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Was war. Was wird.

"Sympathy for the Devil" oder Blasphemie? Für was auch immer man sich entscheidet, manche Fakes entpuppen sich als Fake, wenn der Rinderwahn um sich greift.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Das Zittern der Fakes ist zum Nikolaus besonders groß. Der hat nämlich Knecht Ruprecht im Schlepptau, ein echtes Relikt der schwarzen Pädagogik, der mit der Rute loslegt, sollte jemand getäuscht haben. Die Redaktion des New Yorker hat er virtuell verwüstet. Sie veröffentlichte einen lustigen Artikel von Rodney Rothmann, der eines Tages in eine typische Bobo-Firma marschierte, sich an einen Schreibtisch setzte und tat, als würde er zur Firma gehören. Bald war der Reporter voll in den Alltag des Dot.com integriert. Seine Beschreibung "My Fake Job" erinnert stark an einen Film mit Michael Fox – ist aber leider ebenso fiktiv. Recherchen der Konkurrenz brachten letzte Woche ans Tageslicht, dass der Autor im Stil eines Michael Born schwindelte. In der willkürlich ausgewählten Firma konnte Rothmann als Junior Project Manager anfangen, weil seine Mutter vorher dort gearbeitet hatte.

*** Bis dieses Rührstück in die Kinos kommt, müssen wir mit Purpo$e vorlieb nehmen. Das ist ein "Reality Drama", das derzeit mit einem bescheidenen Etat von 7 Millionen US-Dollar von Mia Farrow finanziert in San Francisco zu Ende gedreht worden ist und die "ganze Tragik der Dot.com-Ökonomie" auf die Leinwand bringen möchte, berichtet das Filmblatt Variety. Ein angeblicher Waisenjunge gründet eine Internet-Firma und scheitert nicht am Business-Plan, sondern am rachsüchtigen Vater. Immerhin: Dieser Erklärungsansatz wäre einmal etwas Neues für all die Pleiten, die täglich gemeldet werden. Kein Chef, der stiften geht, wie bei Priceline, keine mysteriösen Aktienkäufe wie bei Worth Interactive, einer Investment-Site für Superreiche, die nur die eigenen Aktien kauft. Nur der Papa, wie bei Oedipus.de.

*** Bei den kaufenden Superreichen bietet es sich an, eine Ergänzung zu den Hobos der letzten Woche anzubringen. Gegen Ende des ersten Weltkrieges bildeten amerikanische Kriegsteilnehmer, die vom Abschlachten in Europa gezeichnet am Sinn der Welt zweifelten, auf den Inseln vor Seattle eine Art Kommune. In der Literatur werden sie als eine Art früher Beatnicks beschrieben. Der Versuch, ihnen ein Denkmal zu widmen, wurde jetzt abgebrochen. Alle Inseln sind inzwischen von Microsoft-Mitarbeitern gekauft. Bobo rulez!

*** Mit Bobos hat er nichts zu tun, aber vielleicht lebt er stattdessen einen Ödipus-Komplex aus: Duhu, Norbert, lass es raus... Der CSU-Abgeordnete Norbert Geis sorgte in den letzten Tagen einmal wieder für Schlagzeilen: Blasphemie! Ja, Gotteslästerung lauert überall, und niemand unternimmt etwas. Außer Herrn Geis natürlich, der zusammen mit ein paar Unionsabgeordneten alle Jahre wieder Blasphemie mit schweren staatliche Sanktionen bedrohen will. Denn anders als viele Muslime oder Juden machten Christen ihren verletzten Empfindungen nicht laut Luft, sondern litten leise, meint Herr Geis. Also muss Blasphemie nicht erst dann geahndet werden, wenn sie den öffentlichen Frieden stört, wie es das Gesetz sagt. Sagt es das? Ja, man hält es nicht für möglich, es gibt tatsächlich noch einen Paragrafen, der Blasphemie unter Strafe stellt. Ach, Kinder, was machen wir uns eigentlich Gedanken um Filter-Systeme fürs Web und Zensur im Internet – eigentlich können wir nur hoffen, dass Herr Geis nie einen Internet-Zugang bekommt, sonst leiden möglicherweise nicht nur die christlichen, sondern auch die islamischen, jüdischen und atheistischen Surfer mehr als leise. Aber vielleicht sollte gerade jemand Geis einmal einen Account spendieren. Mit viel Glück ist er dann so sprachlos darob, was es in Gottes weiter Internet-Welt so alles gibt, dass wir endlich von ihm verschont bleiben.

