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Was war. Was wird.

Brauchen Demagogen besondere Vorrichtungen zum Schwanzvergleich und ist das Autoquartett das Modell fürs Web 2.0? Ach, da gibt es in Klein-Bloggersdorf noch ganz andere Sachen, wundert sich Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Dumm, Dideldum, mir spukt ein Wort im Kopf herum. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ein gewisser Nico Schwanz (28) einen auf Halbaffen macht und ein Dschungelcamp bei Rammeln, Töten, Lallen beginnt, in dem eine Frau mit Schwanz (bitte, so formuliert die taz) ein Erfolgserlebnis haben will. Kommen wir zum Schwanzvergleich, eine tief in die männliche und manche weibliche Sozialisation eingebettete Tätigkeit, die vom Aussterben bedroht ist. Denn die heute aufwachsenden Kinder spielen Playstation, Wii oder Xbox, greifen aber kaum mehr zum guten alten Autoquartett. Das hat Folgen! Denn der männliche Schwanzvergleich ist der Versuch, ein frühes, köstliches Lusterlebnis zu wiederholen, wenn man *die* Karte mit 340 PS hatte und die restlichen Blätter im Quartet gerade mal 300 oder weniger. Diese "Urschwanzsituation" will jeder Mann wiederholen und kramt darum wahlweise seine Wedelpalme, die Bildersammlung auf dem iPhone oder seine Blog-Statistiken hervor. Wer wirklich glaubt, dass es beim Schwanzvergleich um Minderbepimmelte geht, hat niemals Quartett gespielt, mit schnellen Autos, schweren Lastwagen, Flugzeugen und was sich sonst noch rastern lässt, natürlich auch als Blog-Quartett.

*** All das ging mir durch den Kopf, als Klein-Bloggersdorf aufgeregt notierte, dass Robert Basic, einer der Alpha-Journalisten des Web sein Blog auf eBay vertickert. Deutschlands größtes Blog, Deutschlands meistgelesenes Blog, Deutschlands meistverlinktes Blog, der Superlative sind keine Grenzen gesetzt. Mit Dollar-Zeichen in den glänzenden Augen wie Dagobert Duck, bevor er sich mit erigiertem Pürzel in seinen Talersee stürzt, wird in Klein-Bloggersdorf kommentiert, wie jemand nach seiner bewährten Methode  den Basic macht. Klein-Bloggersdorf? Aber ja doch: Deutschlands dümmster anzunehmeder Journalist greift zum bewährten Schwanzvergleich. Zur Verkaufsankündigung hatte der Blogger nach eigenen Angaben 21.600 Page Impressions. Damit liegt er an diesem Tag nicht in den Top 10 der Tagesmeldungen des kleinen Verlages in der norddeutschen Tiefebene. Dort belegte diese Meldung über DivX 7 mit 21.941 PI den 10. Platz. Bloggst du noch oder versteigerst du schon? wird künftig der Standardgruß unter Bloggern sein.

*** Wenn alle Blogs versteigert sind und die reichen Blogger nur noch zwitschern oder als Dschungelstars auftreten, wird es immer noch das Bildblog geben, das den Kampf gegen das System Bild führt. Hier geht es nicht um länger, größer, dicker, sondern um die diskursive Kritik, was alles im Einzelfall von der schrecklichen Postille vergeigt wird. Das System produziert Woche für Woche mehr Fehler, als die IT-Branche Gadgets. Es wäre schön, wenn die Kritik an Bild nicht aufhört, wie es der Freitag etwas adornös schreibt: "In einer Welt, in der das System Bild existiert, kann niemand wirklich glücklich sein, es frisst sogar die Utopie des Glücks."

*** Besagter wie oben verlinkter Freitag, eine Ost-West-Wochenzeitung, hat von dem kommerziell wertlosen Blog eine Abreibung erhalten, weil beim einfachen Aufruf der zugehörigen Domain freitag.de Werbung für eine 895 Euro teure Uhr das Bild verschleiert. Eine typisch linke Schweinerei, auch wenn sie weggeklickt werden kann. Besser wäre wohl das antiquierte Cybermesser gewesen, komplett mit DIP-Switch-Versteller (wo gibt es die noch?). Nach einigem Her und Hin antwortet Jakob Augstein, der neue Besitzer des Blattes mit einer Beschreibung des heutigen Journalismus im Lichte feinster friesischer Piraten: Vor der Küste segeln abseits der Fahrwasser der Dickschiffe, doch immer mit Küstensicht, denn auf dem Lande, da wohnen die Leser in ihren Hütten und Palästen, immer bereit, den Freitag nicht nur als Fischeinwickelpapier zu akzeptieren. Immerhin ist das eine bessere Perspektive als das eintönige Gequake vom Untergang der Zeitungen, das jeder Blogfrosch von sich gibt, wenn man ordentlich auf ihn drauftritt.

*** Zurück zu den Schwänzen, ähem den Autoquartetts. Noch während ich mein Nettbuch mit einer bescheuert klingenden Systemvariante namens Easy Peasy beschickte, zündete die Meldung vom Download der ersten Windows 7-Beta. Ratzfatzbumms war das natürlich Top of the Pops. Bleibt die Frage, wie oft man schreiben muss, dass die verflixte 7 eine schlichte Vista-Erweiterung ist, was der sympathische Herr Ballmer nicht einmal verneint. Erstaunlich nur, dass eine Firma wie Microsoft den Andrang auf die von Akamai gehosteten Server unterschätzte. BitTorrent und Rapidshare haben sich noch nicht für die unbezahlbare Werbung bedankt, die die Lust begleitet, dass alles beim Alten bleibt, wenn die Welt sich wieder einmal wandelt.

