Offener Standard fĂĽr "Network Centric Warfare" gefordert
Die deutsche wehrtechnische Industrie möchte technologische Alleingänge der USA bei der vernetzten Kriegsführung der Zukunft verhindern.
Die deutsche wehrtechnische Wirtschaft macht sich Sorgen, dass sie keinen Anschluss ans digitale Schlachtfeld findet. Die vernetzte Kriegsführung (Network Centric Warfare), in der Internet-gestützte Sensoren und Aufklärungssysteme dem Soldaten im Feld idealerweise maßgeschneidert die gerade benötigten Informationen servieren, ist eine amerikanische Erfindung. Bislang bestimmen daher in diesem jungen, erstmals in Afghanistan und dem Irak-Krieg eingesetzten Bereich der Informationstechnologie amerikanische Konzerne wie Boeing mit untergeordneten Systemintegratoren oder Microsoft die Gangart und die Software. Doch auch Truppenteile der NATO-Staaten sollen im Rahmen einer ersten "Response Force" in den kommenden Monaten für den netzwerkzentrierten Krieg aufgerüstet werden. Die Bundeswehr will sich in diesem Prozess nicht nur als Zuschauer, sondern als gestaltender Partner beteiligt wissen. Dafür braucht sie die Unterstützung der einheimischen Rüstungsindustrie. Die will bei der Lösungsfindung ein Wörtchen mitreden.
Die USA seien zwar der absolute Maßstab, was Network Centric Warfare (NCW) angehe, erklärte Michael Krüger von der Abteilung Defense and Civil Systems bei der Münchner EADS auf dem Symposium Network Centric Capabilities der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Aber eine "US-Plug&Play-only"-Lösung dürfe es in diesem Bereich nicht geben. Die im NATO-Prozess geforderte Interoperabilität auf der Truppenebene erfordere auch die Interoperabilität der Sensor-, Informations- und Waffensysteme, ergänzte Harald Buschek, Leiter Systemanalyse der zur fränkischen Firma Diehl VA-Systeme gehörenden Bodenseewerk Gerätetechnik GmbH (BGT). Damit die vernetzte Kriegsführung überhaupt Sinn mache, müssten alle relevanten Teilnehmer am Netzwerk teilnehmen können. "Wir brauchen einen freien Zugang und eine gemeinsame Definition der Schnittstellen", forderte Buschek. Diese dürften nicht proprietär und "nicht patentrechtlich geschützt sein und werden idealerweise von Amtsseite verwaltet".
In europäischen Militärkreisen wird dieser Anspruch unterstützt. Die geforderte "Koalitionsfreundlichkeit" der künftigen netzwerkzentrierten Kriegsplanungen brauche "Standards, Standards, Standards", betonte Rickard Nordenberg, ehemaliger Captain der schwedischen Streitkräfte, die der Bundeswehr schon ein Stück weit voraus sind bei der Umsetzung des von den USA vorgemachten militärischen Transformationsprozesses. Der Berater für künftige Technologien des schwedischen Führungsstabs will daher auf der Ebene hinter gängigen Betriebssystem-Architekturen offene Schnittstellen platziert wissen. Diese Plattformen dürften "nicht von den Update-Zyklen von Firmen wie Microsoft abhängen", erklärte Nordenberg gegenüber heise online. Das wäre viel zu teuer und zeitkritisch, was sich mit militärischen Anforderungen nicht vereinbaren lasse.
Auch funktional glaubt die deutsche wehrtechnische Wirtschaft ihr Scherflein zu kommenden Systemen für die total vernetzte Kriegsführung beitragen zu können. Selbstorganisierende Netze, Datensicherheit, verteilte Datenspeicher in Netzwerken, Agentenumgebungen und Logistiksysteme sind Bereiche, denkt Buschek, in denen die Forschung und Entwicklung in Deutschland teilweise schon weiter sei als jenseits des Atlantiks. Auch beim Einsatz von Content-Management-Systemen und Filtertechnologien könne man behilflich sein, befand Krüger. Der EADS-Vertreter sieht aber auch die Notwendigkeit, die europäischen militärischen Forschungsanstrengungen zunächst selbst weiter zu vernetzen. Der alte Kontinent brauche wohl "etwas wie die DARPA", gab Krüger zu bedenken und spielte damit auf die Denkfabrik des Pentagons, die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), an, die unter anderem den Anstoß zur Gründung des Internet gab.
Generell fühlen sich viele traditionelle Firmen von den Bundeswehrplanern, die munter "Partnerschaften" für NCW-Experimente mit der Industrie eingehen, aber dafür bislang nichts bezahlen wollen, von der militärischen Führung im Regen stehen gelassen. "Wir können nicht immer nur in Studien und Ideen investieren", warnte Burkhard Theile, Hauptabteilungsleiter bei der Rheinmetall DeTec AG. In Berlin habe anscheinend noch niemand begriffen, dass es die viel beschworene militärische Transformation nicht zum Nulltarif gebe. Die USA würden allein in den Forschungs- und Entwicklungsbereich für NCW sechs Mal so viel wie Gesamt-Europa pumpen, sprang Krüger dem Mitstreiter bei. Großbritannien wolle daher 1,5 Milliarden britische Pfund in den nächsten drei Jahren investieren, "um aufzuschließen". Die Bundeswehrstrategen dagegen "müssen erst die Politik überzeugen", entschuldigte sich Brigadegeneral Manfred Engelhardt fast schon für die leeren Kassen. Die Konzeption zur Schaffung der "vernetzten Operationsfähigkeiten" werde aber in den kommenden Monaten erstellt und dann müsse man auch die Umschichtung von Etat-Teilen prüfen. Über den Sinn und Zweck der neuen Form der Kriegsführung macht sich dagegen hierzulande zumindest auf militärischer Ebene anscheinend niemand mehr Gedanken.
Siehe dazu auch:
- Bundeswehr richtet sich auf "Network Centric Warfare" aus
- Ping of Death -- Militärs setzen auf vernetzte Kriegsführung, c't 19/2003, S. 88
(Stefan Krempl) / (jk)