Experten fordern Schutz für Avatare

Der Wirtschaftsboom in virtuellen Welten zieht zunehmend auch Kriminelle an. Experten fordern eine virtuelle Wirtschaftsaufsicht, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe.

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Der Wirtschaftsboom in virtuellen Welten zieht zunehmend auch Kriminelle an. Experten fordern eine virtuelle Wirtschaftsaufsicht, berichtet Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 03/08 (seit dem 21. 2. am Kiosk oder online portokostenfrei zu bestellen).

Genau wie reale Unternehmen ihre Bilanzen von Wirtschaftsprüfern bestätigen lassen, "muss auch eine virtuelle Umgebung zeigen können, dass jemand ein seriöses Unternehmen mit einem seriösen Geschäft betreibt. Wenn man das 3D-Internet als die Zukunft des Internets sieht, ist es enorm wichtig, dass diese Probleme gelöst werden" sagt Sandy Kearney, Direktorin für 3D-Internet und virtuelle Geschäfte bei IBM. Dan Miller, bei einem Abgeordneten des US-Kongresses angestellter Ökonom und Experte für virtuelle Wirtschaft, geht davon aus, dass unterschiedliche Welten unterschiedliche Ansätze der Regulierung wählen. So hat bei Entropia Universe jeder Dollar eine eindeutige ID-Nummer und kann über alle Transaktionen bis zum Eintausch gegen echtes Geld verfolgt werden. Bei Linden-Dollars gibt es solche IDs nicht – Transaktionen werden laut Linden Lab aber trotzdem überwacht. Solch unterschiedliche Kontrolltechnologien könnten es für Behörden schwieriger machen, Fälle angeblichen Betrugs oder Raubs nachzuvollziehen. Zugleich aber bieten sie die Möglichkeit der Wahl, merkt Miller an: "Virtuelle Welten, die strengste Kontrollen einführen, damit sich die Nutzer wohlfühlen, werden bestimmten Leuten gefallen. Jemand anderes würde sich dann vielleicht eher einer anderen Welt zuwenden."

Anwalt Naylor vertritt trotzdem die Ansicht, dass virtuelle Welten Interventionen aus der echten Welt brauchen, wenn sie mehr Teilnehmer anziehen und eine lukrative neue Form von E-Commerce anstoßen sollen. "Das Problem ist, dass Regierungen rund um die Welt sich noch nicht wirklich mit Second Life beschäftigen. Ein Grund dafür ist, dass es noch so neu ist. Aber sogar wenn sie damit vertraut sind, glauben sie, dass es wichtigere Dinge zu erledigen gibt, weil die Schäden dort noch gering sind", sagt er. Die Einschaltung externer Regulatoren sei aber unverzichtbar: "Verbraucherorganisationen reichen nicht aus. Sie können Leute auf Fehlverhalten aufmerksam machen, aber sie können nicht für Wiedergutmachung sorgen."

Im Sommer 2007 kündigte Linden Lab immerhin an, ein freiwilliges Identifizierungssystem zu schaffen, um zukünftige Transaktionen sicherer zu machen. Mit seiner Hilfe sollen Nutzer die angeblichen Eigenschaften der Personen hinter den Avataren wie etwa das Alter überprüfen können. Zugleich dient das System dazu, Minderjährige von bestimmten Bereichen fernzuhalten; Unter-18-Jährige sind in Second Life eigentlich gar nicht zugelassen, und der Betreiber bemüht sich, virtuellen Sex zwischen erwachsenen und Kinder-Avataren zu verhindern. Das Unternehmen führte außerdem Algorithmen ein, die verdächtiges Verhalten identifizieren, und mahnte die Nutzer, in der Welt mehr Vorsicht walten zu lassen. "Wir raten unseren Bewohnern zu Misstrauen gegenüber jedem, der extrem hohe Zinsen ohne Risiko verspricht – sei es in der echten Welt oder in Second Life. Wenn etwas zu gut klingt, um wahr zu sein, ist es das wahrscheinlich auch", schrieb Linden-Lab-Finanzvorstand John Zdanowski in einem Eintrag im offiziellen Blog.

In diesem Januar griff das Unternehmen sogar noch härter durch: Es verbot allen Nutzern ohne Banklizenz aus der echten Welt, in Second Life Zinsen für bei ihnen angelegtes Geld zu versprechen. Außerdem schaffen sich die Nutzer quasi-regulatorische Strukturen mittlerweile selbst. Einige haben die Second Life Exchange Commission gegründet, die Standards für Finanzinformationen definiert. Andere haben das Virtual World Business Bureau ins Leben gerufen, das Geschäfte bewertet, vor Betrügereien warnt und im Konfliktfall als Vermittler auftritt. (wst)