*** Nun, Herr Geis und seine Aussetzer könnten sich zu einem Lieblingsobjekt dieser Wochenschau entwicklen wie die Bobos – bis der letzte Leser genervt aufgibt. Zurück also zum Thema: Wer täuschen will, braucht eine Tarnkappe oder einen intelligenten Assistenten. So einer ist bei Schenkenohnedenken.de am Werke und verkauft schon einmal den virtuellen Krampfadernführer als treffliches Weihnachtsgeschenk. Eine nützliche Tarnkappe verspricht uns 90minute.de mit einer Funktion, die Fußball-News im Stil einer geschäftsmäßigen Seite wie www.heise.de/newsticker einzukleiden, auf dass niemand merkt, was eigentlich gelesen wird. Obwohl – wer weiß, was der Chef sagt, wenn man am Montagmorgen im Büro noch einmal die Wochenschau nachliest. Vielleicht aber wird man die Tarnkappe zur nächsten Olympiade brauchen: Zu den kniffligsten Fragen der letzten Woche dürfen wir die Versuche des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zählen, die "geografisch beschränkte Verbreitung des Internet" zu erklären, die im Jahre 2008 technisch möglich sein soll. Ab dieser Zeit werde der Web-Surfer nur nationale Seiten sehen können und entsprechend auch die nationalen Sportrechte abonnieren, erklärte das Komitee, ganz ohne Verweis auf den französischen Richter, der Yahoo in eine Falle laufen ließ. Besonders schön ist die Begründung zu der Sportrechte-Vergabe in punkto Internet: "Ein Vertrag, der 1997 auf der Höhe der Zeit war, sieht im Jahre 2008 vielleicht wie eine Höhlenmalerei aus." Besonders dann, wenn man behauptet, dass es 1997 kein Internet gegeben hat, das Sportereignisse kommunizieren konnte. Das ist ähnlich wagemutig wie die Behauptung, von den Wichsern bei Mercedes, die die letzte Woche so amüsant begleitete.

*** Beim Graben in der Geschichte kann man übrigens Geld gewinnen, wenn man Fakes von den Tatsachen trennen kann. Am 17. November ist die Schonfrist für eine so genannte Marke Explorer abgelaufen. Aus diesem Grund geht eine lustige "Auslobung" durch das Netz, die dem kühnen Finder /insert aktueller Stand/ 900 Mark offeriert, der als Kunde der Firma "Symicron GmbH Software Engineering" oder der Firma "Symicron engineering Vertriebsgesellschaft" zwischen dem 1. Januar 1998 und dem 7. Dezember 2000 eines der folgende Software-Pakete käuflich erworben und eingesetzt hat: "EXPLORERr, EXPLORERr II, EXPLORER r1986DOS, EXPLORAr-Spezial, EXPLORAr-MDT, EXPLORAr-MDM, EXPLORAr-KKZ, EXPLORAr-KVM". Ausgelobt von einem Privatmann aus dem Umfeld der "Aktionsgruppe 251", erhöht sich derzeit der Stand der Belohnung, nicht aber der der Finder. Disclaimer: Es könnte sein, dass der Heise-Verlag, der diese Kolumne hostet, möglicherweise ein gewisses Interesse am Ausgang dieser Aktion hat...

