Was war. Was wird.
Do what you want oder Do what you like -- Verschwörungstheoretiker an die Front: Quellcodes glitzern verführerisch, Anwälte stehen Gewehr bei Fuß, und Musik ist bald nur noch weißes Rauschen, befürchtet Hal Faber.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Der Valentinstag ist vorbei: verliebt, verlobt, verlinkt geht es in den Ebenen weiter. Die Herzen schlagen anderswo. Liebeskummer haben ohnehin nur Shop-Systeme.
*** In der Regel lassen sich Fenster öffnen, darum ist es eigentlich nur logisch, was mit dem Quellcode von Windows am Freitag, den 13. passiert ist. Wirklich interessant ist nicht der Code veralteter Microsoft-Programme, sondern die Reaktion auf die Veröffentlichung, die mit dem Fang eines russischen Düsenjägers aus dem Jahre 1956 verglichen wurde. Während vielerorts über die "Suche nach den Verantwortlichen" schwadroniert wurde, gibt es nur wenige lichte Kommentare, die Microsoft empfehlen, die Verantwortlichen als Manager einzustellen oder gleich den Rest des Codes zu veröffentlichen. Stattdessen ergehen sich Juristen in der Frage, ob nicht bereits der Blick auf den Quellecode eine Rechtsverletzung ist. Entsprechend geheimnisvoll wird die Nachricht aus Schweden behandelt, nach der das Geburtstagskind IBM mit Microsoft daran arbeitet, MS Office nach Linux zu bringen. Im Gegensatz zum ollen Windows-Code ist Office eine der wichtigsten Geldquellen. Und Geld muss weiter fließen, wenn Microsoft den Kauf von Disney finanzieren sollte.
*** Aber in Wirklichkeit ist alles viel einfacher. Für jeden Verschwörungstheoretiker ist es offensichtlich, dass die Windows-Sourcen vom Urheber selbst in Umlauf gebracht wurden; Mainsoft dient lediglich zur Ablenkung. Das Quellcode-Debakel ist Microsofts ultimativer Schachzug gegen die Open-Source-Bewegung und gegen unliebsame Konkurrenz. Um die Intellectual Property der Fenstermacher zu verletzen, muss man schließlich keinen Code klauen -- es reicht, sich vom Gelesenen und von Gespenstern inspirieren zu lassen. Wer irgendwelche Software für Windows schreibt oder Windows-kompatible Produkte entwickelt, steht künftig automatisch im Verdacht, das geistige Eigentum aus Redmond zu verletzen. Wie es so ihre Art ist, werden EDV-Unternehmen dem real existierenden Rechtsrisiko mit der großen Keule begegnen. Die Frage, ob man schon mal in Windows-Quellen herumgestochert hat, wird von der nächsten Woche an fester Bestandteil jedes Einstellungsgesprächs. Bestehende Angestellte müssen eidesstattlich versichern, nie in ihrem Leben illegal verbreiteten Microsoft-Code angesehen zu haben. Ob kurz oder lang wird es Schauprozesse mit umgekehrter Beweislast geben. Mittellose Studenten werden sich vor dem Richter verantworten müssen; IBM wird sich mit dem ehemaligen Betriebssystemdienstleister endlose Scharmützel liefern, gegen die die unendliche Geschichte des SCO-Sommertheaters wie ein kurzes Gastspiel erscheint. Und hinter alldem stecken irgendwie die Illuminaten, die ja auch den CIA und die Taliban unter Kontrolle haben. Alles klar?
*** So ist das eben mit der viel gerühmten Medienkompetenz, bekommt man Gelegenheit, sie in freier Wildbahn zu beobachten. Wer die Fähigkeit, einen Browser über DSL im Internet zu dirigieren, schon für den Beweis eines wie auch immer gearteten Vermögens hält, aus wie auch immer gearteten Datenschnipseln Informationen zu destillieren, muss sich nicht wundern, wenn der medienkompetente User nur für existent hält, was sich verlinken lässt: Ich linke, also bin ich, freut sich der Verschwörungstheoretiker und verweist auf die Existenz einer Internet-Site als schlagkräftigen Wahrheitsbeweis. Manch User dreht dann gleich den Spieß um: Ich klicke, also bin ich, was direkt zur bereits von Tron gestellten Frage führt, ob es denn überhaupt existiert, dieses ominöse Wesen, der User. Gebt mir einen Link, und ich glaube? Das Internet ist halt, wer hätte's gedacht, nicht schon der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit. Etwas Abstand vom Misthaufen Internet hilft, und ohne "Selber Denken!" geht's auch nicht.
