenkeit. Die Rap-Musik wie der Film reflektieren eine Situation, in der junge Leute die Schule nicht mehr aushalten und zur Waffe greifen, wenn sie zur Waffe greifen können. Da heißt es, dass jeder helfen kann, nur die nicht, die wegsehen.

*** All das interessierte die berufsmäßigen Kommentarwichsmaschinen (Max Goldt) der Sendung "Hart aber Fair" mit Frank Plasberg nicht. "Wenn – wie geschehen – 20 Sekunden des Videos unkommentiert und ohne einen Hinweis auf die Erklärungen zu Beginn im Fernsehen gezeigt werden, ist das irreführend und traurig. Offenbar haben sich die bekannten Stellen bereits auf die Suche nach den Sündenböcken gemacht, um das Unbegreifliche vordergründig begreiflich zu machen", bedauert Herr Kaas, gegen den inzwischen in Reutlingen eine Strafanzeige gestellt wurde. Kein Aufhebens gibt es für Frank Plasberg, dem erfahrenen Live-Berichterstatter des Gladbecker Geiseldramas, der "gar nichts unterstellte", als der besagte CDU-Innenpolitiker darüber lamentierte, was das wohl für Unsummen kosten würde, die psychologisch zu verstärken. "Milliarden werden an Banken gezahlt", soll Plasberg gesagt haben. Sein Gemurmel ist Schnitt von gestern.

*** Ja, in Winnenden, "das 27.000 Einwohner hat und ein paar Zerquetschte" (n-tv Orginalton), sind neun Schülerinnen, drei Lehrerinnen und ein Mitarbeiter eines psychiatrischen Zentrums erschossen worden. Und die Medien liefen auf Hochtouren, ganz im Sinne des Plasbergschen Spruches "Ich erwarte das von jungen Reportern, dass die mit Gluteifer rangehen und versuchen, das, was eben noch verantwortbar ist, zu beschaffen." Mit Gluteifer wurde getwittert und gegooglet, bei Focus zeitweise unter dem irrsinnigen Tag #Amoklauf. Nur recherchiert wurde nicht und der Verstand blieb ausgeschaltet: Diese Newfags von Schmalspur-Journalisten glaubten allen Ernstes der Krautchan-Quelle, was abseits der Lügnerei derPolizei kein gutes Bild auf die Vertrautheit mit dem Internet wirft, mal abgesehen davon, dass schon am Mordstag die lokale Community Kwick als virtueller Aufenthaltsort des Mörders bekannt war. Nun sitzen wieder einmal das Internet und die Computerspiele auf der Anklagebank. Aggressive Spiele müssen verschwinden, desgleichen wahrscheinlich Bondage-Fotos, weil der Mörder gefesselte Frauen geil fand. Noch geiler fand er allerdings Softair-Waffen, von denen er verbotenerweise 30 Stück besaß und den Unterricht mit der Berretta. Dass so eine Pistole einfach so im Haushalt herumliegen kann und 200 Schuss Munition (davon 133 verschossen) auch ein Problem sind, wird nicht diskutiert unter rechtschaffenen Leuten. Wer Waffen besitzt und seinem Sohn das Töten beibringt, ist – vor allem als gestandener Unternehmer – natürlich schuldlos. In Familien, in denen Drogenmissbrauch oder geistige Krankheiten auftreten, sind Waffen aber natürlich problematisch.

