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Was war. Was wird.

Nicht nur Würmer scheinen nicht auszurotten zu sein, die digitale Variante kann mittlerweile gar auf 15 Jahre Überleben zurückblicken. Leider sterben auch die ideologischen Verwerfungen mancher Unzeitgenossen nicht aus, bedauert Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Vor 491 Jahren wurde die Sixtinische Kapelle geöffnet, an der Michaelangelo mit seiner Truppe vier Jahre lang gemalt hatte. Der Petersdom, das teuerste Bauwerk seiner Zeit, wurden von der katholischen Kirche mit Parkzetteln für die sündige Seele finanziert. Am Freitag vor 486 Jahren schlug Martin Luther 95 Thesen gegen den Ablasshandel an das Tor der Schlosskirche Wittenberg. ""Er veränderte die Welt für immer", behauptet der Film zum Anschlag in der Diktion des 11. September 2001. Mit Uwe "Fußball" Ochsenknecht als Papst können auch Katholiken der rauen Wirklichkeit entfliehen.

*** Juden haben es etwas schwerer, sind sie doch von christlich-demokratischen Politikern zum Tätervolk auserwählt worden, auch wenn der Redetext gerade ausgetauscht wurde und der Redner das unsägliche Pamphlet mittlerweile nicht mehr so gemeint haben will -- nachdem er zuvor entweder die eigene Dummheit offenbarte oder aber seine Zuhörer für dumm verkaufen wollte, indem er seine Äußerungen ausgerechnet mit Berufung auf Zitate des bekennenden Antisemiten Henry Ford begründete. Das lustige Judenkegeln, das "Heidenwerfen" der Klöster, wurde in der Reformation nach Luther verboten, doch gibt es Traditionen, die bis heute halten. Nun hat man bei den Luthers gegraben und jede Menge Geflügelknochen, Murmeln und Schellen gefunden. Was immer noch besser ist als der braune Dreck, den man bei Hohmanns finden dürfte, wären dort Grabungen angesetzt.

*** Hohmanns Parteigenosse und Bruder im Geiste, der Brandenburgische Innenminister Schönbohm, hatte in der vorletzten Woche im Wahlkampf die Fußfessel für Schulschwänzer gefordert, weil diese schnell kriminell werden. Nun übt sich ein Fünftel der deutschen Schüler in der hohen Kunst der Schulvermeidung. Was ist das, wenn nicht ein Super-Markt für ein ganz entzückendes Geschäftsmodell? Wo elektronische Bindungen die sozialen ersetzen, kann man den Eltern jeden Unsinn aufschwätzen. Dass Mobiltelefone im Unterricht nicht angeschaltet sein dürfen, ist dabei noch das kleinste logische Problem. Wie wäre es mit dem Einsatz eines IM, der Deutschland gemäß Pisa-Studie nach vorne katapultieren kann und gleichzeitig den Schüler überwacht! Das Ganze kann ja mit behavioral Marketing finanziert werden, bis die vierte Kulturtechnik greift und die malade Wirtschaft anschwingt.

*** Heute vor 15 Jahren kam er über die Menschheit , der Internet-Wurm des Robert Morris Junior. Der Wurm vermehrte sich ganz anders, als es sein Schöpfer geplant hatte und so schickte er eine besorgte Nachricht an alle da draußen, wie der Wurm zu töten war. Natürlich kam die Nachricht nicht durch. Für den ersten Wurm dieser Art erhielt Morris Junior drei Jahre auf Bewährung, musste 400 Stunden gemeinnützig arbeiten und 10.400 Dollar Schadensersatz zahlen. Später wurde Morris Organisator der Ig Nobel Preises. Das ist die offizielle Geschichte. Die inoffzielle hat damit zu tun, dass der Vater von Robert Morris Chefwissenschaftler der NSA war und einen Wurm konstruieren sollte, die russischen Computersysteme außer Gefecht zu setzen. Morris Junior, der als Kind gerne mit der Enigma spielte, hatte Papas Projekt einfach nur verfrüht losgelassen. Heute sind Würmer so alltäglich wie Herbstschnupfen oder Reden über die kommende Sicherheit von Computern. Was noch alltäglicher ist: grottenschlechte Dokumentationen verkorkster Programme. Unter diesem Aspekt sollte das 10-jährige Jubiläum des Linux Documentation Project als positives Datum gewürdigt werden.

*** Zu den traurigen Daten dieser Woche zählt der Tod von Hal Clement im Alter von 81 Jahren. Sicher nicht der aufregendste Autor im Bereich der Science-Fiction, bemühte sich Clement immerhin darum, dass noch auf den seltsamsten Planeten die Gesetzte der Physik eingehalten wurden. Zeit seines Lebens wandte er sich vehement gegen idiotische Sternenreisen mit Überlichtgeschwindigkeiten.

