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Was war. Was wird.

Die unerträgliche Spannung hat ein Ende: Aber ob Hal Faber und Desiatox das neue Traumpaar des Internet werden, ist die eine Frage, die andere, ob Geschichte sich wirklich nur als Farce wiederholen kann.

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Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ein folgenschweres Versprechen gab Hal vor zwei Wochen: Ein Stück seiner Kolumne für den oder die, der oder die seinen Geburtstag anhand der Zahl Pi errät. Für einen WWWW-Leser der ersten Stunde und Veteran des Heise-Forums natürlich kein Problem – so machte ich das Rennen. Die Erwartungen lasten nun schwer auf mir: Ist das der Beginn eines neuen Gespanns? Batman und Robin, Erwin und Dust Puppy – Hal und Desiatox? Aber nein, Hals kleiner Freund kommt von IBM, führt anregende Konversationen über das "Erste Mal" und sprüht ab und zu mit Eiswasser. Schade. Ich melde mich nicht aus der norddeutschen Tiefebene, sondern aus der Mitte der Kölner Bucht. Dort bin ich abgeschnitten von den aktuellen Entwicklungen des Internet. Nicht nur Iloveyou und Kournikova-Mails versäumten es, in meinem Postfach zu landen, auch der Sircam-Virus hielt mich nicht für wert, die vertraulichen Daten meiner Mitmenschen zu erhalten. Nicht einmal Code Red sah vorbei, ob ich nicht doch den Internet Information Server installiert habe. Nun stecken meine Anmerkungen zur Woche also wie Viren in Hals Kolumne, zwei an der Zahl. Welche es sind? Eine gute Frage, eine sehr gute Frage. Wer sie also findet, ist nächste Woche Gastkolumnist.

*** Übrigens: Desiatox ist natürlich vom Wettbewerb ausgeschlossen, das wäre denn doch zu einfach. Zu einfach, wie etwa die Nachricht der letzten Woche herauszufinden. Stürzen wir uns also mitten in den Rückblick: Letzte Woche also, vor 5.300 Jahren: Ötzi ist ermordet worden. Im ersten europäischen Tiefkühlmuseum haben Forscher einen Pfeil-Einschuss entdeckt und die Interpreten auf Trab gebracht. War es ein Krieg, der um jeden Preis verschleiert werden musste, war es der Versuch, die "Information Superiority" eines anderen zu brechen? Oder war es schlichte Eifersucht? In Italien berichten die Zeitungen bereits von Ötzis Frau Gertrude, die einen rasenden Sex-Unhold abgewiesen haben soll. Triebstaumäßig hat der dann einen Pfeil auf den Bogen geklemmt. Der Rest ist eingeeiste Geschichte auf einer Kugel, deren Kontinente locker 200 Millionen Jahre jünger sein können als bisher angenommen. Aber das hat schon Ötsi nicht gejuckt, als sein Stündlein schlug.

*** "Was ein Wahnsinn mit den Lebensabschnittspartnern", wird er wohl da oben in den Höhen gedacht haben, in die er sich schleppte. Wir wenden uns darum mit Ötzi der ebengleichso vereinnahmten Lady Di zu, die heute vor 20 Jahren ihrem Prinzen Charles das Yes/Abort/Ignore gab. Und jetzt pusten wir alle eine Kerze im Wind aus. Ob sich Ötzi und Gertrud trennten wie Charles und Diana wissen wir nicht. Damals war das Medieninteresse halt noch nicht so groß. Vielleicht hat Ötzi seine Gertrud einfach verstoßen. In arabischen Ländern geht das noch heute und praktischerweise via SMS: Im Juni berichtete die Gulf News von einer Scheidung via SMS, die nach der Scharia rechtens sei. Wenn der Mann drei Mal "Ich scheide dich" ausspricht oder mailt und die Frau diese Nachricht empfängt, sollte die Verbindung gelöst sein. In der letzten Woche debattierten islamische Geistliche diesen Fall sehr kontrovers: Die Scheidung ist nur dann gültig, wenn die Frau sich überzeugen kann, dass die SMS (oder E-Mail) kein Hoax ist und wirklich vom Ehemann abgeschickt wurde. Wie eine beweiskräftige Signatur aussieht, entscheidet der Koran.

