AOL Time Warner: Negativrekorde am laufenden Band

Wieder hat es der weltgrößte Medienkonzern geschafft, die Aktionäre in tiefes Entsetzen zu stürzen. Dabei läuft etwa die Filmsparte gut. Nicht so aber der Online-Dienst AOL; außerdem drückt hohe Verschuldung.

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Von
  • Hannes Bahrmann
  • dpa

Die Börsianer mussten in den vergangenen Jahren viel verkraften und die meisten halten sich inzwischen für abgebrüht. Doch wieder hat es der weltgrößte Medienkonzern AOL Time Warner geschafft, sie in tiefes Entsetzen zu stürzen: Mit knapp 100 Milliarden US-Dollar Jahresverlust, dem höchsten in der bisherigen US-Wirtschaftsgeschichte, hat sich das Unternehmen erneut in der Skandalchronik der Wirtschaftsgeschichte verewigt. Und dabei ist es noch kein Jahr her, dass AOL Time Warner sich mit einem Rekord-Quartalsverlust von 54 Milliarden US-Dollar schon einmal souverän an die Spitze gesetzt hatte.

Es handelt sich bei den Fabelsummen vor allem um Firmenwertabschreibungen, doch für die Aktionäre sind es keineswegs nur um Luftbuchungen. Seit der Mega-Fusion von America Online (AOL) mit Time Warner Anfang 2001 sind über 100 Milliarden US-Dollar Kapital verdunstet, sind die Aktien um 78 Prozent abgestürzt. In der ersten Handelsstunde verlor das Papier heute an der Wall Street 15 Prozent auf 11,89 US-Dollar. Für den größten Einzelaktionär, CNN-Gründer Ted Turner bedeutet dies, dass aus seinen 7,8 Milliarden Dollar heute nur noch 1,8 Milliarden geworden sind. Der 64-Jährige initiierte zunächst vor zwei Wochen den Rückzug von AOL-Chef Steve Case vom Amt des Verwaltungsratschefs und kündigte jetzt seinen Rückzug aus dem Amt des Vize-Vorsitzenden an.

Der Schock an der Börse wird vermutlich keine weiteren personellen Konsequenzen haben -- denn alle einstigen Verantwortlichen sind schon weg. Die jetzige Führung unter dem angesehenen Manager Richard Parsons ist mitten im Reparaturdienst, um den Medienkoloss wieder in Fahrt zu bringen. Das erklärt die Höhe der Abschreibungen wie auch die schonungslose Offenlegung der Schwachstellen des Konzerns. Damit sollen auf einen Schlag die bislang verdeckten und potenziellen nächsten faulen Zahlen aus den Bilanzen. Der von vielen gewünschte harte Schnitt ist das noch nicht, aber eine Möglichkeit, sich weniger belastet den kommenden operativen Herausforderungen zu stellen.

Der Konzern bietet ein widersprüchliches Bild: Einerseits laufen die meisten Sparten auf Kurs, manche, wie etwa die Filmproduktion sind Dank Harry Potter und Herr der Ringe auf Rekordniveau. Zwei Probleme aber machen die Zukunft unsicher.

Zum einen wäre da die hohe Verschuldung von immer noch 26 Milliarden US-Dollar. Die Banken sitzen den Managern im Genick und fordern einen zügigen Schuldenabbau. In diesem Jahr sollen es rund sechs Milliarden US-Dollar sein. Die Buchsparte steht zum Verkauf und Industriebeteiligungen wie zuletzt an Hughes Electronics sind schon zu Geld gemacht worden. Ein erstes Indiz für den Erfolg der Restrukturierung dürfte der jetzt geplante Börsengang der Kabelfernsehsparte von AOL Time Warner sein. Parsons will ihn der desolaten Marktlage zum Trotz durchziehen. Doch die Risiken sind hoch: Das Wall Street Journal berichtete von einem Wert von 4 Milliarden US-Dollar für 15 bis 20 Prozent der Anteile. Damit wäre es einer der größten Börsengänge der Medienbranche überhaupt.

Das zweite Hauptproblem ist der Online-Dienst AOL, dessen Umsätze und Profitabilität dramatisch sinken. Langlaufende Werbeverträge, die auf dem Höhepunkt der Internet-Euphorie ausgehandelt wurden, sind ausgelaufen oder enden in diesen Monaten. Man rechnet mit einem Rückgang der Werbeeinnahmen zwischen 40 bis 50 Prozent in diesem Jahr. Das Wachstum des mit 35,2 Millionen Kunden weltweit größten Online-Dienstes hat sich stark verlangsamt und ist in den USA zum ersten Mal sogar rückläufig.

Das neue Management will mit drastischen Kosteneinsparungen in Milliardenhöhe gegensteuern. Doch vielen innerhalb wie außerhalb des Konzerns erscheint es mittlerweile notwendig, einen harten Schnitt zu machen und die Fusion, die so grandios gescheitert ist, wieder rückgängig zu machen. (Hannes Bahrmann, dpa) / (jk)