Wochenende für Wikipedianer
Die Mitstreiter der freien Online-Enzyklopädie wollen auf dem Berliner Kongress Wizards of OS einen deutschen Träger-Verein gründen und neue Projekte vorstellen -- zudem wird der hunderttausendste deutschsprachige Eintrag erwartet.
Für die Mitstreiter der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia steht ein spannendes Wochenende bevor: Auf dem Berliner Kongress Wizards of OS wird ein deutscher Träger-Verein für das Projekt gegründet -- zudem wird der hunderttausendste deutschsprachige Eintrag erwartet.
Das Wikipedia-Wochenende beginnt am Freitag mit einer Party in der Berliner C-Base. Am Samstag folgt ein Panel, zu dem auch Wikipedia-Gründer Jim Wales aus den USA anreist. Der Sonntag wurde zum Wikipedia Community Day ernannt. Hier gründen die Projektteilnehmer den Verein "Wikimedia Deutschland -- Gesellschaft zur Förderung Freien Wissens" und wählen den ersten Vorstand aus ihrer Mitte. Der Verein soll unter anderem eine geeignete Plattform für Spendenzahlungen bieten. Gleichzeitig werden die Wahlergebnisse für das "Board of Trustees" der in den USA ansässigen Wikimedia Foundation verkündet. Diese Wahl fand komplett im Internet statt -- die Wahl des deutschen Vorstandes bedarf aber noch einer traditionellen Vereinsversammlung.
In Berlin werden die ersten Ausgaben des Wiki-Reader vorgestellt -- die ersten offiziellen Printausgaben der Wikipedia. Wales sieht in solchen Projekte eine Chance zur künftigen Finanzierung von Wikipedia und diverser Schwesterprojekte. Zwar stehen sämtliche Inhalte unter der GNU FDL und können damit auch kostenlos in kommerzielle Produkte einfließen -- doch Wales hofft, dass die Anbieter einen Teil ihres Gewinns wieder an die Wikipedia abführen werden. Mittlerweile gibt es Wikipedia-Ausgaben in 60 Sprachen mit insgesamt 750.000 Artikeln. Zusätzlich bestückt die Community noch einige Schwesterprojekte. Unter dem Titel Wiktionary entsteht beispielsweise ein Wörterbuch auf Wiki-Basis, das seit dem 1. Mai auch eine deutsche Ausgabe hat.
Bei Wikipedia kann jeder nicht nur Artikel schreiben und überarbeiten, sondern auch das bereits zusammengekommene Material kostenlos abrufen, beliebig verarbeiten und nach der GNU FDL frei weiterverbreiten. Die deutschsprachige Ausgabe der Wikipedia ging im April 2001 ans Netz -- nur wenige Monate nach der englischsprachigen Version. 25.000 Benutzer haben sich auf der Webseite angemeldet, obwohl auch die anonyme Teilnahme an dem Projekt möglich ist. Einige hundert Nutzer stellen den harten Kern der Wikipedia-Nutzer, um die 70 freiwillige Administratoren moderieren den Redaktionsprozess. Täglich kommen um die 350 Artikel hinzu.
Zu unerwarteten Ehren kam die das freie Wissens-Projekt im April dieses Jahres: Das Bundespatentgericht verwies in der Urteilsbegründung zur Löschung der Marke Explorer auf einen Wikipedia-Eintrag. Auch Massenmedien verweisen zunehmend auf die kostenlosen Artikel der freien Enzyklopädie.
Doch es regt sich auch Kritik an der Verlässlichkeit der Informationen der Wikipedia. Dank des offenen Redaktionsprozesses kann jeder an Artikeln mitarbeiten - Manipulationen und Fehlinformationen sind aber ebenso einfach. Das Wiki-Prinzip setzt darauf, dass solche Manipulationen und sonstige Fehler schnell auffallen, da jeder die Informationen überprüfen und gegebenenfalls nachbessern kann. Da der unbeteiligte Leser jedoch nicht einfach sehen kann, ob ein Artikel bereits kompetent gegengelesen und verbessert wurde, werden besonders gelungene Artikel jetzt mit einem speziellen Logo versehen. Zusätzlich versuchen die Wikipedianer mit einer Qualitätsoffensive die Aufmerksamkeit der Nutzer auf bestimmte Themengebiete zu lenken und so gemeinsam umfassende Artikel zu bestimmten Themenbereichen zu erarbeiten. Die derzeit laufende Qualitätskampagne zeigt, wie ehrgeizig die Wikipedianer sind: mit der Kampagne "Aa" wollen sie dem ersten Band des neuen Brockhaus-Ausgabe Paroli bieten, der im Jahr 2005 erscheinen wird.
Wie gut die Community die Wikipedia steuern kann, wird sich am Sonntag zeigen. Die Wikipedianer arbeiten seit Wochen darauf hin, dass der 100.000ste Artikel am Tag der Vereinsgründung online geht. Technische Probleme am Anfang der Woche haben das Erreichen des Ziels schwerer gemacht als erwartet. Wann der entscheidende Artikel eingereicht wird, bleibt also spannend. (Torsten Kleinz) / (jk)