Neuer Realismus in der New Economy

Entlassungen und Kursabstürze haben die Internetfirmen gebeutelt. Manch ein Mitarbeiter sucht nach der Sicherheit der "alten Wirtschaft".

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Von
  • Thomas Nagorny
  • gms
  • Thorsten Dambeck

Für Chantal Salzberg war das Arbeiten in der New Economy Jahre lang einfach nur "cool". Auch bei der 28-jährigen Start-up-Unternehmerin aus München war das verheißungsvolle Bild der Branche wie eingebrannt: Junge Agenturchefs in T-Shirts rollen auf Kickboards vom Espresso-Automaten zum Kicker, immer mit dem Praktikanten um die Wette. Es waren das Klischee, die flachen Hierarchien und die guten Aufstiegschancen, die die Ex-Managerin des Onlinemodeshops Boo.com und Gründerin des Hochzeitsportals Alafoli.de ins E-Business lockten.

"Ich bekam sofort einen Managerjob angeboten, mit 27 war das in meinem früheren Job in einer Modefirma der Old Economy undenkbar", sagt die Harvard-Absolventin. Später packte sie der Gründergeist. "Ich wollte eine eigene Firma, so groß wie Coca-Cola und ganz schnell viel Geld verdienen." So einfach war das allerdings nicht: Nun ist Chantal Salzberg wieder auf Jobsuche - in der Old Economy.

Die Zeit im Internet soll sieben Mal schneller voranschreiten als im normalen Leben, heißt es. Doch die New Economy wurde von ihrem Tempo eingeholt. Der neue Markt, der vor zwei Jahren als Boombranche galt, wird jetzt verteufelt: Aktienkurse fallen, Mitarbeiter werden entlassen. "Damals wurde viel überbewertet, heute wird allerdings vieles unterbewertet", sagt Lutz Goertz vom Deutschen Multimedia-Verband (dmmv) in Köln. Trotz der Krise sei die Internet-und Multimediawirtschaft der zukunftsträchtigste und am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig in Deutschland, resümiert der dmmv.

Der Verband kann diese Aussage auch mit Zahlen belegen: Erwirtschaftete der Bereich 1998 noch 4,4 Milliarden Mark, lag der Umsatz 2000 bei 17 Milliarden Mark. Auch in Sachen Personal habe die Branche zugelegt. Arbeiteten 1998 rund 60.000 Menschen in Multimedia-Firmen, so sind es heute rund 200.000. Laut dmmv hat es sogar einen Arbeitskräftemangel gegeben. "Im Jahr 2000 ist jede vierte Stelle nicht besetzt worden", sagt Lutz Goertz.

Auch sind laut dmmv im Multimediabereich immer mehr freie in feste Stellen umgewandelt worden. Die Zahl der Ausbildungsstellen sei ebenfalls deutlich gestiegen. "Die viel zitierte Krise in der New Economy findet besonders in den Medien und an der Börse statt", sagt Goertz. Dabei seien nur 12 Prozent aller Multimedia- und Internetfirmen Aktiengesellschaften. Rund 80 Prozent seien GmbHs. "Hier hat es kaum Entlassungen gegeben", meint Goertz.

"Viele junge Startups sind einfach zu schnell gewachsen", sagt Frank Antwerpes von der Antwerpes AG in Köln, die zum Beispiel den Internet-Auftritt der Tankstellenkette Aral realisiert hat. Antwerpes gibt den Investoren, also den Risikokapitalgebern, die Schuld an dem Zusammenbruch einiger junger Unternehmen. Die Venture-Kapitalisten stopften Gelder in Millionenhöhe in die jungen Unternehmen, damit sie innerhalb von zwölf bis achtzehn Monaten an die Börse gehen könnten. "Leider haben Venture-Kapitalisten oft keine Ahnung vom Internet", sagt Antwerpes. Die Millionenbeträge wurden oft in Marketing-Aktivitäten wie Anzeigen in Magazinen wie Spiegel oder Stern, hübsche Büroräume und lustige Gimmicks wie Kickboards und Kicker gesteckt. "Dass man auch Geld verdienen muss, wurde oder wird oft vergessen", sagt auch Chantal Salzberg.

Auch Salzbergs Firma Boo.com ist damals rasend schnell gewachsen: Von 3 auf 130 Mitarbeitern in nicht einmal zwei Jahren – mit Standorten in Paris, München und Mailand. Wegen rückläufiger Börsenkurse geriet das Unternehmen aber unter Druck. Damit die Firma nicht bankrott ging, wurden ältere und erfahrene Manager eingekauft – und damit die Verantwortung verkauft. "Ab da war mein Gründertraum zu Ende." Heute will Chantal Salzberg Stabilität und einen sicheren Job, für den sie auch Geld bekommt.

"Ein Berufsanfänger sollte nicht denken, dass er in der Branche richtig abzocken kann", sagt Goertz. Die Gehälter im Internet- und Multimediabereich sind mit denen in der Werbung zu vergleichen, so der dmmv. Nach einem Hochschulstudium verdiene ein Projektleiter im Schnitt 62.000 Mark im Jahr, ein Mitarbeiter in der Konzeption 67.000 Mark, ein Designer 54.000 Mark und ein Programmierer 61.000 Mark.

Nach Meinung vieler Experten treffen Berufsanfänger in der New Economy tatsächlich auf Bedingungen, die sie in der Old Economy niemals vorfinden würden: "Die Vorteile sind die flachen Hierarchien, viele junge Leute, eine lockere Atmosphäre und eine Menge Entscheidungsfreiheit", sagt der 25-jährige Tim Sievers, Gründer der Softwarefirma longhours in Hamburg. Auch Chantal Salzberg möchte die Zeit in der New Economy nicht missen: "Es ist schon interessant, mit 40 Jahre älteren Vorstandsvorsitzenden großer Firmen zu verhandeln."

Dennoch rät Salzberg jungen Leuten, die in die Branche wollen, gut zu prüfen, "ob die Firmen auch Geld verdienen, ob sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die tatsächlich gebraucht werden - und nicht von einem Shoppingportal schwärmen, das es schon hundert Mal gibt". (Thomas Nagorny, gms) / (thd)