Was war. Was wird.
Ein neuer Korporatismus erhebt sein erschreckendes Haupt: Nahezu jedes Mittel scheint recht, um einen teutschen Staatskörper zu formen, der nicht nur das Internet lediglich als artschädigende Schmuddelecke begreifen kann, beobachtet Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Ich bin ein versehentlicher Gelegenheits-Konsument von Internet-Pornografie. Die meisten gelegentlichen Kontakte habe ich, wenn ich eine ehemals bekannte Website ansteuere, die irgendein spaßiger Domain-Händler auf eine Schwanzprahlbude umgeleitet hat. Mitunter schaue ich aber auch beim Hunnen in Holland vorbei, wenn ich zwischen verschiedenen Web-Angeboten wechsel, die auswerten, woher einer kommt und wohin einer zieht. Diese gelben Seiten der Pornobranche werden täglich frisch in einer Stadt gefüllt, die drei Möhrchen im Wappen trägt. Bald gibt es keine Möhrchen mehr, sondern eine zünftige Stopp-Seite. Denn der Hunne steht auf dem australischen Sperr-Index, den unserer oberster Kriminalist als vorbildlich bezeichnet, wenn er seine Möhrchen an doofe Häschen verteilt: Gelegenheits-Konsumenten von Kinderpornographie gibt es nicht. Wer Kinderpornographie sucht, erst recht die berüchtigten Snuff-Videos, die eine geschickte Familienministerin ungestraft zeigen darf, muss sich schon in die Peer-Welten der Kinderporno-Tauscher begeben, wie das Jörg Tauss gemacht hat, bei Strafe des eigenen Unterganges. "Gelegentlich" tauchen Kinderpornobilder allenfalls in den berüchtigten Image-Boards auf und sind schnell wieder verschwunden. Fast alle dieser Boards sind ebenfalls auf der australischen Liste zu finden. Besonders apart ist das schon deshalb, weil der Image-Board-Erfinder moot derzeit der einflussreichste Mensch der Welt ist
*** Ein nettes Detail am Rande: seitdem diese Liste durch die Gefahr im Verzug namens Wikileaks bekannt ist, wird sie radikal entmistet. Waren es zunächst 2600 Sperren, dann 2400 Sperren, sind aktuell nur 1200 Sperren übrig – wobei diverse Wikileaks-Seiten hinzugekommen sind. Bis zu 5000 Seiten will BKA-Chef Ziercke blocken lassen. Für seine Behörde ist § 206 ein Papiertiger. Für den Rest: In 27 Sekunden sieht selbst für einen Windows-Nutzer alles anders aus. Wobei das Video ein bisschen schwindelt, da etwas Lektüre über DNS-Server schon nötig ist, sofern offene DNS-Server nicht von den üblichen Staatsmisstrauern und Datenschleuderern veröffentlicht werden.
*** Die aktuelle Debatte um die Kinderpornographie im Internet ist eine moral panic, die dadurch Zunder bekommt, dass der Bundestags-Wahlkampf angelaufen ist. Eine führende Rolle bei der angeblich schnell gefundenen Mehrheit der Kinderporno-Sperre hat offenbar der CDU-Politiker Heinz Riesenhuber übernommen. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates von Kabel Deutschland und als Aufsichtsratsmitglied von Vodafone soll er das Ja dieser Firmen zur Sperrtechnik betrieben haben, während die Techniker dagegen waren. Riesenhuber steht auf Platz 2 der hessischen Wahlkampfliste und wird trotz seines Alters als Nachfolger unserer derzeitigen Forschungsministerin gehandelt. Nach Auskunft der Lobby für Menschenrechte hat sich Riesenhuber bereits im Fall des Deutschland-Chefs von Compuserve, Felix Somm, dafür ausgesprochen, dass die Interessen der Wirtschaft bei der Strafverfolgung von Kinderpornographie berücksichtigt werden müssen. Weiterhin ist eine Stephanie Freifrau zu Guttenberg aktiv geworden, die Präsidentin des von Adligen dominierten Vereins Innocence in Danger, der ihren Mann bei der Abfassung eines Gesetzesentwurfes führend beraten haben soll. Innocence in Danger ist der Verein, der seit Jahren einen Notfall-Rufknopf für Chat-Foren fordert, in denen sich Jugendliche aufhalten.
