Internet macht depressiv -- oder doch nicht?

Der amerikanische Sozialpsychologe Robert Kraut hat das Internet rehabilitiert.

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Von
  • Tilman Streif
  • dpa

Das Universal Plug'n'Play "Das Internet macht depressiv und einsam." Mit dieser These schockierte Robert Kraut vor drei Jahren die Online-Welt. Und auch er selber sei schockiert, sagte damals der Sozialpsychologie-Professor an der hochangesehenen Carnegie Mellon University in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pensylvenia. Denn immerhin habe das Netz doch den guten Ruf, ein hervorragendes Kommunikationsinstrument zu sein. Dieser gute Ruf ist nun wiederhergestellt: Negative Effekte haben sich verflüchtigt, schreibt Kraut jetzt in einer neuen Studie, die ältere Ergebnisse weitgehend revidiert.

Im Jahr 1998 berichtete Kraut mit anderen Kollegen über das Internet-Paradox: Angeblich helfe das neue Medium vielen Menschen nicht beim Austausch von Meinungen und Informationen, das Gegenteil sei der Fall: "Stärkere soziale Beziehungen werden durch schwächere ersetzt", schrieb Kraut über Menschen, die stundenlang vor dem Bildschirm hocken und im Web surfen, statt sich im Café oder im Park mit Freunden zu treffen.

Krauts provozierende These gehörte zu vielen kritischen Anmerkungen, mit denen Wissenschaftler und Politiker seit 1995 auf die ständig steigende Bedeutung des Internet reagierten. Neben Kraut wurde vor allem die Psychologin Kimberley Young zum Medienstar, als sie über eine von ihr immer öfter diagnostizierte Internet-Sucht schrieb; das Buch "Caught in the Net" wurde 1998 zum Bestseller in aller Welt, es erschien auch in Deutschland unter dem Titel "Suchtgefahr Internet". Inzwischen sind allerdings die meisten Thesen Youngs als maßlose Übertreibungen widerlegt worden.

Auch Robert Kraut musste sich in den vergangenen Jahren immer wieder heftige Kritik gefallen lassen. Vor allem seine Methode war umstritten. Immerhin kam Kraut zu seinem spektakulären Studienergebnis, nachdem er eine relativ kleine Gruppe von Menschen untersucht hatte: 93 Familien aus der Gegend von Pittsburgh, die für die Studie von den Carnegie-Mellon-Forschern mit Computern und Internet-Konten ausgerüstet wurden.

Statistisch irrelevant seien die Ergebnisse, schimpften Krauts Kritiker, die vor allem bemängelten, dass in der Studie der Vergleich mit einer Kontrollgruppe fehlte, also Personen, die im gleichen Zeitraum und am gleichen Ort ohne Internet-Anschluss lebten. Außerdem waren die Studienteilnehmer nicht nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, sondern gezielt in High Schools und Nachbarschaftsgruppen rekrutiert worden. Diese Mängel wurden auch in der jetzt abgeschlossenen Nachfolgestudie nicht behoben, bei der Kraut die Teilnehmer seiner ersten Studie erneut befragte. Aber Kraut nimmt seine eigene ältere These weitgehend zurück. Von Depression und Vereinsamung ist diesmal nicht mehr die Rede. Statt einer pauschalen Verdammung des Internet gibt es ein großes Lob: Vor allem extrovertierte Menschen mit vielen bereits existierenden sozialen Bindungen profitieren enorm, wenn sie ihre Beziehungen zu Freunden und Familie auch online pflegen, sagt der Wissenschaftler nun.

Das Internet bietet demzufolge vielen Menschen einen zusätzlichen Kommunikationskanal neben dem Telefon oder dem persönlichen Gespräch. Und auch einsame und sozial ungeschickte Menschen können online starke Bindungen eingehen, das erkennt Kraut nun an - wenn auch mit der Einschränkung, dass die über das Internet eingegangenen Bindungen schwächer seien als Freundschaften im nicht-virtuellen Raum.

Kraut bleibt dabei, dass das Internet durchaus auch negative Auswirkungen haben kann. Zwar gehört Vereinsamung nun nicht mehr zu den von ihm beobachteten Folgen ständigen Websurfens. Aber Krauts Studienteilnehmer berichteten, dass sie sich bei stärkerer Internet-Nutzung weniger um Belange ihres Wohnortes kümmern und auch weniger über aktuelle Entwicklungen in ihrer eigenen Heimatstadt wissen. Siehe dazu auch: Macht uns das Netz einsam und depressiv? in Telepolis. (Tilman Streif, dpa) / ()