SPD-Sprecher verreißt die rheinischen Sperrungsverfügungen
Der Netzpolitiker Jörg Tauss kritisiert die Anordnungen aus Düsseldorf als politisch fehlgeleitet und rechtlich untragbar.
Der Beauftragte für Neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, hat die von seinem Parteigenossen Jürgen Büssow an mehr als 80 Internet-Provider in Nordrhein-Westfalen adressierten Sperrungsverfügungen gegen zwei US-Websites bekannter Neonazis in ungewöhnlicher Schärfe kritisiert. In einer heise online vorliegenden Stellungnahme zum Vorgehen des Düsseldorfer Regierungspräsidenten, der zugleich auch Wächter über die Mediendienste-Anbieter seines Lande ist, bezeichnet Tauss die umstrittene Anordnung als "in politischer Perspektive fehlgeleitet und in rechtlicher Hinsicht unhaltbar."
Für den forschungspolitischen Sprecher der SPD steht fest, "dass der politische Schaden infolge der rechtswidrigen Sperrungsaufforderung groß ist." Auch das Image des Medienstandortes Nordrhein-Westfalen habe gelitten. Der von Büssow an den Tag gelegte Aktionismus bedrohe "die vertrauensvolle und beidseitig verlässliche Zusammenarbeit zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft", da sich die Düsseldorfer Bezirksregierung an Absprachen wie vereinbarte Widerspruchsfristen gegen die Sperrungsverfügung nicht gehalten habe und die von den Zugangsanbietern vorgebrachten prinzipiellen Einwände nicht berücksichtigt wurden.
Die von Büssow den Providern nahe gelegten Sperrmaßnahmen wie die leicht zu umgehende DNS-Umleitung und Proxy- oder Router-Lösungen überschreiten laut Tauss "die Schwelle von der Einzelfallmaßnahme in Richtung einer verfassungsrechtlich bedenklichen Schaffung einer präventiven Infrastruktur zur Inhaltekontrolle im Internet."
Es würde der Versuch unternommen, eine zentrale Filterinstanz ins Netz einzubauen, die aus demokratischer Sicht keinesfalls wünschenswert sei. Risiken hinsichtlich einer Beeinträchtigung der freien Meinungsäußerung, der Kommunikationsfreiheit sowie der Angebots- und der Meinungsvielfalt lägen auf der Hand -- vor allem, da die Vorstellungen über jugendgefährdende Inhalte und strafrechtliche Bestimmungen international nicht einheitlich seien. In den USA etwa fallen die auf den inkriminierten Webangeboten zu lesenden Botschaften unter das Recht auf "free speech".
Der Netzpolitiker empört sich weiter darüber, dass die Sperrungsverfügung auf einer "Pervertierung des Mediendienste-Staatsvertrags" (MDStV) basiert. Tauss hatte selbst die 1997 erlassene "Multimedia-Gesetzgebung", zu der der MDStV gehört, von Anfang an kritisch begleitet. Damit "war unter anderem beabsichtigt, insbesondere die Access-Provider von der Verantwortlichkeit für die von ihnen übermittelten Inhalte freizustellen", erinnert er nun an den eigentlichen Zweck des Gesetzes. Die Ausnahmebestimmungen in § 18 Absatz 3 MDStV seien "eng" auszulegen. Die von Büssow akzeptierte DNS-Umstellung greife dabei nicht, da sie eine "bloße Erschwerung oder Behinderung des Zugangs" darstelle und kein effektives Mittel zur Sperrung von Websites sei.
"Ließe man es zu", schreibt Tauss, "dass Access-Provider stets schon dann ordnungsrechtlich verantwortlich sind, wenn der Zugang zu im Ausland in das Internet gestellten Inhalten nur erschwert werden kann, wäre dies eine weite Auslegung". Dadurch würde das Regel-Ausnahme-Verhältnis ins Gegenteil verkehrt. Eine echte Sperrung sei nach dem Stand der Technik aber nicht möglich, wie selbst die von den Jugendministerien der Länder eingerichtete Aufsichtsstelle jugendschutz.net auf ihrer Homepage ausführe.
Letztlich ist dem SPD-Politiker zufolge der mit der Sperrungsanordnung eingeschlagene Weg für Provider unzumutbar und unverhältnismäßig. Er generiere mittelfristig einen erheblichen Aufwand, ohne den Jugendschutz tatsächlich zu gewährleisten. Da noch zahlreiche weitere vergleichbare Inhalte rechtsextremen Charakters im Netz zu finden seien, dürfte die vermeintliche "Sperrung" von zwei Internetangeboten den Schutz der deutschen Bevölkerung vor Volksverhetzung nur unwesentlich vergrößern. Im Gegenteil sei sogar anzunehmen, dass die mit der Sperrungsanordnung verbundene Öffentlichkeitswirkung dazu geführt habe, dass nun mehr statt weniger Nutzer auf die illegalen Inhalte zugreifen. (Stefan Krempl) / (anw)