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mehr als 1000 Beiträge seit 07.01.2000

meine Prozesserklärung

Die folgende Erklärung habe ich vor Gericht verlesen:
(Sorry für die bescheidene Formatierung, mir fehlt gerade die Zeit,
den Text nachzuformatieren.)



Prozesserklärung


Holger Voss, Münster Strafprozess:

Geschäfts-Nr.: Mittwoch 08.01.2003, 09.00 Uhr
37 Cs 46 Js 548/02 -259/02 Amtsgericht Münster
   Raum 185 (1. Stockwerk)
   Gerichtsstraße 2
   48149 Münster

                                          
Ich stehe hier vor Gericht wegen einer politischen Meinungsäußerung.

Ich hatte mich am 21. Juni 2002 im Internet-Forum des Online-Magazins
"Telepolis" gegen ein Massaker an afghanischen Kriegsgefangenen
ausgesprochen.
 Diese Äußerung wurde von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht
Münster als Billigung von Mord ausgelegt, weil sie wegen der
Verwendung von Ironie und Sarkasmus angeblich missverständlich war.
Ich soll billigend in Kauf genommen haben, dass meine sarkastische
Äußerung missverstanden wird als Billigung der Angriffe gegen Ziele
in den USA vom 11. September 2001.

Mehrere Aspekte dieses Verfahrens sind ziemlich ungewöhnlich und
haben zumindest mit meinem Verständnis von Menschenrechten, von
freier Meinungsäußerung, von künstlerischer Freiheit, von Datenschutz
und Unschuldsvermutung wenig zu tun.
 Statt dessen zeigen sich Aspekte einer politischen Justiz,
die bestimmte Themen zu tabuisieren versucht: Bezogen auf den 11.
September 2001 soll schon eine Äußerung bestraft werden, die
möglicherweise so missverstanden werden könnte, als wären diese
Angriffe gutgeheißen worden. - Und auf der anderen Seite finden
alltäglich Diskussionen statt, in denen über Krieg, somit also über
Massenmord, als Mittel der politischen Auseinandersetzung offen
nachgedacht wird. Massenmord in Afghanistan, im Kosovo, in Kurdistan,
in den von Israel besetzten Gebieten oder im Irak darf scheinbar
öfffentlich gebilligt werden, so lange er sich als Krieg oder als
Aufstandsbekämpfung maskiert.


Zunächst aber zu der Auseinandersetzung, die zu dem Strafverfahren
gegen mich geführt hat:

Der Journalist Harald Neuber veröffentlichte am 20. Juni 2002 den
Artikel „Das Massaker, das nicht sein darf“ im
Internet-Magazin „Telepolis“. Darin geht es um die
mutmaßliche Hinrichtung von mehreren Tausend Kriegsgefangenen durch
die afghanische Nordallianz. Diese Hinrichtung soll, so der Artikel,
wahrscheinlich von us-amerikanischen und britischen Soldaten
unterstützt worden sein.

Ein Unbekannter mit dem Pseudonym „Engine_of_Aggression“
nahm diesen Artikel zum Anlass, das mutmaßliche Massaker zu loben und
den Tätern zu gratulieren. Zitat: „Gratulation, dass es [...]
noch Menschen gibt, die sich trauen das Böse mit der Wurzel
auszureissen und vom Antlitz des Planeten restlos zu vertilgen!“
- Zitat Ende.

