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Was war. Was wird.

Es ist Sommer. Mit dem Wahlprogramm der FDP unterm Arm schlendert Hal Faber über den Strand. Leider ist er nicht mehr sechzehn. Über sieben Brücken ist er schon längst gegangen.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

Es war ein schöner Tag, der letzte im August
Die Sonne brannte so, als hätte sie's gewusst

*** Okay, der letzte Augusttag ist erst morgen, aber was soll man machen, wenn der große deutsche Sänger Peter Maffay 60 wird und auf dem Weg zu mir ist. Der, als er 16 war, mit einer 31-Jährigen spülen ging. Wer eine Klampfe hat, der klampfe jetzt die ganze wüste Geschichte, der Rest klickt auf die Tube:

Wir gingen beide hinunter an den Strand
Und der Junge nahm schüchtern ihre Hand
Doch als ein Mann sah ich die Sonne aufgeh'n
Und es war Sommer und es war Sommer.

Von Peter Maffay, den die FAZ zum Geburtstag leicht kulturzickig als "Hanno Buddenbrook in Lederkluft" feiert, dürfen an dieser Stelle natürlich nicht die sieben Brücken und die sieben Mal Asche fehlen, die er mit dem Song von Karat im Jahre 1980 machte. "Es war Sommer", 1976 und es war alles noch ganz anders. Damals kannte die Musikindustrie keine platten "Coverversionen", sondern gab sich redlich Mühe, ihre Software ordentlich zu lokalisieren. Ja, es war Sommer, der letzte Tag im Juni, wie Bobby Goldsboro sang, ganz ohne Klampfe:

And we walked for a mile to the sea
We sat on the sand, and a boy took her hand
But I saw the sun rise as a man

*** Heute sieht die Sache ganz anders aus. Hübsche Knaben werden nach wie vor von reiferen Damen in die Liebe eingeführt, aber eine derart liebevolle Adaption eines Songs wie die von Maffay gibt es heute einfach nicht mehr, das ist alles ausgewischt. Heute wird das "Original" um jeden Preis in die Kanäle gedrückt und alles, was erreicht wird, ist ein trüber Welteinheitsgeschmack, ein Klimperbrei für das Marketing, vertontes Solyent Green. Bin ich ungerecht? Aber bitte, gehen Sie doch nach drüben, da wird Ihnen bestens geholfen mit Roland Kaiser und Oliver Thomas. Ja, Musik ist ein einziges Verbrechen, antwortete Ray Manzarek nach seiner Abmahnung durch die Doors-Lizenzinhaber für einen Auftritt in der Doors-Parodie Craigslist. So sieht die Sache aus, heute, am Ende des Augusts. Bill Bruford hört auf, ein weiterer Verlust nach Rashied Ali. Um es mit Peter Maffay zu sagen: Auf den Scherben unserer Welt lässt es sich ganz wunderbar jammen.

*** Das letzte WWWW wurde mit dem Parteiprogramm der CDU/CSU bestritten, diesmal gibt mir der erklärte Koalitionspartner FDP mit seinem Deutschlandprogramm (PDF-Datei) die nötigen Anregungen. In ihm finden wir die Forderung nach Abschaffung der GEZ, einen Punkt, den man eher bei der Piratenpartei verorten würde. Die Forderung ist ein passender Kommentar zum großen Drehbuch-Fake beim NDR. Er wurde durch eine Google-Recherche eines Praktikanten ausgelöst, den der Drehbuchautor Fred Breinersdorfer etwas beschäftigen wollte. danach stiegen die Rechercheure der Süddeutschen Zeitung zur Großschlachtung in den Ring. Eine notleidende öffentlich-rechtliche Chefin, ein Ehemann als Drehbuchsklave, das wäre, mit ein paar Leichen gewürzt, ein Stoff für einen Undercover-Ermittler im Tatort. So zeigt es nur die Raffgier besserer Kreise.

*** Aber Halt! Diese Pseudonyme! Da war doch eine Veranstaltung des Solinger Tageblattes, auf der die öffentlich-rechtliche Mikrofonhinhälterin und Vorbeischauerin KMH über "Glaubwürdigkeit" redete und Verfassungsrichter Di Fabio über den Leuchtturm im offenen Meer der Informationen. Der freie Mensch der Neuzeit zeigt nach Di Fabio sein Gesicht und nennt seinen Namen, wie Peter Panter, Theobald Tiger, Hal Croves und, ähem, Hal Faber. Ganz anders sieht es bei den hitzigen kulturellen Atomkräften im Internet aus:

"Warum zeigt sich das Gesicht der Kommunikationsteilnehmer nicht offen im Netz - ist die mittelalterlich anmutende Burka im Straßenbild auch europäischer Städte denn wirklich so weit entfernt von den hypermodischen Twittern und 'Newsbotsern'?"

*** Burka und Twittern zusammenzubringen, das hat was, schließlich ist der Hashtag #iranelection ungebrochen populär. Was Di Fabio unter Newsbotsern versteht, ist weniger klar. User, die niederknien und beten, wenn der Newsbot Nachrichten bringt? Nachrichten von den Kaasköppen, dass irgendetwas zusammengestoßen ist? Ansonsten bleibt der freie Mensch der Neuzeit, der seine Stimme erhebt, gefeiert, wie Amerika es dieser Tage mit Thomas Paine macht – anonym: Sein epochales "Common Sense" trug den Vermerk "Written by an Englishman", mehr nicht. Und wie war das noch bei dem Politiker, für den die Welt gerade Kennedystränen vergießt? Abgeschirmt seine Redenschreiber, die in der Hauptstadt Respekt genossen. Ob die anonymen Schreiber durch Washington mit einer Burka liefen, ist nicht bekannt.