*** Die Aktionen rund um die Kinderporno-Sperrliste sind nicht die einzigen Indizien dafür, dass sich dieses unsere Land auf dem Weg in den Korporatismus befindet. Gemeint ist hier nicht, wie man mit Wikipedia vermuten kann, die Sozialpartnerschaft der 50er Jahre, sondern eine Ausprägung des italienischen Faschismus. Zu beobachten ist dies bei der deutschen Bahn, wo ein Initiativkreis Arbeitskampf Anweisungen erteilte, eine Informationsschrift für Beamte zum Streik der nicht beamteten Lokführer zu löschen. Sieht man von dem Argument ab, dass diese Schrift nicht, wie von den Mehdörnlingen behauptet, ein Streikaufruf ist und das Mailsystem der Deutschen Bahn kaum beschädigen konnte, wird der Korporatismus deutlich, den Bahnkörper von allen Schädlingen zu befreien. Systematische Suchläufe nach unbotmäßigen Mails von Mitarbeitern an Journalisten, offenbar per umgebogenen MX Record bei einem einschlägig bekannten Spezialisten für Hosted Security durchgeführt, vervollkommnen das Bild. Fehlt nur die Deutsche Reichsbahn, die Informanten wie die informierte Presse in Auffanglager abtransportiert, auf Befehl vom "Initiativkreis Service, Sicherheit und Sauberkeit".
*** Der neue deutsche Korporatismus kommt in einem Gewand, das Maxim Biller am letzten Sonntag in einem wunderbaren Artikel über die Deutsche Deprimierende Republik als Mäntelchen der Minderbepimmelten enttarnt hat. Dafür wird er landauf, landab wahlweise als Schlappschwanz oder Jammer-Wessi gerädert, oder auch gleich mit beiden Invektiven verhackstückt. Im Merkel-Staat anno 2009 geht offenbar auch mancher Journalist am Krückstock mit der Schnitzerei "Ja, ich hätte mitgemacht." Jaja,die DDR war kein totaler Unrechtsstaat.
*** Wie der neue deutsche Korporatismus funktioniert, kann Mensch auch bei den Ärzten bewundern, um einmal nicht einen ganz so kompromittieren Beruf zu nehmen. Weil die Tätigkeit eines Arztes ungewöhnlich war, hat die Hamburger Ärztekammer persönliche Daten ihres ukrainischen Mitglieds mal eben an die Drückerkolonne vom Klagespezialisten Verband Sozialer Wettbewerb übermittelt. Mens sana in corporatio sano.
*** Nix zur Computerei? Und das am offiziellen Geburtstag des Kleinen Nick vom Großen Goscinny? Und wo bleibt Marie-Hedwig, die so toll mit ihren Augen klimpern kann? Und Otto, der Urahn von Obelix? Leider kann ich es nur als Abstract verlinken, was da in Bielefeld zum "Wearable computing] veröffentlicht wurde. Die Forschung in diesem Gebiet kollabierte völlig, weil die beteiligten Informatiker sich weigerten, als "Lötknechte" ihre Ideen "in echt" umzusetzen, obwohl die Pressestelle nach einem Ptototyp bettelte, der den Medien gezeigt werden kann. Die bittere Konsequenz eines Teilnehmers: Die dauernd genannte "Anwendung" ist eine Legitimationsfassade. Wenn es nicht klappt, klappt es nicht, und wir können weiter spielen, wie Nick, Otto, Georg, Clodwig und eben Marie-Hedwig. Um es in den Worten von Hans-Georg Lenzen zu sagen, der mit 84 Jahren noch 160 Seiten der Geschichten in einem Monat zu übersetzen hatte:
"Wahrscheinlich haben haben die Leute, die das Kreuzworträtsel gemacht haben, nicht richtig gezählt, denn sie haben manchmal zu viele Kästchen gemacht. Da hab ich dann einfach größer geschrieben und dann ist es gegangen."
Was wird.
Die Zukunft ist grau. Ein Sieg sieht vielleicht anders aus, aber so kann ein Journalist, der nicht in die Knie gegangen ist, wenigstens weiterarbeiten, obwohl ein bräsiger begriffsstutziger Fußballfunktionär seine Legitimationsfassade intakt halten kann. Hier musste also der Korporatismus noch zurückstecken, aber dafür gibt es an anderen Enden den richtigen Anschauungsunterricht. Milliarden werden an Banken ausgeschüttet, bei betteln amtlich verkürzter Besinnung. 58 Millionen Euro für eine heruntergewirtschaftete Bank werden selbst von den Claqueren des Wirtschaftsteils kritisiert. Wahlweise können wir düster auf den kommenden Montag schauen, an dem eigentlich die allseits beliebte Firma SCO ihren Reorganisations-Plan vorstellen soll. Oder wir können zum Spaß das Gerangel um ein Manifesto verfolgen, das aktuell diskutiert wird. Die Technik dahinter kennen wir vom kleinen Nick: Groß genug schreiben ist alles. Denn Cloud Computing ist keine neue Technologie, sondern nur eine IT-Strategie, bestimmte Leistungen anders auszulagern als bisher. Ernsthaft über das universale Outsourcing zu schreiben, fällt wirklich schwer. Cloud Computing ist der 1. April in Permanenz. Damit passt die "Technik" wunderbar zum nahenden Aufstand der Scherzkekse. (Hal Faber) / (jk)