Zensur bleibt ein heißes Eisen für Sportfunktionäre

Kurz vor den Olympischen Spielen blenden Sportfunktionäre das Thema Zensur zwar nicht aus, üben sich aber gerne in Relativierungen. Zuletzt verglich der deutsche Teamchef die Internetzensur in China mit dem Verbot rechtswidriger Seiten hierzulande.

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Wenige Tage vor Eröffnung der 29. Olympischen Spiele in Beijing sorgt hierzulande vor allem eines für Schlagzeilen: der Eiertanz der Offiziellen um die Zensurpolitik der chinesischen Regierung. Nach IOC-Chef Jacques Rogge nahm am Wochenende der deutsche Delegationschef Michael Vesper Anlauf und sprang mit beiden Beinen voran in den großen Fettnapf. In der ARD-Sendung Weltspiegel am vergangenen Sonntag verglich der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die chinesische Internetzensur mit der Sperrung rechtswidriger Seiten in Deutschland. Seither bemüht er sich um Schadensbegrenzung.

"In jedem Land der Welt, auch in der Bundesrepublik Deutschland, werden Internetseiten gesperrt. Bei uns sind es rechtsradikale Seiten, die gesperrt werden. Und es ist natürlich auch in China so, dass einzelne Seiten gesperrt werden", hatte Vesper in der ARD gesagt und damit über die Parteigrenzen hinweg für Empörung gesorgt. Auch in seiner eigenen politischen Heimat sind die Äußerungen des 56-jährigen Kölners nicht gut angekommen. Vesper ist Mitglied der Grünen und war von 1995 bis 2005 Minister in der Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Noch etwas zurückhaltend nannte Parteikollege Volker Beck Vespers steile These "aberwitzig und irritierend".

Deutlicher wurde Dirk Niebel. Der Generalsekretär der FDP sprach in der Passauer Neuen Presse von einer "unverschämten Gleichsetzung der chinesischen Zensur mit dem deutschen Einsatz gegen Neonazis". Vesper sei wohl "dem chinesischen System willfährig ergeben", mutmaßte Erika Steinbach von der Union. Warum sein Vergleich hinkt, bekam Vesper auch von Seiten der SPD erklärt. "Wir sprechen hier doch nicht über Internetseiten mit strafrechtlich relevanten Inhalten", sagte der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Peter Danckert (SPD), dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Wir sprechen über Amnesty International." Oder über Reporter ohne Grenzen. Die Geschäftsführerin der deutschen Sektion der Journalisten-Organisation, Elke Schäfter, nannte Vespers Vergleich "unsäglich".

Als Chef der Mission steht Vesper der deutschen Olympia-Mannschaft vor – und damit ebenso unter Beobachtung wie Druck. Sportfunktionäre drücken sich bei heiklen Fragen, die eine Olympiade in einem nicht gerade als vorbildlicher Rechtsstaat zu bezeichnenden Land aufwirft, gerne um klare Antworten. So hatte auch Vesper seinen Vergleich mit einem wachsweichen Bekenntnis zur Pressefreiheit garniert: "Es muss aber der freie Zugang zu allen wichtigen Informationen, die Journalisten brauchen, um ihre Arbeit zu tun, gewährleistet sein", hatte der DOSB-Spitzenfunktionär in der Sendung hinzugefügt.

Jetzt will er das alles so nicht gemeint haben. Er habe sich früh gegen die Zensur eingesetzt und "ganz klar erklärt, dass diese Sperrung von Internetseiten nicht akzeptabel ist", sagt er laut dpa. Das habe erfreulicherweise zu ersten Ergebnissen geführt, doch müssten weitere Schritte folgen. "Ich bin ein strikter Gegner von Internetzensur", sagte er bei der Eröffnung des Deutschen Hauses. Er habe keineswegs die Sperrung von Internetseiten in Deutschland auf eine Stufe gestellt mit der Zensur im Internet in China, bemühte sich der Sportsmann nun um Klarstellung.

Zuvor hatte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, den ursprünglich versprochenen "freien und unzensierten" Internetzugang für Journalisten auf einen "größtmöglichen" Zugang begrenzt und sich damit deutliche Kritik eingefangen. Das IOC ließ damit auch den Chef der eigenen Pressekommission im Regen stehen, der sich von der Beschränkung des Internetzugang für 25.000 Journalisten völlig überrascht gezeigt hatte und eine geheime Absprache auf höchster Ebene vermutete. "Es hat absolut keinen Deal gegeben, keine Vereinbarung mit den Chinesen", dementierte Rogge.

Der IOC-Chef räumte immerhin ein, vielleicht etwas naiv gewesen zu sein. "Wir sind Idealisten", sagte Rogge. "Idealismus ist etwas, das mit Naivität verbunden ist." Das ist das Bild, das die Olympia-Funktionäre am liebsten von sich malen: Die leicht naiven Sportsfreunde, die doch nur schöne Spiele organisieren wollen. Kritische Töne – wenn auch bei Sportjournalisten nicht die Regel – stören also nicht nur die Chinesen. Seinen Funktionären hilft das IOC beim Umgang mit renitenten Reportern mit einem 48 Seiten starken Leitfaden. Motto: Bei schwierigen Fragen einfach mal Thema wechseln.

Doch in Zeiten global vernetzter Informationen lässt sich das harmonische Bild nach außen nur noch bedingt halten. Doch kann das IOC weiter auf Journalisten setzen, die dem olympischen Geist verpflichtet sind. So wie das Mitglied der Redaktionsleitung der Nachrichtenagentur sid (Sport-Informations-Dienst), das am vergangenen Freitag das Ende der chinesischen Internetzensur meldete und in einem Kommentar die Kollegen schalt, mit dem IOC zu hart ins Gericht gegangen zu sein.

Etwas voreilig, wie sich bald herausstellte, nachdem sich der Journalist Jens Weinreich in seinem unbedingt empfehlenswerten Blog über die sid-Meldungen gewundert hatte. Am Samstag musste der sid die Meldungen zurückziehen und korrigieren – für eine Agentur der GAU. Der verantwortliche Redakteur wurde kurzerhand abberufen. Ihm bleibt zum Trost ein olympischer Moment: Am heutigen Mittwoch darf er – wie einige andere Journalisten auch – kurz die olympische Fackel tragen.

Siehe zum Thema auch:

(vbr)