Die Zukunft der Chipkartenindustrie hängt an Staatsprojekten

Die europäischen Größen der Smartcard-Branche feiern mit Ausweiskarten im Nahen und Fernen Osten Achtungserfolge, wollen jetzt aber auch endlich mit den Heimatregierungen ins Geschäft kommen.

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Die Chipkartenindustrie, die traditionell in Europa stark und verwurzelt ist, feiert ihre größten Erfolge momentan auf anderen Kontinenten. "Das erste System in der Welt mit einer multiapplikationsfähigen Karte haben wir gerade in Macao implementiert", erklärte Franz Haniel, Mitglied der Geschäftführung von Giesecke & Devrient (G&D) in München, auf einer Veranstaltung zum Thema "gute Geschäfte" auf der Omnicard in Berlin. In der vormals portugiesischen und inzwischen zu China gehörenden Provinz werden die rund 550.000 Bürger seit kurzem mit einer Ausweiskarte ausgestattet, die eine auf biometrischen Daten beruhende Identifikationslösung sowie die Grundtechnik fürs digitale Signieren beinhaltet.

Die dortige Regierung habe die technische Aufrüstung mit der Smartcard gewünscht, erklärt Haniel, um den "kleinen Grenzverkehr" von täglich etwa 100.000 Personen gut im Griff zu haben. Darüber hinaus will sie den digitalen Ausweis für Effizienzsteigerungen der Bürokratie nutzen. Etwa elf Millionen Euro lässt sie sich das insgesamt kosten. Die Chipkarte, deren Herz ein 32-Bit-Java-Crypto-Controller von Infineon bildet, ist daher um künftige Einsatzszenarien fürs E-Government erweiterbar. In Macao gebe es bereits erste Kioske, über die die Bürger Autokennzeichen anmelden, Führerscheine verlängern oder neue Zusatzfunktionen auf ihre Karte laden könnten, berichtete der G&D-Manager. Internetnutzer könnten das natürlich gleich von Zuhause aus machen.

Gilles Michel, der beim Marktführer Gemplus die Bereiche Finanzwesen und Sicherheit leitet, konnte dagegen mit einem im Herbst gewonnen Auftrag aus Oman auftrumpfen: Das Sultanat hat über 1,2 Millionen chipgeschmückte Ausweis-Karten bei den Franzosen bestellt. Auch im Nahen Osten sind für die landesweite Lösung biometrische Erkennungsmerkmale gewünscht. So sollen neben persönlichen Daten wie Name, Adresse auch Foto und Fingerabdrücke auf der Java-Card gespeichert werden. Darüber hinaus soll die Karte auch als Führerschein und Reisepass dienen und um weitere Applikationen, wie die Speicherung medizinischer Notfalldaten oder E-Government-Anwendungen, erweitert werden. Im Sultanat wird das Großprojekt von der Royal Oman Police betreut, die gleich auch neue technische Erkennungsmittel in Zusammenarbeit mit Gemplus erlernen will.

Insgesamt baut die Branche momentan hauptsächlich auf staatliche Großprojekte und den Wunsch von Regierungen nach dem 11. September, ihre Bürger besser identifizieren zu können. "Jeder versucht verzweifelt, seine Kapazitäten auszulasten", gab Haniel offen und mit leichtem Bedauern im Rückblick auf deutlich fettere Jahre zu. Sein Haus habe zwar auch 2001 und 2002 im Bereich Chipkarten schwarze Zahlen geschrieben. Doch "wir müssen unsere Wertschöpfungskette nach hinten zur Konzeption hin und nach vorne zur Implementierung und zum Betrieb ergänzen", sagte der Smartcard-Produzent. Die Wachstumserwartungen der Industrie lägen dabei auf Identifizierungskarten und abgeschwächt noch im Zahlungsverkehr. Der Bereich Identifikation (ID) "wird dieses Jahr groß", hofft auch Jürgen Kuttruff, Sicherheitschef bei Infineon. Fünf Milliarden Chips habe seine Firma in diesem Sektor bereits abgesetzt. Eine solche Ausweiskarte werde von den Bürgern inzwischen akzeptiert, da sie ihr Negativ-Image vom "gläsernen Menschen" hinter sich gelassen habe.

Da scheint es nur seltsam, dass die Größen der Branche ihre Auslandserfolge bisher trotz allen Drängens nicht auf ihre Stammmärkte ausdehnen konnten. "Uns wäre nichts lieber, als in unserem Heimatland solche Projekte umzusetzen", sagte Haniel denn auch. Aber die Entscheidungsprozesse in Deutschland seien nun mal um ein Vielfaches länger. Dass Studien wie vom Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag noch viele Fragen zum Großeinsatz biometrischer Systeme ungeklärt sehen, verschwieg der Manager. Gutachter sollen daher momentan klären, ob die der Industrie vorschwebenden Kombikarten überhaupt technisch und volkswirtschaftlich Sinn machen. (Stefan Krempl) / (jk)