*** Bleiben wir aber noch einen Moment bei Microsoft. Schließlich hat die Firma nicht nur gute Nachrichten für die Konkurrenz zu bieten, sondern auch schlechte für die eigenen Fans. Hatte nicht Adam Waalkes davon geschwärmt, wie Online-Spieler auf göttliche Mächte zurückgreifen können, ja, wie sie selbst zu Göttern werden könnten? Aus, vorbei, Schluss ist's mit der Götterei. Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein, das wussten schon die Brüder Strugatzki. An der Nationaluniversität Seoul wurde in dieser Woche immerhin der erste Schritt in dieser Richtung unternommen. Vom Embryo zum Ersatzteillager titelte die taz trefflich über eine Entwicklung, von der David Rorvik 1978 behauptet hatte, dass sie bereits praktikabel sei. Damals wurde die deutsche Ausgabe "Nach seinem Ebenbild -- Der Genetik-Mensch -- Fortpflanzung durch Zellkern-Transplantation" als Zukunft der Fortpflanzung gefeiert.
*** Während selbst die Tamagotchi heutzutage Kinder zeugen, hat es Ken mit Cali-Girl Barbie nicht geschafft, die Puppenstube zu bevölkern. Nun soll es Blaine richten, ein Surferdude aus Australien. Zunächst sollte es ja ein Typ aus dem Land sein, das heute seine Flagge feiert. Aber Canucks, die Ketchup Chips verzehren, sind nichts für Barbie. Es hätte schlimmer kommen können, wenn der schöne Darl statt Blaine im Barbieland aufgetaucht wäre.
*** Immerhin: Inmitten der verschiedenen, aufmerksam registrierten Aktionen von Novell überraschte die SCO Group das angeregt wartetende Publikum mit einer humorigen Einlage. Unter den fünf Gründen, SCO gegenüber Linux vorzuziehen, verdient die Beschreibung von SCO Unix als "juristisch unbelastetetes" System Beifall. Die Beschreibung passt zumindest zur Ausschmückung der Lobbyisten-Gruppe EurActiv, die Microsoft und SCO als große Softwarefirmen charakterisierte. Am Freitag blieb die erwartete Entscheidung des Gerichtes aus, dafür wird die nächste Woche richtig interessant.
*** Heute wird ein wirthlich Großer 70 Jahre alt, der nach dem 2. Weltkrieg in der Schweizer Nationalmannschaft für Konstrukteure von Modellflugzeugen viele Preise gewann: Niklaus Wirth, der einzige deutschsprachige Turing-Preisträger, der in der Schweiz an der ETH Zürich die Informatik gründete und in den Labors von Xerox das Postulat vom unabhängigen grafischen Kleinrechner an jedem Arbeitsplatz postulierte. "A computer on every desk", war der Slogan, den sich Bill Gates ausborgen sollte. Nur 50 wird Matt Groening, den viele (Loriot-Fans ausgenommen) für den größten lebenden Cartoonisten halten. Den Unmut beider Fraktionen werde ich ernten, wenn ich den unrunden Geburtstag von Art Spiegelman erwähne, dessen Maus so manches schweres Trauma erst verständlich machte. Gehen wir weiter in der Geschichte zurück, gleich ganze 440 Jahre, so taucht Galileo Galilei auf der Erde auf, dem heutzutage die zweifelhafte Ehre zuteil geworden ist, als Namensgeber für ein europäisches GPS ungute Assoziationen zu wecken. Ein kostenpflichtiges Ortungssystem, dem Amerikaner wie Europäer aus unterschiedlichen Gründen misstrauen, das obendrein als Heilsbringer für die heillos verfahrene Geschichte der deutschen LKW-Maut herhalten muss, ist nicht das strahlende Erbe, das Galileo verdient hätte. Auch hier, bei Toll Collect, wird eine Entscheidung in der nächsten Woche erwartet. Natürlich wird sie gebührend gefeiert werden, von Bundeskanzler Schröder, Ex-Verkehrsminister Müntefering und Verkehrsminister Stolpe. Das Motto: "Kein Herumbasteln".
