Harry Potter und das Darknet

Keine zwei Tage brauchten die Fans, um "Harry Potter and the Order of the Phoenix" zu scannen, zu konvertieren und unter die Leute zu bringen.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Dr. Jürgen Rink

Je näher der Verkaufsstart von Band 5 der Harry-Potter-Serie rückte, desto umtriebiger ging es in den Tauschbörsen zu. Steht der neue Harry Potter vielleicht schon vor dem 21. Juni auf irgendeinem Server? Bei einigen Jägern und Sammlern kam schon ab Mai Goldgräberstimmung auf, nachdem sie in den Tauschbörsen tatsächlich Dateien der Art "Harry Potter 5 -- The Order of the Phoenix" fanden.

Indes verhielt es sich mit dem Harry-Potter-Band ähnlich wie mit den mageren Thestral-Tierchen in Hogwarts: Einige können sie sehen, andere nicht. Während so manche Leseratte ein neues Werk vor sich hatte, löschten andere enttäuscht die heruntergeladene Datei, nachdem sie statt Band 5 nur den alten Band 4 als Datei-Inhalt fanden. Aber auch die anderen Potter-Jäger blieben glücklos, denn sie hatten lediglich so genannte Fanfiction ergattert.

Einigen Anhängern war die Wartezeit anscheinend zu lang, bis der Phoenix aus der Asche aufsteigt und sie hauten deshalb selbst in die Tasten. Mindestens zwei dieser Neudichtungen kursierten auch in diversen Tauschbörsen. Sowohl der schlechte Schreibstil als auch der brüchige Handlungsstrang entlarven die beiden Werke schnell als Plagiate -- dennoch sah sich der Verlag genötigt, die ersten Sätze des fünften Bandes vorab zu veröffentlichen, um die heftig brodelnde Gerüchteküche abzukühlen. Nachdem jetzt der "echte" Band 5 aufgetaucht ist, dürften die vielen Fakes nach und nach verschwinden.

Tatsächlich gibt es Harry Potter and the Order of the Phoenix erst seit heute auf den Tauschbörsen. Anders als bei Martin Walsers "Tod eines Kritikers", der schon vor der Veröffentlichung durchs Darknet geisterte, tauchte die Datei des neuen Rowling-Werks nicht vorab in den einschlägigen Verbreitungskanälen auf. Erst mussten E-Book-Fans wohl den neuen Band vorgestern kaufen, Seite für Seite scannen, als Text konvertieren, Korrektur lesen und die auf diese Weise produzierte Datei an die Tauschbörsen verteilen.

Da englisches Lesematerial häufig in IRC-Channels kursiert, dürfte das neue Werk zunächst dort aufgetaucht sein. Es gibt Hinweise darauf, dass schon Sonntag morgen einzelne Kaptitel dort getauscht wurden. Danach war es nur eine Frage der Zeit, bis die kompletten 766 Seiten online und in Tauschbörsen zu finden waren. Bislang gibt es noch keine Information darüber, ob der Verlag Bloomsbury gegen die Verbreitung der Datei etwas unternehmen will -- und kann.

Die hierzulande in Boards organisierten Selbsthilfegruppen, die gedruckte Bücher in Dateien aller Art verwandeln und sich gegenseitig zur Verfügung stellen, lieben den Hype um Harry Potter gar nicht. Im beliebtesten deutschen Forum werden diesbezügliche Postings mehr oder weniger diskret entfernt, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Moderatoren fürchten um die Existenz der mühsam aufgebauten Boards, wenn Bloomsbury und Co. ihre Anwälte mobilisieren. Zwar kursieren tausende von deutschsprachigen E-Books in solchen Boards, doch blieben die Display-Leser bislang von den Verlagen unbehelligt. (jr)