Vor 30 Jahren kam der Micro
Am 15. Januar 1973 lieferte die französische Firma R2E mit dem Micral-N den ersten Rechner aus, der mit einem Microprozessor arbeitete und nicht als Bastelsatz vertrieben wurde.
Am 15. Januar 1973 lieferte die französische Firma R2E (Réalisation et Etudes Electroniques) den ersten Rechner aus, der mit einem Microprozessor arbeitete und nicht als Bastelsatz vertrieben wurde. Der Micral-N getaufte Rechner wurde fix und fertig verschraubt ausgeliefert und war der Rechner, der den Begriff Microcomputer prägte, unter dem in Folge kleine, billige und einfach erweiterbare Kleinrechner zusammengefasst wurden.
Der modular aufgebaute Micral besaß ein Bussystem, Pluribus genannt, das mit Steckkarten für den Arbeitsspeicher und den Prozessor sowie für die seriellen und parallelen Ports bestückt wurde. Als Prozessor verwendete man den mit 500 KHz getakteten Intel 8008, einen auf 8-Bit-Betrieb "aufgebohrten" Intel 4004, den keiner der etablierten Computer- und Terminalproduzenten einsetzen wollte, weil er zu langsam war. Mit einem Team von drei Mitarbeitern schuf der Ingenieur François Gernelle rund um den 8008 eine veritable Rechner-Familie, die nacheinander alle Prozessoren einsetzte, die preisgünstig und doch (für ihre Zeit) leistungsstark waren. Nach dem 8008 kamen 8080, Z80, 8088 in die Micral-Gehäuse. Bereits im Jahre 1974 wurden die Micral-Rechner mit einer eigenen separaten Tastatur ausgeliefert. 1975 kamen die ersten Varianten mit Festplatte auf den Markt und 1976 folgte der erste Micral, der als Multiprozessor-System arbeitete. Als besonders erfolgreich erwies sich die Serie G, eine Anfertigung speziell für den Schulunterricht.
Die ersten Micral-N gingen im Januar an das INRA (Institut National de la Recherche Agronomique), das nicht genug Geld hatte, die damals allgemein verwendeten Minicomputer von Digital Equipment, die PDP-8, zu kaufen. Der von R2E gefertigte Micral-N kostete 8500 Francs. Als Betriebssystem kam das selbst entwickelte Sysmic zum Einsatz, ein "System-Moniteur", das nach und nach zu einer umfassenden Mischung aus Betriebssystem und Programmiersprache ausgebaut wurde, die 1978 den Namen Prologue erhielt und frühzeitig das Multitasking beherrschte. R2E baute etwa 90.000 Einheiten in der Micral-Reihe, die vor allem an Universitäten und Schulen das Fach Informatique aufblühen ließen. Zu denen, die am Micral N ihre Grundausbildung genossen, gehörte Philippe Kahn, der später in den USA die Firma Borland gründete und mit dem auf dem Micral entworfenen Turbo Pascal Erfolge feierte. Für Kahn war der Micral das leuchtende Beispiel, wie man abseits amerikanischer Standards Erfolge feiern konnte.
Diese Sicht der Dinge pflegt auch Francois Gernelle, der "Vater" der Micral-Rechner. In seinen Erinnerungen spricht der 58-jährige Gernelle vom "luddisme américaine". Dem amerikanischen Maschinensturm fielen Gernelles Rechner zum Opfer, als der Bull-Konzern die Firma R2E übernahm und auf das Betriebssystem MS-DOS standardisierte. Mit seinen Rechnern ist Gernelle, der ein Patent für die Bustechnik und das Steckkarten-Prinzip hält, nie reich geworden. Vier Jahre dauerte ein aufwendiger Prozess, den Gernelle gegen André Truong führte, dem Inhaber von R2E. Jahrelang ließ sich Truong als Erfinder des Microcomputers feiern, bis Gernelle gewann. Doch schon vorher hatten sich die beiden auseinander gelebt. Im Jahre 1975 bot der amerikanische Computerbauer Honeywell dem Erfinder und dem Inhaber jeweils zwei Millionen US-Dollar für die Micral-Technik und das Betriebssystem Prologue. Truong verlangte das Doppelte und brachte damit die Übernahme zum Scheitern. (Detlef Borchers) / (jk)