*** Zurück zur deutschen Politik, zur FDP, die die "Internetrepublik Deutschland" verwirklichen will: BIRD, Bundesinternetrepublik Deutschland klingt schon mal ganz gut. Damit unser schönes Land der europäische "Vorreiter in Sachen Internetkompetenz" sein kann, sollen Projekte wie das vom BSI initiierte DNSSEC Vorfahrt bekommen. Über den zwangsläufigen Verkehrsunfall beim Botsen mit der CDU und der großkoalitionären Websperre kann man sich schon heute freuen: DNSSEC würde zwar auch verhindern, dass der Provider im DNS die richtige IP-Adresse für das eine oder andere Imageboard rausgibt, das von findigen Menschen beim BKA als Kinderpornografie eingestuft wird. Es würde aber verhindern, dass der Provider eine andere IP-Adresse angeben kann. Da schießt gerade die eine Hand der anderen ins Knie, da wird der Nagel eingeschlagen, der das Fass zum Auslaufen bringt. Oder so. Erstaunlich auch die Nachricht, dass die Kommentierung der Provider zur Technik des Zugangserschwernisgesetzes als VS-NfD deklariert ist. Das soll natürlich den Zugang zu den BKA-Servern absichern, setzt aber voraus, dass die Interessen der Bundesinternetrepublik Deutschland gefährdet sind. Landauf, landab suchen die Provider jetzt nach schönen Ausgaben des Grundgesetzes, auf das ihre Techniker eingeschworen werden.

*** Landauf, landab, Land unter: In welcher politischen Kultur wir leben, hat in dieser Woche die taz demonstriert, das Zentralorgan deutscher Altbaubewohner. Schon am letzten Wochenende war im Blatt der Wurm drin. Die taz informierte die Leser am Samstag in eigener Sache über einen Computerausfall. "Der Fehler ist inzwischen behoben und der Computer hat Besserung gelobt". Allein, der Computer hielt nicht Wort, sondern setzte schnurstracks einen Artikel ins Internet, der nicht im Druck erschienen war. Im Text wimmelte es von Fehlern wie in einem Bild von Ali Mitgutsch. Schäubles Abhörzentrale wurde prompt gesperrt und die taz begann zu stottern. An diesem Wochenende ist prominent auf Seite 3 die glattgebügelte Version in Print unter dem Titel Schäuble schafft Fakten erschienen, die immer noch etliche Fehler enthält und von "neuen Gefahren" durch Anonymisierungsdienste schwafelt, aber den gröbsten Unsinn der "Abhörzentrale" nicht mehr. Dafür verbreitet sich der falsche Artikel nach dem Streisand-Effekt umso besser. Sogar die selbsternannten Wahrheitsprüfer von _Schaeubles_Abhoerzentrale%2C_23_Aug_2009:Wikileaks, die angeblich Dokumente auf Plausibilität untersuchen, verbreiten den Mist.

*** Zu den neuen Gefahren der Anonymität passt übrigens die Meldung, dass die Esoterikerin und ehemalige Terroristin Verena Becker nach einer Abhöraktion ganz ohne Abhörzentrale verhaftet wurde. Sie erkundigte sich am Telefon bei Bekannten nach Verschlüsselungssystemen für ihre Computer. Dieser Verschlüsselung wollten die Behörden zuvorkommen. Willkommen in der neuen Bundesinternetrepublik Deutschland: Eine Notiz im Tagebuch, in der sich Verena Becker fragt, ob sie für Buback beten soll, reicht offiziell als Verhaftungsgrund aus. Da macht sich glatt klammheimliche Angst breit, wenn Gebete unter Strafe stehen. Die Einbindung nichtkirchlicher Religionen sollte die FDP besser streichen.

Was wird.

In der kommenden Woche blickt ganz Deutschland nach Berlin, weil dort die Internationale Funkausstellung startet. Da feiert man dann 1939, weil passend zum Überfall auf Polen auf der IFA der Deutsche Einheitsfenseher vorgestellt wurde. Technisch war er nicht sonderlich erfolgreich, inhaltlich scheint das Ziel mit dem heutigen Einheitsbrei jedoch erreicht zu sein. Okay, vereinzelt gibt es noch versprengte Gemüter, die mit Adorno über Aufklärung im Fernsehen nachdenken, aber selbst schon fleißig das Internet als Befreiungsschlag der untersdrückten Stimmen feiern. Wie lange die Freiheit dauert, ist umstritten. Die Vorarbeiten für den deutschen Einheits-Internet-Computer laufen im Familienministerium bekanntlich auf Hochtouren. Übrigens ist die FDP dagegen.

Zum guten Schluss muss aber Kritik her: Was ist die Forderung, "illegales Kopieren von Patenten als Straftat zu ahnden" gegen die mögliche Forderung, das Einreichen von illegalen Patenten als Straftat zu ahnden? Wer künftig mit aktiviertem Adblock (das ist, seufz, leider so) bei dieser kleinen Wochenschau im Internet landet, wird vielleicht künftig mit der Frage konfrontiert: "Stehen sie auf dem e-Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesinternetrepublik, so geben Sie bitte jetzt den Namen unseres Wappentiers ein:" ********

Na?

(Hal Faber) / (vbr)