Grüne fordern Abrüstung im Cyberspace

Mit einer Initiative zur Rüstungskontrolle in der elektronischen Kriegführung setzen sich die Grünen für einen verbindlichen Verzicht auf den Ersteinsatz von "Cyber-Waffen" ein.

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Von
  • Richard Sietmann

In der Prioritätenskala der US-amerikanischen Sicherheitspolitik unter Präsident Bush rangiert die Bedrohung durch Attacken auf die Informations-Infrastruktur des Internet hinter den biologischen Waffen an zweiter Stelle noch vor Raketenangriffen aus dem Weltall. Als Pendant zu dem umstrittenen Raketenabwehrschild der Nuclear Missile Defense gilt die Fähigkeit zur elektronischen Kriegsführung und Verteidigung als notwendige Vorsorge gegen ein "elektronisches Pearl Harbor" (Ex-CIA-Chef John Deutch) – das Bedrohungszenario eines Überraschungsangriffs, in dem so genannte "Schurkenstaaten" die Computernetze der Strom- und Energieversorgung, des Verkehrswesens und der Finanzwelt hacken und mit geringem Aufwand die lebenswichtigen Systeme der westlichen Führungsmacht ins Chaos stürzen könnten.

"Was bei diesen Szenarien in der Regel in keiner Weise angesprochen wird, ist die Tatsache, von wo in den letzten Jahren entsprechende Rüstungen und Vorbereitungen in diesem Bereich ausgegangen sind", erklärte der Bundestagsabgeordnete Winfried Nachwei von Bündnis 90/Die Grünen am gestrigen Mittwoch auf einer Pressekonferenz. "In den USA werden entsprechende Konzepte seit Anfang der neunziger Jahre nicht nur diskutiert, sondern auch entwickelt." Er verwies in diesem Zusammenhang unter anderem auf die National Defense University in Washington, einer Einrichtung des Pentagon, an der schon 1994 eine Schule für Information Warfare und Strategy aufgebaut wurde. In Ländern wie Indien, China, Russland und Israel gäbe es inzwischen offensichtlich Nachahmungsbemühungen. "Wir sehen darin deutlich die Ansätze eines neuen Wettrüstens", so der stellvertretende verteidigungspolitische Sprecher der Grünen und Mitglied des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag; "diese Entwicklung halten wir für äußerst gefährlich".

Wie Nachwei vor der Presse ausführte, unterscheiden sich Cyberwar-Konzepte deutlich von konventionellen militärischen Strategien, indem sie die Grenzen zwischen militärischen und zivilen Angriffszielen zunehmend verwischen und zudem die Schwellen zwischen offener Kriegführung und verdeckten Auseinandersetzungen einebnen. Besonders besorgniserregend sei es, dass diese Entwicklungen weitgehend der parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. "Deshalb halten wir Überlegungen für eine Cyber-Friedenspolitik für überfällig."

Neben dem verbindlichen Verzicht auf den Ersteinsatz von Cyber-Waffen und dem Verzicht auf Angriffe gegen zivile Ziele plädiert Nachwei gemeinsam mit der medienpolitischen Sprecherin seiner Partei, Grietje Bettin, für ein international abgestimmtes Moratorium bei der Entwicklung von Cyberwaffen und Cyberkriegskonzepten mit dem Ziel, mittelfristig zu einer weltweiten Konvention zur friedlichen Nutzung des Cyberspace zu gelangen.

Von der Bundesregierung erwartet das Mitglied des Verteidigungsausschusses, dass sie sich nicht an der Cyber-Rüstungsspirale beteiligt. Die Bundeswehr hat nach seinen Angaben bereits ein Konzept erarbeitet, in dem die grundsätzlichen Anforderungen an künftige Cyberwar-Fähigkeiten formuliert sind, darunter auch die Fähigkeit zu "offensiven Informationsoperationen". Bislang sei allerdings unklar, welchen Stellenwert derartige Angriffsoptionen in der bis zum Ende des Jahres erwarteten offiziellen Militärdoktrin des Bundesverteidigungsministeriums erhalten werden. Mit den Fragen der Abrüstung im Cyberwar wird sich am 29. und 30. Juni auch eine internationale Konferenz der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung beschäftigen, die unter dem Titel "Rüstungskontrolle im Cyberspace – Perspektiven der Friedenspolitik im Zeitalter von Computerattacken" steht. (Richard Sietmann) / (wst)