*** Ja, es war – wie eigentlich jede Woche – eine Woche des Abschieds. "I'm a poor lonesome cowboy, I'm a long, long way from home." Maurice de Bévère, alias Morris, ist gleich seinem Lucky Luke zum letzten Mal dem Sonnenuntergang zugeritten. "Aus Zeichen bist du geboren, zu Zeichen sollst du werden", so ist der Welten Lauf. Uns bleibt das Rätseln über den "häuslichen Arbeitsunfall", an dessen Folgen Morris gestorben sein soll. Im realen Leben kommt es nicht gut, wie Rantanplan gegen die Mauer zu rennen. Andere Abschiede fallen leichter. Das Rabattgesetz wurde nach 68 Jahren gestrichen, das große Feilschen kann beginnen. Dass dabei der Verstand auf der Strecke bleibt, wird zu verschmerzen sein – Multitasking beim Kaufen mit Prozentrechnen im Kopf ist halt nicht Sache des Menschen. Alle werden jetzt beträchtliche Schnäppchen machen wollen, wenn eBay ins richtige Leben überschwappt. Mit dem Rabattgesetz wurde auch die Zugabeverordnung gestrichen. Ab sofort gibt es den Vibrator zum Handy, das Handy zum Auto, das Auto zur Yacht – ein Fisch pro Antiquität und eine Antiquität für jeden Fisch.

*** Immer wieder wird behauptet, dass das Heise-Forum ein Männchen-Forum ist. Dabei ist es das Internet selbst, das in Deutschland so mannhaft daher kommt. Da macht es schon einen rechten Sinn, wenn hierzulande unter dem Namen des entsexualisierten Ken eine Software daherkommt, die die indizierten Links der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften als Sperrliste nutzt. Die "effektivste Porno-Sperre am Internet-PC", wie es in der Pressemeldung heißt, kommt mit 500 Links aus: Das Netz ist sauber von anders Denkenden, anders Handelnden. Wie man Schweinskram definiert, damit hatte letzte Woche auch Microsoft Probleme. Ausgerechnet die Schweizer Dependance der Redmonder ließ einen Werbefilm für Office XP drehen, der in den USA als anstößig empfunden wurde und daher vom Netz genommen werden musste. Ach, wären doch alle BHs nur passwortgesichert!

*** Immerhin, wie versprochen, hat sich Microsofts Craig Mundie mit Richard Tieman duelliert und, wie geahnt, fiel die Sache handzahm aus, weil Mundie seinem alten Kollegen Tieman mit einem großen Olivenzweig Freundschaft winkte. Alles blieb friedlich, sehr O'Reilly-friedlich. Skepsis bleibt, ob Microsoft wirklich Open Source verstanden hat, ein Konzept, das weiter will als bis zum nächsten BH. Wie es Richard Stallmann in Indien auf seine gepuderte Weise erklärte, ist Open Source ein Mittel zur Überwindung des "Digital Divide". Als "numerischen Graben" übersetzte den die gelehrte Wochenzeitung "Freitag" in ihrem Interview mit Michel Serres. Ein numerischer Graben, an dem sich binäre Kontinente reiben, ergibt auch ein schönes Bild, wie ein spotzender Ätna.