*** TANSTAAFL fällt mir dazu ein: Populär hat Robert A. Heinlein diesen Spruch gemacht, aber eigentlich ist er US-Folklore aus den 50er-Jahren, als viele Bars kostenlosen Lunch anboten – allerdings nur bei Genuss eines oder mehrerer dann doch recht teurer Getränke. There ain't no such thing as a free lunch, weder in Newsgroups, in denen der hohe Anteil weißen Rauschens die Kosten für die Informations-Perlen ausmacht, noch bei all den kostenlosen Internet-Angeboten. Die basteln inzwischen schon an einem gemeinsamen Protokoll, um Kundenprofile austauschen zu können. Vielleicht reichen sie es ja, ist es einmal fertig, bei der IETF ein. Ich bleibe dabei: Weizenbaum hat Recht, das Internet ist ein Misthaufen. Nur leider sind andere Leute als meine Wenigkeit inzwischen dabei zu definieren, was die Perlen sind. Und mit denen lässt sich wie immer gut Geld machen. Wie mit anderem Müll auch, aus dem gewisse Kreise Gold destillieren – Johann Friedrich Böttger selig wäre vor Neid erblasst. Da ist es doch einfacher, eine Dot.com zu gründen und bei drohender Pleite nach Subventionen zu rufen, und sei es nur in Form von Steuererfreiheit. Noch einfacher: Man gründet einen Flatrate-Provider, zockt ein paar Surfer ab, und wenn dann das Kapital ausgeht, ist das Gejammer groß. Huch, ich nehme die Telekom in Schutz? Es gibt einfach kein richtiges Leben im Feilschen.

*** Ach nein, das hieß ja: im Falschen. Was ist nun aber falsch? Jedenfalls alles, was mit Strahlen zu tun hat. Bei manchen Diskussionen um Elektrosmog fühlt man sich um Jahrhunderte oder wenigstens Jahrzehnte zurückversetzt – als die erste Eisenbahn wegen unerträglicher Geschwindigkeit unweigerlich zum Tod der Insassen führte musste etwa, oder als das Fernsehen noch automatisch aller Kinder verblödete. Immerhin, ein Mediziner hielt fest, dass Handys nicht zugelassen worden wären, wenn es sich Lebensmittel gehandelt hätte: Zu viele offene Fragen. Ach, hätt' der Mann doch Recht – woher aber nur nimmt ein britischer Wissenschaftler diese Zuversicht? Ausgerechnet ein Mediziner aus einem Land, in dem ein Landwirtschaftsminister auf dem Höhepunkt der BSE-Krise seine Tochter zum Verdrücken eines Hamburgers zwingt... Der Rinderwahn scheint weiter um sich gegriffen zu haben als wir alle dachten. Auf beiden Seiten: Die einen wollen den Unschädlichkeitsbeweis, den es nicht geben kann, die anderen wischen alle Bedenken als Esoterik beiseite. Da hilft auch keine Rinderstudie weiter – Rinderwahn, weil die armen Viecher zu viel telefoniert hätten, lässt sich nun einmal kaum nachweisen. Wissenschaflter sind aber alltagsuntaugliche Menschen, sonst hätten sie schon längst den Beweis für die Schädlichkeit von Mobiltelefonen gefunden: Der Unterschied zwischen den mehr oder weniger leise per Freisprecheinrichtung vor sich hin beziehungsweise mit einem anderen Handy-Besitzer brabbelnden Telefonierern, die durch die Innenstädte stolpern, und von den Zuckungen des Wahns befallenen Viechern erscheint dem unbefangenen Beobachter nur graduell. Aber nach diesen Schäden hat bislang wohl niemand gesucht.

Was wird.

An dieser Stelle müssen wir, im exklusiven PR-Deal mit der Firma Ilog, eine absolute Top-Nachricht verbreiten. Sie erreicht nur die, die trotz aller Reizworte es bis hier hin geschafft haben: "Sinkende Aktienkurse behindern WWW nicht", klärt uns die Firma auf. Mag die Börse auch wie die Titanic absaufen, mag ichbindrin-Boris wieder sechs Mail-Adressen auf Grund einer atomisierten Familie frei haben, der Eisberg WWW driftet ungehindert weiter. Wenn man Larry Ellison glauben möchte, ist er der Mann, der das Ding anschiebt: In der nächsten Woche will seine Firma einen "Internet-Hosting Service" starten, der das Netz in "neue, nie gekannte Dimensionen" verschiebt. Da müssen wir uns alle glatt festhalten, wenn diese Mig startet. (Hal Faber) / (jk)