*** Mit dem neuen Sangesschmied werden wir Alten das heute vor vielen Jahren von Carole King veröffentlichte Lied anstimmen, während andere mit mir bei der Hommage an den 29stbesten Gitarristen aller Zeiten auf 1979 anstoßen, als dieser Super-Riff erschien. Adieu, farewell Ron Asheton, die alten Hunde laufen weiter, mancher nennt sie Hamster.

*** Aber halt, da sind ja noch die Jubiläen, die unermüdlichen Maulwürfe, die Hamster, die Faultiere des Fortschritts. Dieser Samstag, an dem die kleine Wochenschau entsteht, ist historisch, denn heute vor 233 Jahren erschien in Philadelphia in den USA eine kleine Schrift, gerade einmal 46 Seiten lang. "Common Sense" von Thomas Paine ist bis heute der größte Erfolg der Buchdrucker. Denn die Schrift erschien und verkaufte sich in einer Auflage von sagenhaften 500.000 Exemplaren in den USA, in der damals gerade 2,5 Millionen lesefähige Menschen in den "Kolonien" lebten. In einfachen, klaren Worten erklärte das Traktat, warum die Kolonien die Unabhängigkeit vom englischen Mutterland erklären sollten. Die Macht der Gedanken von Thomas Paine hat sich verpflanzt und ist selbst in die Deklarationen zur Open Source zu spüren.

Was wird.

Es ist immer noch nicht Jahresende, dieses Jahr wird echt lang – hoffentlich nicht ebenso der Krieg, mit dem das Jahr begann. Und ich hoffe auch immer noch, Israel weiß, was es mit dem Gaza-Krieg bezweckt – einige Israelis jedenfalls scheinen nicht wirklich zu wissen, was sie selbst tun. Genausowenig wie manch Friedensdemonstrierer, der jetzt "Frieden für Palästina" brüllt, aber keinen Mucks von sich gab, als die Hamas wieder anfing, ihre Raketen auf Israel zu feuern.

Da lob ich mir schon fast die deutsche Politik und ihre Freunde aus der IT-Branche. Wirklich? Ach, naja. T-Systems, die Knappschaft und Gesundheitsministerin werden morgen in Bottrop die elektronische Patientenakte aus dem Taufbecken heben und an die Medien verklappen. Die rührende Show wird von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft begleitet. Diese hat passend zur Schmidt-Revue eine Darstellung veröffentlicht, nach der das deutsche Gesundheitswesen viel billiger sein kann: Die ganze deutsche Republik ist voller brachliegender Effizienzreserven, weil es an Wettberwerb fehlt. Warum, bittschön, fahr ich zu einem Arzt in Isernhagen, wenn einer in Brunsbüttelkoog und einer in Mochenwangen billiger ist? Natürlich ist das egal, solange es WLAN auf allen Strecken gibt.

Gedichte spielen in dieser Wochenschau eine kleine, nicht unwichtige Rolle. Der Dank, den ich erhalte, der muss freilich an die Forumsteilnehmer weitergegeben werden. Sie sind es, die immer wieder zeigen, wie wunderbar binär die Freude an der Sprache sein kann. Spitzenreiter dieser Woche ist die Schließung des Werkes Limerick durch die Heuschrecke Dell, die nach Polen weiter zieht. Was machen unsere Leser draus?

Dell schraubte bislang in Limerick
PCs zusammen - flott und chic
nun geht man nach Polen
und feixt unverhohlen
über diesen Globalisierungstrick

Diese Reimkunst aus dem Forum steht darum im Ausblick, weil es mir gar nicht einleuchten will, dass nur die Varusschlacht und der Mauerfall gefeiert wird. Man muss auch mal trauern können, und dazu gibt der 15. Januar vor 90 Jahren Anlass genug. Ich könnte jetzt mit Brecht an die Ermordung von Rosa Luxemburg (und Karl Liebknecht) erinnern, nehme aber lieber den Anfang der langen expressionistischen Hymne von Johannes Roland Becher zum Mord vor 90 Jahren:

Auffüllend dich rings mit Strophen aus Oliven,
Tränen Mäander umwandere dich!
Stern-Genächte dir schlagend als Mantel um,
Durchwachsen von Astbahnen hymnischen Scharlachbluts...
O Würze du der paradiesischen Auen:
Du Einzige!
Du Heilige!
O Weib. -

Durch die Welten rase ich -:
Einmal noch deine Hand, diese Hand zu fassen:
Zauberisches Gezweig an Gottes Rosen-Öl-Baum.
Wünschel-Rute dem Glücks-Sucher.
... In dich o mütterlichste der Harfen träuft unser aller Heimat Klang ...
Fünfzack diktatorisch über unsre Häupter gespannt.
Blut-Quell dieser Finger Millionen Ärmster Gitter durchfeilte er.

#/.../

Dumm, Didelum, es geht weiter. Zumindest was den Größten, Längsten, Weiten betrifft. Ganz abseits der ehrwürdigen Tradition des Autoquartetts hat sich eine andere Disziplin herausgebildet, die der Computer vortrefflich verfolgen kann. Sie nennt sich Sport:Mord? und feiert am kommenden Samstag ihr Debüt. Komplett mit Wolfgang Schäuble, Thomas Bach und einem gewissen Demagogen namens Zwanziger im Publikum. Dumm, Didelum ... (Hal Faber) / (jk)