*** Musik ist Kultur und Kultur ist Leben. Wer diesen einfachen Zusammenhang versteht, wer vielleicht schon mal am Valentinstag keinem Kommerzgebot folgte, sondern eine selbstgemischte Kassette verschenkte, muss sich fragen, was mit der Musikindustrie los ist. Wenn Bands wie Eisenbrecher mit einem hübschen Marketing-Gimmick Aufmerksamkeit erzielen, dann wird es klar, dass die Großen der Branche den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Neben den Un-CDs sollen wir noch den totalen Un-Sinn in Form hörbar verschmutzter Musik bekommen. Die Konsequenz wäre skurril: Musik, die im Internet zum Download zu haben ist, könnte eine bessere Qualität haben als die, die auf einer "analog" geschützten CD gekauft wird. Die Tendenz zur Austrocknung der Privatkopie wird sicher noch für weitere Erfindungen sorgen. Intelligente Audio-Systeme, die einen Hörer im Raum orten können, gibt es schon. Sie sollen immer die beste Akustik einstellen, können ihm aber auch mal schnell ins Ohr pusten, wenn so schlimme Kopierschutzverletzungen wie das graue Album gespielt werden. Viel zu wenig beachtet blieb hier der Versuch der Musikfunktionäre von der IFPI in Belgien, das Usenet als Hort des Musikdiebstahls als Angebot eines Providers verbieten zu lassen. "Sie sitzen auf ihren dicken Ärschen in den tausenden und hundertausenden Ämtern in allen Winkeln des Staates und haben nichts als die Auslöschung und das Umbringen im Kopf", formulierte einst Thomas Bernhard, der am Donnerstag vor 15 Jahren starb. Für die Rettung der Musik gegen die Musikindustrie aber mag gelten: "Do what you want" oder "...what you like", ganz egal, ob man sich auf Blind Faith oder auf Bad Religion bezieht oder aber Albert Aylers Geister die Glocken schlagen lässt.
Was wird.
Am Dienstag "launcht" die T-Com den gut dotierten "inspire!award" mit einem "Kick-Off "der Website. Alle Bobos von Berlin, komplettiert um einen Trendforscher und die Herausgeberin des Bobo-Digest, berauschen sich an Visionären, die mit ihren Schrittmachern Deutschland voranbringen und dem alten Sponti-Motto frönen: Tu Was! (Aber was?) Wenn die Inspiration der Visionäre in Transpiration umschlägt, freuen sich immer noch die Liquidatoren, die sich liebevoll über die Trouvaillen hermachen.
Von Open Space ist es semantisch nur ein kleiner Hüpfer zu Open Source, aber ein großer und ziemlich lustiger Schritt für die Programmierer, die nach dem mittlerweile rituellen Freitagsabend-Besäufnis im Roi d'Espagne die dritte FOSDEM eröffnen. Am Anfang, wenn die Köpfe noch vernebelt sind, gibt es den mittlerweile zum Standard gewordenen Paradigm Shift, die Erzählung von den Alpha Geeks, die den Paradigmenwechsel hinter sich haben, gefolgt von einer weiteren Demonstration, wie Richard Stallmann gekonnt gesplisste Haare entfernen kann. Danach beginnt die Vorstellung der Projekte. Hier fragt man nicht, was zu tun ist, sondern berichtet einfach, was man tut -- bis sich nach der Verleihung des Free Software Award wieder die Frage stellt, in welcher Kneipe man versacken kann. Und wenn nach solch einem Wochenende die Batterien abgebrannt sind, hat man zumindest Verwendung für die Verpackung. (Hal Faber) / (jk)