Österreich: Petition gegen den Überwachungsstaat gestartet

Nach dem Sicherheitspolizeigesetz müssen Mobilfunker Standortdaten und internationale Mobilfunkteilnehmerkennung preisgeben, Provider Name und Anschrift von Nutzern bestimmter IP-Adressen. Eine richterliche Kontrolle gibt es nicht mehr.

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Von
  • Jürgen Kuri

Drei Informatik-Professoren und eine Richterin haben gemeinsam mit den Grünen eine "Initiative für den Schutz vor dem Überwachungsstaat" gestartet und treten als Erstunterzeichner einer Online-Petition auf. Sie haben den Nationalratsabgeordneten Peter Pilz ausgewählt, um die Petition dem Nationalrat zu überreichen. Auf diesem Weg soll gemäß § 100 der Geschäftsordnung des Nationalrates erreicht werden, dass das vorvergangene Woche novellierte Sicherheitspolizeigesetz (SPG) doch noch im Innenausschuss des Nationalrats beraten wird. Das neu gefasste SPG verpflichtet Mobilfunker, auf Polizeibefehl Standortdaten und die internationale Mobilfunkteilnehmerkennung (IMSI) eines Handys preiszugeben. Gleichermaßen müssen Provider Name und Anschrift von Nutzern bestimmter IP-Adressen herausgeben. Eine richterliche Kontrolle der Wünsche der Polizei gibt es nicht mehr, auch eine Information der Betroffenen ist nicht vorgesehen.

"Es ist ein Anliegen der Informatikprofessoren (...) einen verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie" zu fördern, sagte der Erstunterzeichner, Universitätsprofessor Gerald Futschek, der Präsident der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) ist, anlässlich der Vorstellung der neuen Initiative am heutigen Montag in Wien. "Technisch ist sehr sehr viel machbar. (...) Die Bürger wollen nicht in einem Überwachungsstaat leben." Die OCG fordere richterliche Kontrolle und dass das neue Gesetz einer ordentlichen Begutachtung zugeführt werde.

Die Regierungsvorlage hatte nur die Auskunft bezüglich der Mobilfunkdaten vorgesehen, und auch dies war nach der Begutachtung vom Innenministerium als überholt dargestellt worden. Erst wenige Stunden vor der Abstimmung zu mitternächtlicher Stunde hatten zwei Abgeordnete von SPÖ und ÖVP einen Abänderungsantrag eingebracht, der die Auskunftspflicht auf IP-Adressen erweiterte. Die Änderungen wurden mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschlossen, ohne dass der zuständige Innenausschuss befasst worden wäre.

Pilz kritisierte die "überfallsartige Befassung des Nationalrates ohne Begutachtungsverfahren." Hätte es eine Begutachtung und eine Beratung im Innenausschuss gegeben, wäre es "sehr unwahrscheinlich gewesen, dass das Gesetz in der Form beschlossen worden wäre." Als Grund für die plötzliche Erweiterung vermutet Pilz eine Entscheidung der Datenschutzkommission vom 3.Oktober. Darin war anlässlich eines konkreten Falles festgestellt worden, dass der polizeiliche Zugriff auf IP-Adressen ohne richterliche Genehmigung rechtswidrig ist. In der Folge habe sich das Innenministerium eine Gesetzesänderung gewünscht, um weiterhin ungehindert auf IP-Daten zugreifen zu können. Pilz hält die Novelle für verfassungswidrig, weil sie gegen das in Artikel 10 des Staatsgrundgesetzes verankerte Briefgeheimnis verstoße.

"Wir als Opposition haben keine Möglichkeit mehr. Es gibt aber die Möglichkeit der parlamentarischen Petition", umriss Pilz den Grund für die nun gestartete Unterschriftensammlung. Dabei werde von den Unterzeichnern ein Abgeordneter beauftragt, der dem Petitionsausschuss vorschlagen kann, die Petition in einem anderen Ausschuss, diesfalls im Innenausschuss, zu behandeln. "Unter 10.000, 20.000 Unterschriften glaube ich in Kenntnis der Regierungsparteien, dass sie es nicht übermäßig ernst nehmen werden" so Pilz, "Ich hoffe, dass wir jetzt ganz schnell die 10.000 kriegen und dann wesentlich mehr."

Ein wesentlicher Mangel der neuen Rechtslage sei, dass es keine nachträgliche Information der Überwachten gäbe. "Sie haben überhaupt nur eine Chance, zu erfahren, dass Sie überwacht wurden, wenn es ein Strafverfahren gibt. Ist es aber eine rein polizeiliche Ermittlung (...), ist die Chance gleich Null." Daher könne in der Regel auch kein Rechtsmittel ergriffen werden. "Ich behaupte, dass das beabsichtigt ist", sagte Pilz, der außerdem klarstellte: "Ich bin heute nicht da als grüner Sicherheitssprecher, sondern als jener Abgeordneter, der die Petition einbringen soll."

Erstunterzeichner Hannes Werthner, Professor an der Technischen Universität Wien, fragte rhetorisch: "Soll man wirklich alles Überwachen, was am Handy und am Computer abläuft, ohne richterliche Kontrolle und ohne dass es nachher Information gibt?" Die Überwachung bremse das Vertrauen, das die Menschen in E-Commerce hätten, und dies reduziere die generelle und individuelle Akzeptanz. Die Überwachung schade also der Wirtschaft. Ebenfalls an der TU Wien lehrt Erstunterzeichner Professor A Min Tjoa. Der Grundrechtsschutz gehe auf das Briefgeheimnis und das Habeas-Corpus-Gesetz zurück, was nicht in einer Nacht aufgegeben werden dürfe, meinte er. Es brauche "richterliche Kontrolle und nicht irgendeinen Rechtsschutzbeauftragten" sowie eine Information des betroffenen Bürgers. "Das ist im Gesetz nicht drin", erinnerte Tjoa. Vierte Erstunterzeichnerin ist Barbara Helige, ehemalige Präsidentin der Richtervereinigung und Vorstandsmitglied der Österreichischen Liga für Menschenrechte.

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(Daniel AJ Sokolov) /

Daniel AJ Sokolov ist freier Journalist und berichtet für heise online über alle Themen aus Telekommunikation, IT und dem gesellschaftlichen Umfeld in Österreich. Sokolov ist parallel dazu auch Mitglied der österreichischen Grünen und Vorsitzender der Bezirksvertretung Wien-Josefstadt. (jk)