*** Wer uns –ha, vergessen? Also, nochmal: Ist das jetzt Desiatox oder Hal? Egal, wer uns bis hierhin gefolgt ist, darf sich jetzt auch ein paar Watsch'n abholen, denn er oder sie hat wahrscheinlich auch nichts besseres verdient und gehört wie so manch anderer zu all den Besserwissern. In deren Natur liegt, wie der Name ihrer Spezies manch Zeitgenossen nahe legen mag, eben alles besser zu wissen – und so werden sie auch nicht müde zu wiederholen, dass der PC natürlich nicht seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. Denn einen Personal Computer gab es natürlich schon vor dem IBM PC. Nun ist diese Aussage so intelligent wie die Feststellung, Hal würde auch nicht demnächst Geburtstag feiern, denn das Konzept Mensch habe es schon vor Hal gegeben. So zeigt sich angesichts des 20. Jubiläums der Einführung des PC nur eines: Manche Leute wollen es hinterher immer besser gewusst haben – und die Geschichte wiederholt sich als Farce. Was etwa in dem wunderbaren Band "Die Traum-Maschine" über die "Lunch-Group und ihre Gäste" in einer Geschichte als ernsthafter sozialer Konflikt zwischen IBM-Bürokraten und Apple-Revoluzzern beschrieben wird, ist heute nur noch die alberne Kinderei derjenigen, die kein Bewusstsein über die (wenn auch kurze) Historie der Industrie haben, mit der sie sich beschäftigen. Da bleibt wohl nur noch debiles Gekreisch von der Sorte "Mit Linux wäre das nicht passiert"... "Die Traum-Maschine" erschien auf Deutsch übrigens im Jahr 1985; welcher Schreihals, der auf der Existenz des PC vor dem IBM PC zu bestehen müssen meint, kann mit Überschriften wie "Warum ich mein Model 100 liebe", "Wo sind die Vics vom vergangenen Jahr", "Erinnerungen eines Osborne" oder "Und noch die Kaypro-Geschichte" etwas anfangen? Dass ein schlecht ausgeprägtes historisches Gedächtnis immer zu Verwerfungen führt, die man später möglicherweise nicht mehr in den Griff bekommt und zutiefst bedauert, zeigen jedoch nicht erst dumpfbackige Glatzen. Bei diesen Leuten ist es "vom Spatzenhirn zur Großrechenanlange" (so der Untertitel von "Die Traum-Maschine") noch ein weiter Weg. Wie zum Ausgleich sind die Apple-Revoluzzer inzwischen auch nicht viel besser als die IBM-Bürokraten; die selige Erinnerung an rotbehoste Frauen, die Big Brother mit Hämmern auf den virtuellen Pelz rücken, machte schon die letzte Wochenschau zu einer sentimental journey.

Was wird.

Ein weiterer Abschied kommt auf uns zu, der von tm3. Der TV-Sender, der sich nicht zwischen Frauen-TV und Champions-League entscheiden konnte, firmiert nun nämlich um in "9 live" und findet als "Transaktionssender" seine endgültige Bestimmung. Ziel des wiedererweckten Fernseh-Kanals: die Taste 9 auf der Fernbedienung der Zuschauer. Dazu müssen die aber zuerst herausfinden, wo sich der Kanal bisher versteckt hat. Irgendwo zwischen Home Shopping Europe und SuperRTL wird der interessierte Zuschauer (männlicher Bauart) vielleicht fündig. Denn nur dann wird er in den Genuss der längsten Erotik-Show der Welt kommen. Um den Kontrast zur Unterbrecherwerbung möglichst gering zu halten, wurde die Sendung mit kostenpflichtigen Telefonnummern gespickt, die zu so neckischen Spielchen wie "Chicken poppen" einladen. Wenn das keine Alternative zu Moorhühnern ist.

Moorhuhn hin, Moorhuhn her: Auf alle Fälle wird am ersten August erst einmal kräftig gefeiert. Dann hat MTV sein Jubiläum. Vor zwanzig Jahren ging man in New Jersey auf Sendung, mit einem beziehungsreichen Song: "Video Killed the Radio Star" des verkrachten britischen Duos "The Buggles", das danach in die Reste von Yes aufging. Verneigen wir uns vor Trevor Horn, dem selbst akklamierten God of Pop und seinem ewigen aus "20 Bit 44K stereoprotools gezeugten Geist" und vor allem vor MTV, das mit seinen Videos unsere Wahrnehmung so gründlich ruinierte.

Aber halt, eines fehlt: Was ist ein F-Wort? Aber nicht doch, nicht doch. Ab sofort ist es eine "noch nie da gewesene Mischung aus Kunst, Musik, Mode, Sport und E-Commerce, ein multidimensionales Erlebnis für die digitale Generation, das Substanz und Stil zusammen führt". Die letzten Bobos ihrer Art jubeln in ihrem Pressetext über den Start ihres europäischen F Magazines" am 1. August. An der vordersten Grenze des digitalen Highway wähnt man sich angesiedelt und erklärt es so: "The future of Internet traffic rushes down a one-way street called 'digital'". Na dann mal viel Spaß in der Einbahnstrasse. (Hal Faber) / (jk)