Antiterrorgesetze bedrohen US-Forschung

"Wie in einem Polizeistaat" fühlt sich der Ingenieur Sanith Wijesinghe seit dem 11. September 2001 in den USA.

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Von
  • Gisela Ostwald
  • dpa

"Wie in einem Polizeistaat" fühlt sich der Ingenieur Sanith Wijesinghe seit dem 11. September 2001 in den USA. Ausländische Studenten wagten nicht mehr, ihre Meinung zu sagen -- aus Angst, von der Bundespolizei FBI verhört zu werden, kritisiert der Doktorand für Luftfahrt und Weltraumtechnik am Massachusetts Institut für Technologie (MIT), einer der Eliteuniversitäten Amerikas. Sein Kommilitone Bilal Zuberi aus Pakistan musste dem FBI 45 Minuten lang Rede und Antwort stehen, um nicht noch kurz vor Ende seiner Doktorarbeit in Physikalischer Chemie des Landes verwiesen zu werden.

"Die Bemühungen der US-Regierung, Forschung und Technologie vom Zugriff von Terroristen zu bewahren, erinnern an die Zeit des Kalten Krieges", heißt es in der Juli/August-Ausgabe der MIT-Zeitschrift Technology Review. Fast 60.000 Wissenschaftler und Ingenieure hätten unter den Maßnahmen gelitten, die der damalige US-Präsident Harry Truman 1947 aus Sorge um eine kommunistische Infiltration des Landes an US-Universitäten einleitete. Damals war die politische Gesinnung von Forschern suspekt, heute ist es ihre Nationalität, schreibt das Blatt.

Dabei verhelfen ausländische Wissenschaftler und Studenten den USA maßgeblich zu ihrem Ruf als weltweiter Schrittmacher der Forschung. Am MIT bei Boston sind 39 Prozent aller graduierten Studenten aus dem Ausland. Landesweit werden fast ein Drittel aller Doktortitel und ein Viertel aller Diplome in Natur- und Ingenieurwissenschaften an Menschen ohne US-Staatsbürgerschaft vergeben. Mehr als ein Drittel aller amerikanischen Nobelpreisträger sind in einem anderen Land zur Welt gekommen, wie auch der gebürtige Schlesier Günter Blobel, der 1999 den Nobelpreis für Medizin erhielt.

Der Direktor des weltweit größten Wissenschaftsverbandes AAAS (American Association for the Advancement of Science), Albert Teich, sagt, dass das Klima für die Wissenschaft von den Antiterrorgesetzen in Folge des 11. Septembers "schwer beeinträchtigt" ist. Geld, das einmal für die Erforschung von Aids und anderen Infektionskrankheiten sowie von Krebs und Herzinfarkt zur Verfügung stand, fließe nun in Projekte aus dem Bereich des Bioterrorismus.

Langfristig droht den USA nach Meinung von Experten ein "Brain Drain", die Abwanderung ihrer internationalen Forschungselite in andere, weniger restriktive Länder wie Kanada, Großbritannien und Australien. Damit stehe letztlich auch ihre Führungsrolle auf dem Spiel, warnte der Präsident der National Academy of Sciences, Bruce Alberts, schon Ende letzten Jahres in einem offenen Schreiben: "Es muss sofort etwas geschehen". Seitdem beschwerten sich auch 32 Kongressabgeordnete schriftlich bei US-Außenminister Colin Powell über die "Kontrollen, die unnötig ... behindern".

Da ist einmal das Big-Brother-System Sevis (Student and Exchange Visitor Information System), das ausländische Studenten und Forscher an Hochschulen und in Labors erfasst und überwacht. Ein weiteres Kontrollverfahren, Ipass genannt, soll Ausländer vor allem aus moslemischen Ländern von Forschungsbereichen fern halten, in denen sie zu einem Sicherheitsrisiko für die USA werden könnten. Wer mit gefährlichen Substanzen hantiert, braucht neuerdings eine Lizenz oder ist wegen seiner Nationalität von vornherein von der Mitarbeit ausgeschlossen.

Am meisten aber sind ausländische Studenten und Gastprofessoren, davon auch viele aus Deutschland, von den neuen Visa-Regeln betroffen. Seit In-Kraft-Treten der Antiterrormaßnahmen im Januar 2002 gehen Visa-Anträge durch Washington, wo sie in mehr als fünf Behörden bei bis zu 20 Datenbanken geprüft werden. Das dauert Wochen und Monate und hat in Einzelfällen dazu geführt, dass Antragsteller zu Beginn eines Semesters noch immer auf die Einreisegenehminung warteten. Die Folge ist, dass nicht-amerikanische Jungforscher sich nicht mehr aus den USA heraus wagen, weil sie befürchten, die Wiedereinreise verweigert zu bekommen. Schließlich haben selbst die Beamten des US- Ministeriums für Homeland Security an den Flughäfen der USA bestimmte Ablehnungsquoten zu erfüllen. (Gisela Ostwald, dpa) / ()