*** Werden wir einen Moment philosophisch und fragen uns, was der Hacker braucht, um glücklich zu sein. Erstens eine Axt, zweitens pangalaktisches Gurgelwasser und dann noch ein Erkennungszeichen, das ihn vom normalen Waldarbeiter unterscheidet. Alle haben so etwas, nur der Hacker nicht. Da gibt es Pinguine, Kamele, Stachelfische und Teufelchen, womöglich noch in sexgerechter Plüschausführung. Der Hacker hat nichts dergleichen. Dieses Minus will Eric S. Raymond ausgleichen und hat ein Logo für die echten Hacker entworfen. Man kann es als Roller interpretieren oder als Schussresultat des Waffenfans Raymond, man kann eine Lebenform im Sinne Steven Wolframs in dem Logo finden. Nur zum Sex taugt es nicht. Auf subtile Weise erinnert das Hacker-Logo an die Firma Nike, die eigentlich Füße anzieht und sich gerade heftig dagegen wehrt, dass Kunstaktivisten den Nikeplatz in Wien, die Piazzanike in Rom oder die Nikestraße in Berlin kreieren. Dem Hacker-Logo fehlt ferner der Tierbezug. Der ist aber im Fall einer möglichen Heirat nicht ganz unwichtig. Was fehlt? Die richtigen Interpreten für Stallmanns Hacker-Song. Einer erste Auswahl geistert durch das Netz.

*** Zu den überraschenden Meldungen dieser Woche zählt nicht die Abgabe von LKW-Mautdaten an die Polizei oder das Gejammer der Musikbranche über 259 Millionen raubkopierte CDs in Deutschland. Viel eher ließ die Meldung aufhorchen, dass Microsoft und Google miteinander verhandeln sollen. Prompt schwirrten die Microsoft-Falken und Google-Geier aus, den nächsten Fall ins Auge zu nehmen, wie Microsoft seine Marktmacht missbraucht. Über die Jahre ist Google von einer schlanken, brauchbaren Suchmaschine zu einem Ramschkaufhaus mutiert, bei dem die meisten Suchläufe in seltsamen Buchshops enden. Politisch richtet sich Google nach den Zensurbestimmungen der Länder, in denen es Geschäfte macht. Ökonomisch warten die letzten unter den Bobo-Abenteurern auf den richtigen Zeitpunkt für einen Börsengang. Microsoft wollte einstmal eine tolle Suchmaschine bauen. Sinnigerweise saß die Firma einem inzwischen tragisch gestorbenen Hochstapler aus Bayern auf, der die Forschungen seiner Landsfrau duplizieren wollte. Eine Annäherung von Google und Microsoft ohne das Quietschen der Kartellbehörden ist schwer vorstellbar.

Was wird.

Die Datev hat bekanntlich schon abgewunken, weil ihr eine Uralt-Version von Btrieve schwer zu schaffen macht: Nichts ist mit Linux. Am Dienstag tagt die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik zum Thema, wie die kommenden IT-Systeme der Bundeswehr beschaffen sein sollen und ob nicht Linux eine tolle Kampfmoral an den Tag legt, wenn es um Information Superiority geht.

Am Donnerstag gibt es den Fall zu berichten, dass eine Jury einen Preis für die Verteidigung der Bürgerrechte in der digitalen Gesellschaft wiederum an eine Jury verleiht, die die deutschen Big Brother Awards verliehen hat. Wie nötig das ist, zeigt die Tatsache, dass bereits die ersten Nominierungen für den Datenkraken 2004 einlaufen. Man nehme nur die aktuelle Kolumne Gewissensfragen des SZ-Magazins, in dem ein Netzwerk-Administrator einen Porno-Kollegen im Guten erpressen will. Oder man freue sich an der Warnung vor den Datenschutz raubenden Rabattsystemen, die bei Big Brother seit Jahren in der Kritik sind.

Gerne kritisiert, häufiger noch belächelt sind die findigen Nigerianer, gewissermaßen die Hobos der Dot.com-Ökonomie. In Australien wurde, was selten genug ist, ein lokaler Nigerianer verhaftet. Dieser Informationsfetzel steht unter "Was wird", weil jeder von uns seine Konten öffnen soll. Selbst wenn sie muggelfrei bei der Gringott Bank geführt werden. Jeder ist dran, auch Harry Potter, der am nächsten Samstag mit seinem ganz eigenem Scam bei uns zuschlagen wird. (Hal Faber) / (jk)