Urheberrechtsnovelle: Die Verbraucher bleiben auf der Strecke

Rechtsprofessor Thomas Hoeren fordert in einem ausfĂĽhrlichen Gutachten fĂĽr den Bundesverband der Verbraucherzentralen erhebliche Nachbesserungen beim Regierungsentwurf fĂĽr ein neues Urheberrecht.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 635 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Der kurz vor der Abstimmung stehende Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Novelle des Urheberrechts hebelt die bestehenden Rechte der Nutzer aus, schränkt die Informationsfreiheit ein und verstößt letztlich gegen das Grundgesetz: Das ist der Tenor eines über 50-seitigen Gutachtens, das der Münsteraner Zivilrechtler Thomas Hoeren im Auftrag des Verbraucherzentrale-Bundesverbands (vzbv) erstellt hat. Der Rechtsprofessor wirft der Legislative vor, den "anstehenden Problemen des digitalen Zeitalters" mit dem angeblichen Reformvorhaben aus dem Weg zu gehen und mit juristischen Kniffen zu arbeiten. Hoeren und die Verbraucherschützer sehen daher "erheblichen Nachbesserungsbedarf" an dem seit langem umstrittenen Konstrukt -- insbesondere hinsichtlich der Gewährleistung der Privatkopie im digitalen Raum.

Wie Hoeren ausführt, verstrickt sich der Gesetzgeber bislang in heftigen Widersprüchen. Zunächst werde dem Bürger in Paragraph 53 ein umfassendes Recht zur analogen und digitalen Privatkopie eingeräumt. Diese gebotene Einschränkung der Rechte der Urheber und Verwerter werde durch die Sanktionierung technischer Kopierschutzmaßnahmen in Paragraph 95 aber "weitgehend entwertet". Der Leiter des Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht spricht von einem Etikettenschwindel: So werde es für den Verbraucher nicht mehr möglich sein, etwa eine kopiergeschützte Musik-CD für die Verwendung im Auto zu vervielfältigen. Er werde sich künftig mehrere Scheiben ein und desselben Titels kaufen müssen -- "oder auf den Musikgenuss im Privatwagen verzichten".

Die faktische Abschaffung der Privatkopie im digitalen Raum sei aber aus mehreren Gründen bedenklich: Ihre Ermöglichung liegt laut Hoeren nicht nur "im Allgemeininteresse". Der Experte liest aus Paragraph 53 auch -- ganz im Gegensatz zur Musikindustrie -- "eine subjektivrechtliche Befugnis zur Erstellung von Privatkopien" und somit einen gesetzlichen Anspruch des Verbrauchers heraus, der "in Form einer Duldungspflicht auch relativ gegenüber dem Urheber" bestehe. Dieses allgemeine und individuelle Recht des Nutzer auf Kopien für den Eigengebrauch sieht Hoeren im Zusammenhang mit Artikel 5 des Grundgesetzes. Dessen Schutzbereich umfasse "hinsichtlich der Informationsquelle jeden denkbaren Träger von Informationen und darüber hinaus den Gegenstand der Information selbst". Da eine digitale Kopie künftig aber nicht mehr gegen den Verwender technischer Schutzmaßnahmen durchgesetzt werden könne, sei eine Einschränkung der Informationsfreiheit nicht von der Hand zu weisen. Besonders, weil zu erwarten sei, dass "bisher gemeinfreie Werke mit Kopierschutztechniken ausgestattet und somit vergütungspflichtig werden". Das hätte zur Folge, dass "das bisher frei verfügbare Informationsangebot tendenziell abnehmen wird".

Die Verwertungsindustrie habe es so in der Hand, inwieweit durch den Einsatz von Sicherungstechnologien welche Inhalte künftig noch digital kopierbar seien. Die Regelung habe damit eine "erhebliche Stärkung des Urheberrechts durch Absicherung der Vergütungsansprüche zur Folge" und sei in ihrer Gesamtheit verfassungswidrig -- zumal die "dogmatisch wesentlich saubere Möglichkeit" bestünde, die digitale Privatkopie genauso wie andere Schrankenbegünstigungen vom Verbotsbereich von Paragraph 95 auszunehmen. Als Ausgleich für die Urheber stelle die gute alte Pauschalvergütung immer noch das "mildere" Mittel dar. Die jetzige Regelung unterstellt Kopierschutzknacker im nicht-gewerblichen Bereich Schadensersatzansprüchen der Industrie.

Hoeren kritisiert ferner die in Paragraph 95 d eingefügte Klausel, wonach die Industrie den Einsatz der für Verwirrungen sorgenden Kopierschutzmechanismen künftig groß auf Verpackungen verpflichtend deklarieren soll. Dies sei nur auf den ersten Blick verbraucherfreundlich. Denn letztlich könne die fehlende Kopierbarkeit dadurch nicht mehr als "Mangel" im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs angesehen werden. Konsumenten, deren Geräte eine gekaufte Ware nicht abspielen könnten, seien damit auf die Kulanz des Handels angewiesen. Und die ist nicht groß: So weigern sich "Kulturkaufhäuser" wie Dussmann in Berlin bereits, mit Hinweisen auf technische Schutzmaßnahmen versehene CDs zurückzunehmen. Hoeren hofft daher, dass die Verbraucher den kopiergeschützten Medien generell "eine klare Absage" erteilen.

Große Bedenken hat der Informationsrechtler zudem, weil der gesetzliche Schutz technischer Kopierblocker nach der gegenwärtigen Gesetzesfassung selbst solche Maßnahmen umfasse, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen widersprechen. Da die Regierung technische Schutzvorkehrungen unabhängig von der verwendeten Technologie schützen wolle, sei überdies denkbar, dass etwa der Hersteller eines Abspielgeräts ein Sicherungsverfahren mit einem bestimmten Anbieter von Inhalten verknüpfe -- zum Beispiel im Fall von Sony und Sony Music. Das könnte Monopolbildungen fördern.

Als Abhilfe schlägt das Gutachten unter anderem vor, zumindest klare Bedingungen an den rechtlichen Schutz von Kopierschutzverfahren zu knüpfen. Außerdem macht sich Hoeren dafür stark, die Begrenzung der Privatkopie im digitalen wie analogen Raum auf "einzelne" Vervielfältigungen zu streichen. An diesen "unbestimmten Rechtsbegriff" sei momentan gemäß der Rechtssprechung des Bundesgerichtshof die "statische Obergrenze von maximal 7 Privatkopien" geknüpft. Da die digitalen Medien aber mehr Nutzungsmöglichkeiten als analoge eröffnen würden und die Formatvielfalt zunehme, könne dieses Limit "im Einzelfall für die digitale Nutzung nicht ausreichend sein". (Stefan Krempl) / (jk)