EU-Kommission setzt bei einheitlichen IT-Standards auf Kooperation
Die Vorschläge der EU für interoperables E-Government setzen im Unterschied zur Bundesjustizministerin, die eine Grundgesetzänderung für notwendig hält, nicht auf gesetzliche Regulierung, sondern auf eine verzahnte, stufenweise Kooperation.
Die jüngste Forderung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, einheitliche IT-Standards in Bund und Ländern über eine Änderung des Grundgesetzes zu erreichen, ist vor dem Hintergrund einer europäischen Initiative für einheitliche Standards zu sehen. Diese setzt jedoch primär nicht auf gesetzliche Regulierung, sondern auf eine verzahnte, stufenweise Kooperation verschiedener Gremien und Programme.
Grundsätzlich sind in Deutschland die Länder dafür zuständig, über die in ihren Behörden angewandten IT-Standards zu entscheiden. Der Bund kann nur dann für einheitliche Regeln sorgen, wenn er die Kompetenz dafür erhält. Dafür muss der so genannte Kompetenztitel im Grundgesetz geändert werden, erklärte eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums. Zypries gehe es daher um eine "Strukturentscheidung in Richtung Zukunft". Mit Blick auf Europa erklärte die Sprecherin, dass auch zwischen den 27 europäischen Mitgliedsstaaten die Anwendung von Standards koordiniert werden muss. Auf die Frage, ob es bereits erkennbare Probleme bei der Koordinierung zwischen den deutschen Bundesländern gegeben habe, erklärte sie: "Es handelt sich um ein rechtliches Defizit, das später zu einem praktischen Defizit führen könnte."
Fraglich ist jedoch, warum in Deutschland für eine technisch-organisatorische Koordinierungsarbeit eine Grundgesetzänderung nötig ist, wenn selbst die sonst so regulierungsfreudige EU-Kommission einen weicheren Weg einschlägt. So hat die EU-Kommission lediglich in einer Mitteilung Anfang 2006 ein erstes Maßnahmenpaket vorgeschlagen. Es verpflichtet die Behörden zwar nicht rechtlich zu einer besseren Zusammenarbeit, doch zeigt es einen möglichen Weg auf.
Grundsätzlich soll die Interoperabilität auf drei Ebenen hergestellt werden: Zum einen ist eine organisatorische Interoperabilität in Verwaltungsabläufen nötig, um alltägliche Verwaltungsvorgänge im Leben der Bürger wie etwa Geburt, Heirat, Sozialversicherung oder Verwaltungsabläufe, die das Geschäftsleben betreffen, zu vereinfachen. Zum anderen sollen die Systeme aufgrund einer semantischen Interoperabilität die Sprache ihrer Partner verstehen. So sollten etwa Geburtsurkunden gleiche Angaben enthalten – noch aber sind sie von Land zu Land sehr unterschiedlich. Schließlich müssen die Computer aufgrund einer technischen Interoperabilität miteinander "sprechen" können. Normen können diese Art von Interoperabilität sicherstellen.
Die Kommission will sich besonders in den Bereichen für interoperable E-Government-Dienste einsetzen, in denen Auswirkungen auf Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung, auf Innovation und auf die Realisierung der Unionsbürgerschaft zu erwarten sind. Zu den vorrangigen Bereichen zählen etwa die grenzüberschreitende Registrierung von Unternehmen sowie die europäische elektronische Beschaffung. Auch europaweite Statistiken sollen ohne Medienbruch erhoben werden können. Schließlich sollen grenzüberschreitende Dienste für Arbeitsangebote und Sozialversicherung die Mobilität der Bürger erleichtern. Um mehr Interoperabilität zu erreichen, sollen die Behörden in den Bereichen, die ausschließlich sie selbst betreffen, sich untereinander einigen. Insofern strebt die Kommission eine zunächst horizontale Kooperation auf freiwilliger Basis an, während Bundesjustizministerin Zypries offenbar eine vertikale Zusammenarbeit per "ordre du mufti" erzwingen möchte.
Öfter wiederkehrende Aspekte der Interoperabilität will die EU-Kommission jedoch auf EU-Ebene entschieden haben. Dafür will sie geeignete Koordinierungsverfahren einrichten. Normungen, wie sie von Gremien wie dem Europäischen Standardisierungskomitee (CEN) und dem Europäischen Institut für Telekommunikationsstandards (ETSI) im Bereich elektronischer Behördendienste bereits angestrebt werden, können hierbei einen bedeutenden Beitrag leisten. Auch die grundlegende Gesamtarchitektur muss auf Standards basieren. Die Kommission überlässt es jedoch den Akteuren, ihre Komponenten selbstständig festzulegen.
Unterschiede in einzelstaatlichen Lösungen sollen über eine Infrastruktur von Online-Informationsplattformen, Registern und Repositories überbrückt werden. Gemeinsame Elemente und Kernkomponenten müssen identifiziert werden. Dabei sollen Spezifikationsvereinbarungen veröffentlicht und gepflegt werden. Auch Good-Practice-Beispiele sollen zur Entwicklung beitragen. ETEN, IDABC und die mit E-Government zusammenhängenden Maßnahmen im IST-Programm und dem eEurope-Modinis-Programm fördern die Entwicklung und Verbreitung interoperabler Lösungen.
Die Kommission hat im Rahmen der Initiative i2010 im Sommer 2006 einen Aktionsplan für elektronische Dienste erarbeitet. Zum anderen sollen über das IDABC-Programm Mechanismen zur Sicherstellung der finanziellen und operativen Nachhaltigkeit der Infrastrukturdienste bestimmt werden. Zuletzt hatte die europäische Ministerkonferenz für E-Government in Lissabon im September 2007 die Kommission bei dem von ihr eingeschlagenen Weg bestärkt. (Christiane Schulzki-Haddouti) / (jk)