Verfallsdatum überschritten -- überholte Informationen im Internet

Nicht etwa nur bei den privaten Websites hat sich der "Aktualistätsstau" verschärft, auch viele Sites von Behörden und Firmen sind oft nicht auf dem neusten Stand.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tobias Wiethoff
  • dpa

"Last Update: Anno Tobak" -- so könnte es unter vielen Websites stehen. Zwar lässt sich im Internet inzwischen fast jedes Informationsbedürfnis befriedigen. Was die Informationen taugen, ist aber eine andere Frage. Über zehn Jahre nach dem Publikumsstart des World Wide Web ist auch der Berg veralteter Seiten auf unüberschaubare Höhen angewachsen. Die Datenpflege wird von vielen Anbietern vernachlässigt. Vor zwei Jahren veröffentlichte das auf Internet-Software spezialisierte Unternehmen Stellent aus München eine Studie zur Aktualität deutscher Firmen-Websites. Sie kam zu ernüchternden Ergebnissen: Nur 27 Prozent der Angebote präsentierte Inhalte, die jünger waren als einen Monat. In jedem fünften Fall ließ sich nicht einmal ermitteln, wann zuletzt alte Informationen durch neue ersetzt worden waren.

Seitdem ist laut Stellent-Geschäftsführer Josef Huber alles noch viel schlimmer geworden: "Zum Zeitpunkt der Studie hatten wir ja den großen Internet-Hype. Da haben die Firmen noch richtig Millionen in die Hand genommen." Zwischenzeitlich sei das Pendel aber zurückgeschlagen - vielerorts koche das Internet-Engagement nur noch auf Sparflamme. "Da sitzt dann ein Webmaster, der mit den Updates gar nicht mehr nachkommt", weiß Huber. "Solche Auftritte können sich die Unternehmen eigentlich sparen, denn ein Kunde, der einmal auf veraltete Informationen gestoßen ist, kommt nie wieder."

Besonders ärgerlich ist der Aktualisierungsstau für Verbraucher, wenn sie nach wichtigen Informationen für ihre persönliche Lebensführung suchen. So hinken auch die Online-Auftritte von Ministerien dem Reformtempo der Regierung bisweilen hinterher. Ende vergangenen Jahres ging es um Tage: Am 19. Dezember passierte die neue Regelung zur Eigenheimzulage den Bundestag, die zum Jahresanfang deutliche Einschnitte bei der Förderung vorsah. Wer noch in den Genuss der höheren Sätze kommen wollte, musste schnell handeln. Doch auf den Seiten des Bundesbauministeriums war im alten Jahr nichts über die Gesetzesänderung zu erfahren.

"Wir haben die Informationen am 16. Januar ins Netz gestellt", sagt eine Sprecherin der Berliner Behörde. Generelle Aussagen über die Reaktionsgeschwindigkeit der Website ließen sich nicht machen. Ohnehin enthebt sich das Ministerium in einem Rechtshinweis jeglicher Haftung für überholte oder fehlerhafte Angaben. Dort heißt es: "Die sich auf diesen Internet-Seiten befindlichen Informationen sind sorgfältig und nach besten Wissen ausgesucht und zusammengestellt. Dennoch übernehmen wir keine Gewähr für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der sich auf dieser Homepage befindlichen Informationen, insbesondere der bereitgestellten Rechtsvorschriften."

Selbst wenn solche Hinweise, so genannte Disclaimer, fehlen, hätten Verbraucher wenig Aussicht auf Schadenersatz bei veralteten Informationen, sagt Rechtsanwalt Daniel Raimer von der auf Internetrecht spezialisierten Kanzlei Strömer in Düsseldorf. Das gelte jedenfalls, wenn den Verantwortlichen keine grobe Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten nachgewiesen werden kann. "Informationen im Internet dienen als zusätzlicher Service und haben informellen Charakter. Ausschlaggebend ist, was in den amtlichen Gesetzblättern steht." Ähnlich verhält es sich laut Raimer mit privaten Informationsangeboten, etwa auch von Rechtsanwälten: "Wäre es anders, würde niemand mehr Inhalte ins Netz stellen. Schließlich ändert sich ständig irgendetwas, und da kann man schon einmal eine Vorschrift übersehen."

Geradezu lebensgefährlich können veraltete Informationen aber sein, wenn sie die Gesundheit betreffen. So gibt es eine medizinische Studie aus dem Jahr 2002, wonach der Einsatz von Hormonpräparaten bei Frauen in den Wechseljahren mehr Schaden stiftet als Nutzen bringt. So soll sich etwa das Brustkrebsrisiko deutlich erhöhen. Das Zentrum für Public Health an der Universität Bremen wollte Ende vergangenen Jahres wissen, wie sich diese neuen Erkenntnisse auf den Websites gynäkologischer Praxen widerspiegeln. Alarmierendes Ergebnis: so gut wie gar nicht. Obwohl die meisten der 97 erfassten Seiten sogar aus dem Jahr 2003 stammten, erwähnten nur 24 die wegweisende Studie. Nur vier Praxen nahmen deren Ergebnisse ernst und betonten, dass eine Hormontherapie sorgfältig abgewogen werden müsse. "Unser Befund war schon erschreckend", sagt Jens Bucksch, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle.

Untersucht wurde auch, ob die Anbieter die im Teledienstegesetz (TDG) verlangten Pflichtangaben machen. So müssen medizinische Dienste etwa ihre zuständige Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung anführen: Trotz möglicher Geldbußen in Höhe von 50.000 Euro kamen weniger als die Hälfte diesen Pflichten nach. Ein Aktualisierungsdatum fand sich gar nur auf jeder vierten Seite. Dieses ist zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, findet sich aber in den Kriterien der Health on Net Foundation, die sich für die Qualität medizinischer Informationen im Internet einsetzt.

Das Internet hat viele Wege verkürzt und zu einer neuen Verbrauchermündigkeit geführt. Wer sich aber blind auf das neue Medium verlässt, kann manchmal ganz schön alt aussehen. (Tobias Wiethoff, dpa) (jk)