Jugendmedienschutz im Internet: Deutsche setzen zu sehr auf Verbote

Juristen kritisierten die neuen Jugendschutzbestimmungen, die auch für das Internet gelten, als tendenziell verfassungswidrig; Jugendschutz-Verantwortliche verteidigten etwa die Einschränkungen für Pornografie-Anbieter.

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Von
  • Monika Ermert

Der im April eingeführte Jugendmedienschutzstaatsvertrag (JMStV) widerspricht in Teilen dem Zensurverbot des Artikels 5 Grundgesetz: Diese harte Kritik an dem neuen Gesetzeswerk übte bei einer Veranstaltung der Saarländischen Landesmedienanstalt (LMS) und des Europäischen Instituts für Medienrecht (EMR) zu "Pornografie im Pocketformat" der Leipziger Juraprofessor Heribert Schumann. Das neue Gesetzeswerk habe sprachliche, handwerkliche und juristische Defizite. Schumanns Beurteilung fiel damit negativer aus als die Bewertung der eingeladenen Selbstkontrolleinrichtungen Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM) und der Freiwilligen Selbstkontrolle Film (FSF).

Verfassungsrechtlich verbotene Vorzensur finde dann statt, meinte Schumann, wenn Webseiten indiziert würden und anschließend neue Inhalte vorlegen müssten, damit die Indizierung wieder aufgehoben wird. Anders als im Bereich klassischer Printmedien seien Webinhalte eben dynamisch. Daher sei die Indizierung von Webadressen, die nun in der Verantwortung von Kommission für den Jugendmedienschutz (KJM) und Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien liegen, hoch problematisch, sagte Schumann gegenüber heise online. Für rund 80 Webseiten wird nach Angaben der KJM derzeit ein Indizierungsantrag geprüft.

Insgesamt stellt der Jurist dem Gesetzgeber ein miserables Zeugnis aus. Er habe nicht nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen gearbeitet -- Pornographie oder Entwicklungsbeeinträchtigung sind zu wenig definiert --, sondern noch nicht einmal auf Konsistenz innerhalb des Staatsvertrags geachtet. Über die verfassungsmäßig gebotenen Ziele im Jugendschutz sei man hinausgeschossen. "Wir leiden an Überregulierung", sagte Schumann. Ganz offensichtlich neige man in Deutschland allzu schnell zu Verboten. "Man sieht immer erst die Gefahren, und nicht die Chancen. Freiheit wird nicht geschätzt, allenfalls die Freiheit der Wirtschaft." Die besondere Betonung des Pornographieverbotes hält er vor allem im Vergleich zur liberaleren Beurteilung von Boxkämpfen, bei denen in Slow Motion gezeigt werde, wie sich die Boxer die Nasen brechen, für unverständlich. "Es soll mir mal jemand erklären, was an einvernehmlicher Promiskuität rechtlich zu beanstanden ist." Der strikte deutsche Pornographiebegriff sei auf Dauer unhaltbar. Und Österreich beispielsweise komme mit deutliche weniger Regulierung aus, ohne dass in der Alpenrepublik Sodom und Gomorrah Einzug gehalten hätten.

Schumanns Verdikt blieb nicht unwidersprochen. Jörg Ukrow, Mitglied im EMR-Vorstand, betonte den hervorgehobenen Rang des Jugendschutzes, der die Einschränkung anderer verfassungsrechtlicher Rechte eben genau vorsehe. Regina Käseberg, Jugendreferentin des für den Staatsvertrag federführenden rheinland-pfälzischen Familienministeriums, sagte, der Staat müsse sich heute mittels Schule und Jugendhilfe sogar mehr für den Jugendschutz engagieren als früher, weil die Erziehungsverantwortung in den Familien abgenommen habe. Als Beispiel für den unbestimmten, neuen Begriff der "Entwicklungsbeeinträchtigung" nannte Käseberg aggressive Werbung für "Alkopops" gerade für Teenager. Der Leiter von jugendschutz.net, Friedemann Schindler, verwies in diesem Zusammenhang auf "Rüttelbilder", Popups von Erotikanbietern, die sich nacheinander öffnen, wenn der mehr oder weniger jugendliche Nutzer versucht, sie zu schließen. Käseberg sagte, der Staat müsse sich bei der Auslegung des Pornografiebegriffs daran orientieren, was gesamtgesellschaftlich als für Jugendliche schädlich angenommen werde. Sie hält eine Nivellierung zugunsten einer EU-Harmonisierung gar nicht für erstrebenswert.

Mit der Neuverteilung der Bund-Länderkompetenzen im Jugendschutzgesetz und dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag und der zentralen Kommission für den Jugendmedienschutz habe man Neuland betreten, betonte Käseberg. Die Rolle der Selbstregulierungsorganisationen in den beiden Systemen ist unterschiedlich. Haben Videofilm oder Computerspiel einmal eine Altersfreigabe, sind sie auf der sicheren Seite. Beim Jugendmedienschutz, der Rundfunk, Telemedien und vor allem das Internet betrifft, sind sie vor dem Verdikt durch die KJM noch nicht geschützt. Ganz an die Medienpolitik abgeben will man das Thema ungern, meinte Käseberg. In fünf Jahren soll überprüft werden, wie praxistauglich das neue System ist und ob man Kompetenzen in die richtigen Hände gelegt habe. (Monika Ermert) / (jk)