Diese Verherrlichung von Gewalt gegenüber wehrlosen Kriegsgefangenen
habe ich angegriffen, indem ich den Text sarkastisch aufgegriffen und
verbal möglichst ähnlich, inhaltlich aber unter genau umgekehrten
Vorzeichen, den Äußerungen des „Engine_of_Aggression“
gegenübergestellt habe. Um die menschenverachtende
Gewaltverherrlichung seiner Äußerungen deutlich zu machen, habe ich
ihm seine eigene Sprache vorgeführt - nur mit anderer
Rollenverteilung: Seine afghanischen Kriegsgefangenen aus dem
Taliban-Umfeld, die er als – Zitat: „Abschaum“ - Zitat
Ende - bezeichnete, habe ich durch die Gegenseite in der
Auseinandersetzung zwischen USA und Taliban, also durch
US-AmerikanerInnen, ersetzt. Ansonsten habe ich wesentliche Teile
seiner gewaltverherrlichenden bzw. gewaltverharmlosenden Sprache
bewusst übernommen und damit vorgeführt:
 - Zitat: „Abschaum“ - Zitat Ende - zur Bezeichnung der
Opfer,
 - Zitat: „Gratulation“ - Zitat Ende - zu einer
massenhaften Tötung,
 - Zitat: „überkritischen Zeit“ - Zitat Ende - als
präventive Abwehr humaner Einwände,
 - Zitat: „das Böse“ - Zitat Ende - zur Bezeichnung der
jeweils anderen Kriegspartei,
 - Zitat: „ausreißen“ - Zitat Ende - zur Tötung von
Menschen.
Soweit die sprachlichen Übereinstimmungen, die auch bei
oberflächlichem Lesen deutlich machen, dass ich hier nicht mit
eigenen Worten meine Meinung ausgedrückt habe, sondern den Text des
„Engine_of_Aggression“ ironisch überspitzt ad absurdum
führe.
 Dieser Zusammenhang kann auch bei oberflächlichem Lesen kaum
entgehen, denn der Text, auf den ich mich beziehe, ist als Zitat in
meinem eigenen Text enthalten.
 Und damit auch extrem oberflächliche LeserInnen meine Ironie
bemerken, habe ich noch einen Wink mit dem Zaunpfahl eingebaut; ich
habe geschrieben: - Zitat - „Ach ja: Wer Sarkasmus findet,
der/die möge ihn bitte weiterverwenden.“ - Zitat Ende.
 Ich distanzierte mich im P. S. von
„Engine_of_Aggression“, bezeichnete ihn als - Zitat -
"Volksverhetzer" - Zitat Ende - und habe geschrieben, dass ich seine
weiteren Beiträge nicht lesen möchte.
 Auch die Überschrift meines Textes macht deutlich, dass ich
nicht eine eigene Meinung formuliere, sondern zeigen will, wie sich
der Text von „Engine_of_Aggression“ auch ganz anders - und
überhaupt nicht in seinem Sinne – verstehen lässt. Zitat:
„EoA zum 11.9.2001.: Das Böse wurde mit der Wurzel
ausgerissen!“ 

Offenbar wurde meine Ironie auch allgemein verstanden. Auf meinen
Text hat lediglich „Engine_of_Aggression“ reagiert - dazu
gleich mehr. Auf seinen gewaltverherrlichenden Text hingegen gab es
im Juni 2002 sechs direkte Reaktionen - allesamt eindeutig ablehnend.
 Das macht deutlich, dass die TeilnehmerInnen des
Telepolis-Forum sehr wohl unterscheiden konnten zwischen echter
Gewaltverherrlichung und Ironie.


„Engine_of_Aggression“ nun, der Befürworter des Massakers
an Kriegsgefangenen, drohte mir mit der Staatsanwaltschaft: Zitat
– „Mal schaun, was der Staatsanwalt zu Deinem Beitrag
sagt...“ - Zitat Ende.

Und die Staatsanwaltschaft hat sein Spiel mitgespielt. Und das
Amtsgericht hat das Spiel der Staatsanwaltschaft mitgespielt.
Zunächst wurde gegen mich ein Strafbefehl über 50 Tagessätze
verhängt, heute stehe ich als Angeklagter vor Gericht.

Dass sich, soweit aus den Akten ersichtlich, niemand gewundert hat,
warum „Engine_of_Aggression“, dem ich doch angeblich
zugestimmt habe, mir mit der Staatsanwaltschaft droht, finde ich sehr
erstaunlich.
 Dass die anonyme Anzeige gegen mich von
„Engine_of_Aggression“ gestellt wurde, davon kann wegen der
Wortwahl, dem Zeitpunkt und der Drohung im Telepolis-Forum wohl
ziemlich sicher ausgegangen werden.


Im Zuge der Ermittlungen wurden die Verfolgungsbehörden schon früh
darauf aufmerksam gemacht, dass meine Äußerung wohl ironisch gemeint
war: Eckebrecht von Pappenheim, Administrator beim Verlag Heinz Heise
und somit für das Telepolis-Forum zuständig, schrieb im Juli 2002 an
die ermittelnde Polizei Münster: - Zitat - „Ich halte das
Posting des Herrn Voss [...] nicht für seine Meinung, sondern eine
sarkastische Überspitzung des Originalpostings von
'Engine_of_Aggression'“ - Zitat Ende. Für diese Einschätzung
brauchte Herr von Pappenheim auf jeden Fall weniger als 20 Minuten -
nur 19 Minuten lagen zwischen der E-Mail aus Münster und seiner
Antwort darauf.
 Ganz offenkundig ist also keine detaillierte und langwierige
Auseinandersetzung mit meinem Posting nötig, um es korrekt als Ironie
zu erkennen.

(Fortsetzung folgt)
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