Große Proteste gegen Reform des Großen Lauschangriffs
Datenschützer, Berufsverbände und die rot-grünen Koalitionsfraktionen nehmen den Entwurf für die neue Fassung der Wanzenverordnung aus dem Justizministerium unter Beschuss.
Das Bundesjustizministerium hat sich mit seinem Referentenentwurf für die Reform des Großen Lauschangriffs zwischen alle Stühle gesetzt. Während die Polizei im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ihre Hände gebunden sieht, laufen Verbände, Datenschützer und Politiker gegen die geplante Ausweitung der "akustischen Wohnraumüberwachung" auf Rechtsanwälte, Ärzte, Journalisten und andere unter das Zeugnisverweigerungsrecht fallende Berufsgruppen Sturm. Selbst aus den Reihen der rot-grünen Regierungsfraktionen kommt heftige Kritik an der Linie des Justizministeriums.
Schon kurz nach der Veröffentlichung des Gesetzesvorschlags hatten die rechtspolitischen Sprecher der Koalition, Joachim Stünker (SPD) und Jerzy Montag (Grüne) unabhängig voneinander durchblicken lassen, dass der Entwurf keineswegs mit ihnen abgesprochen worden sei. Als "besonders bedauerlich" empfand es Montag, dass der Reformversuch "völlig unnötigerweise aufsattelt und die schon für sich schwierige Frage der Regelung der akustischen Wohnraumüberwachung mit erheblichen Erweiterungen für die Ermittlungsbehörden befrachtet". Die Lizenz zum Abhören eigentlich geschützter Berufsstände sei "unnötig, gefährlich und zerstört Vertrauen, wo es gilt, Vertrauen zu schützen", wetterte der Grüne und kündigte entschlossenen Widerstand gegen das knapp 50-seitige Papier an. Verhaltene Rückendeckung erhielt er von Grünen-Chef Reinhard Bütikofer: Er bekundete, dass man über die Neuregelung "gegebenenfalls streiten" müsse.
Scharf zu Gericht mit Bundesjustizministerin Brigitte Zypries geht das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz (ULD) in Schleswig-Holstein. Die SPD-Politikerin habe es offenbar verabsäumt, sich überhaupt die "mahnenden Worte" des Bundesverfassungsgerichts zu Herzen zu nehmen, heißt es in einer Stellungnahme aus dem hohen Norden. Die Karlsruher Richter hatten aufgrund einer Klage altliberaler Politiker Anfang März die bisherigen Bestimmungen zum Großen Lauschangriff kassiert, da sie den zur Entfaltung der Persönlichkeit nötigen Privatbereich durch die Wanzen im Wohnraum zerstört sahen. Der Richterspruch erfordert die jetzt zur Debatte stehende Gesetzesnovelle.
Geht es nach den Experten im ULD, ist der Große Lauschangriff mit den strengen Vorgaben aus Karlsruhe prinzipiell nicht mehr sinnvoll durchführbar. Er sollte daher angesichts seiner Eingriffstiefe besser ganz abgeschafft werden. Geradezu konterkariert werde das Bundesverfassungsgericht nun stattdessen, wenn Zypries "die Strafandrohung für die Bildung krimineller Vereinigungen in bestimmten Fällen von fünf auf zehn Jahre verdoppeln will." Damit solle die Bestimmung der Roten Roben umgangen werden, "wonach die Wohnraumüberwachung nur bei besonders schweren Straftaten mit einer Androhung von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe durchgeführt werden darf." Auch die Auswirkungen des Urteils auf andere heimliche Maßnahmen der Sicherheitsbehörden wie verdeckte Ermittler, Richtmikrofone oder die ständig zunehmende Telekommunikationsüberwachung hätte das Justizministerium berücksichtigen müssen.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) spricht ebenfalls von einer "Perversion" der vom Verfassungsgericht getroffenen Grundsatzentscheidung und lehnt den Vorschlag kategorisch ab. "Es ist kaum zu glauben, dass der Referentenentwurf aus dem Bundesjustizministerium, das schließlich auch Verfassungsministerium ist, stammt", wettert DAV-Vizepräsident Georg Prasser. Nur die "Buchstaben" der Mahnung aus Karlsruhe würden aufgegriffen, der Sache nach würde der Richtspruch ignoriert. Zeugnisverweigerungsberechtigte Berufe müssten vom Lauschangriff ausgenommen werden, damit "ratsuchende Menschen in dieser Gesellschaft eine letzte Rückzugsmöglichkeit haben".
Keineswegs zufrieden mit der Umsetzung des Urteils sind ferner die ursprünglichen Hauptkläger. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bemängelte sie als "kleinkariert", der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch als "hanebüchen". Der dritte im Bunde, Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, schloss im Deutschlandfunk eine erneute Klage nicht aus: "Wenn dieser Gesetzentwurf nicht zurückgezogen wird, werden wir genau prüfen, ob wir nicht erneut nach Karlsruhe gehen." In der FDP-Fraktion im Bundestag wird zudem vermutet, dass sich Zypries nicht aus dem Schatten ihres früheren Chefs, Bundesinnenminister Otto Schily, lösen kann. Die einstige Staatssekretärin im Innenministerium werde von den Belangen der Sicherheitsbehörden dominiert. Doch nicht einmal aus dieser Ecke erhält die Justizministerin Zuspruch: Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat ihren Entwurf ebenfalls als völlig untauglich kritisiert. Den Strafverfolgern nach ist das Ministerium "sklavisch den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts" gefolgt. Nicht praktikabel sei, dass die Beamten keine Äußerungen aus dem privaten Lebensbereich der Abgehörten mehr aufzeichnen dürften. (Stefan Krempl) (anm)