*** Die schlimmen Nachrichten aus dem Schwabenland überschatten viele wichtige Dinge in dieser Woche, die wenig Beachtung fanden. Nehmen wir nur die merkwürdigen Beteuerungen des SPD-Politikers Jörg Tauss, der nach der Fassung (PDF-Datei) auf seiner Homepage, dass er nach der BKA-Herbsttagung Ende November 2007 kein Vertrauen mehr in das BKA als Beratungsinstanz der Abgeordneten hatte und daher selbst in Sachen Kinderpornographie aktiv werden musste. Er nahm Kontakt mit "Werner" und "Sascha" auf, zahlte etwas Geld und verpackte danach das Material in einem Koffer, ohne Partei wie Strafverfolger davon in Kenntnis gesetzt zu haben, dass er mal Pater Brown spielen wollte. Ohne eine der beliebten Verschwörungstheorien muss man konstatieren, dass sich entweder der Politiker ausgesprochen dämlich verhalten hat oder aber der zeitliche Ablauf falsch dargestellt ist. Selbst wenn die Recherche unergiebig war und das BKA ein Haufen parteiischer Schnüffler, hätte der "Koffer" in die Hände beruflicher Ermittler übergeben werden müssen. So hilft die ganze Aktion eines "Netzpolitikers" nicht gerade, wenn der grottenschlechte Vorschlag nach einer Kinderporno-Sperre wieder aufgewärmt wird.

*** Wo bleibt das Positive? Natürlich kommt es aus den USA. Steve Wozniak, der Vater des legendären Apple II, zeigte allen ausgerechnet mit Bachmann Turner Overdrive, dass Geeks und Nerds wirklich tanzen können und allen bescheuerten Bewertungen zum Trotz Spass am Gerät haben. Noch großartiger freilich die Nachricht, dass Barbara Liskov den Turing Award 2008 gewonnen hat, als zweite Frau in der Geschichte des ehrwürdigen Preises. Die erste Frau, die in den USA (Stanford) den Doktor für Computer Science erworben und Betriebssysteme, Programmiersprachen und Datenbanken entwickelt hat, gehört zu den ganz großen Frauen in der Computergeschichte, die mit Ada Lovelace und Hedy Lamarr anfängt.

Was wird.

Derzeit läuft in Leipzig eine Buchmesse, die das E-Book und die Gefahren der Internetpiraterie schwerpunktmäßig behandelt, das Ganze hübsch um den Launsch von Sonys Bookman drapiert. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels schwafelt vom organisierten Verbrechen des Diebstahls im Internet. Leider kann das Interview mit Michael Giesicke nicht verlinkt werden, in dem er das E-Book als unwesentliche Ergänzung des Computers abwinkt und etwas aus der Realität abseits der Killerpiele, Kinderpornos und Mordphantasien erzählt: "Das Leitmedium ist das Internet und die Datenbank. Niemand bringt einen einigermaßen guten BA-Abschluss zustande, der diese Medien nicht ausgiebig nutzt. Dagegen ist es möglich, wenn auch noch nicht üblich, dass man am Ende dieses Studiums kein einziges Buch vollständig gelesen hat, auch kein E-Book."

Zum Abschluss muss ein Buch/Theaterstück hierher, komplett mit dem verkorksten Satz vom "weiblichen Orwell der Gegenwart". Juli Zeh erzählt vom Mittelalter der Zukunft, mit Chip-Implantaten, die jeden Fehlstand beim Körpertraining speichern, der dann als Ordnungswidrigkeit gespeichert wird. Corpus Delicti, der Körper ist das Beweismittel für ungesundes Leben. Nun gut, bei uns geht es erst um die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, die immerhin so ungesund ist, dass sie Ärzte spaltet. Die Befürworter des Systems verweisen gerne auf fortschrittliche Projekte, etwa das dänische Sundhed-Netz, in dem die medizinischen Daten aller Dänen zentral gespeichert sind. In Zukunft kommen die Körper hinzu: IBM, das mit seinen Servern und Datenbanken das Sundheds-Netz betreibt, will dazu übergehen, den Dänen einen dreidimensionalen Körper im Internet zu verschaffen, durch den Ärzte leichter navigieren können, um am Avatar ihres Patienten alle relevanten Daten zu finden. Pech für den "weiblichen Orwell", dass die Zukunft nur noch einen Steinwurf entfernt ist. Es macht einfach keinen Spaß mehr, wenn die Dämonen schon Wirklichkeit sind, bevor man sie imaginiert. (Hal Faber) / (jk)