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Was war. Was wird.

Wir sind ein Volk. Aber was für eins? Raubkopierende Jammerlappen oder deutschtümelnde WMA-Junkies? Eskapistische Souveräne oder unzuverlässige KIs? Hal Faber begibt sich auf die Suche nach Antworten.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Was sind wir eigentlich für ein Volk? Blättert man in der samstäglichen Tagespresse, so scheinen wir heute den Volkstrauertag zu begehen, nicht etwa den der deutschen Einheit. Deutschland versinkt in Selbstmitleid. Ganz Deutschland? Nein! Mit dem Gefängnisslogan "Auch wir sind das Volk" meldet sich in ganzseitigen Anzeigen eine kleine, feine Truppe (Unternehmensberater Roland Berger, Top-Investor Thomas Middelhoff, Maler Markus Lüpertz u.v.m.) zu Worte, die das Jammern über Deutschland satt hat. Sie fordert Unterstützung für Schröder, Hartz IV und den mit Grabsteinen gepflasterten Standort Deutschland. Fordert Mumm vor dem notwendigen Einschnitt und behauptet: "Nur Demagogen, die ihre Zukunft hinter sich haben, reden dem Volk nach dem Maul." Ein interessantes Bild ergibt sich da vom Volk, seinem Maul und der vergangenen Zukunft. Was die Zukunft mit dem schnellen, harten Einschnitt Hartz IV anbelangt, so ist die Zukunft tatsächlich schon vergangen: Nur noch 20 Fehler soll die Software haben, auf die Tausende von Sachbearbeitern warten.

*** Wir sind übrigens ein kopfloses Volk. Das kommt daher, dass bei uns der teuerste Exportartikel hübsch in Folie verpackt aus Gehirnen besteht. Die Konsequenz ist natürlich, dass bei uns sehr viele Hirnlose herumlaufen, während ihre grauen Zellen im Ausland sind. "Kopien brauchen Originale", so lautet die neue Kampagne der Bundesregierung, die sich nahtlos an die hirnrausrissige Kampagne von "Chancen für Alle" anschließt. Blättert man in dem Referentenentwurf für das neue Urheberrecht, den "Kopien brauchen Originale" werbemäßig begleitet, so findet sich der schöne Satz: "Deutschland ist ein rohstoffarmes Land", das beim Export des Rohstoffes Wissen besonders gut mit ihm umgehen muss. Wie wäre es denn, wenn von den Hirnen eine Privatkopie gezogen wird, bevor es an den Versand geht? Aber nein, Privatkopien sind ein historisches Relikt aus einer Zeit, als es noch keine funktionierenden Schutzsysteme gab. Sagt der Referentenentwurf, Produkt hart arbeitender Regierungshirne.

*** So ist das eben, liebes Volk. Privatkopien werden heute immer unzulässiger, Hirne immer unzuverlässiger, wie Computer. Ja, Computer. In der Sendung mit der Maut konnte man von Toll Collect hören, dass manche On Board Units ein "Eigenleben" entwickeln würden. Unheimliche Sache das, nur ein kleiner Chip, etwas Speicher, und schon geht das los mit dem Eigenleben, fast wie die schwer unheimliche Beschreibung von George Bush anlässlich der Bush-Kerry-Debatte in der Süddeutschen Zeitung. "Gnadenlos wiederholte er immer dieselbe Botschaft -- eine MPEG-Datei nach dem Absturz des Rechners."

*** Aber was ist schon das Volk? Es ist unser aller gnädiger Herrscher, auch wenn das mit der Demokratie manches Mal so sein Bewenden hat. Viel zu viele meinen offensichtlich, auf sie verzichten zu können, manch anderer zweifelt an der Weisheit des Souveräns. Letzterer Ansicht mag man sich dann doch vorsichtig annähern, wenn man nach Ankündigung von Lese-Domina Elke Heidenreich, es gebe in der Bestenliste "keine intellektuellen Wichtigtuereien", erfahren muss, dass die Deutschen doch glatt Bücher von Ken Follett, den Ghostwritern des lieben Gottes und von J.R.R. Tolkien auf die drei ersten Plätze der Lieblingsbücher wählen. Ja, will man in diesem Land leben, das kulturpolitisch Bibellektüre und metaphysische Schmöker verordnen würde? Ach, jammern wir nicht. Man müsse jedes Werk im ganz eigenen Sinn interpretieren, meinte Peter Weiss in der Ästhetik des Widerstands -- wollen wir das auch für diese Bestenliste gelten lassen, mag doch Eskapismus im Vergleich zur Rechtsmobiliserung eines verarmten Mittelstands immer noch die bessere Lösung sein.

*** Was die können, können wir schon lange: Wir sind auch ein Volk, rufen die Geräte mit Eigenleben. Wer gibt euch eigentlich das Recht, uns abzuschalten? Wo Computer ein Eigenleben nach dem Absturz haben, ist Microsoft nicht fern. Denn was ist der Absturz eines Media Players anderes als eine wundervolle Gelegenheit für ein neues Geschäftsmodell. Stolz präsentierte die Firma auf der heute ausgeknippsten Photokina das "Media Transfer Protocol". Endlich steuert der PC das Aufnahmegerät und kann zeigen, wie kreativ er zwischen den Abstürzen ist. We are the population: Kreativ ging die Gemeinde Hom Mountain mit ihren Computern um, als sie ihre Tourismusbroschüre durch Babelfish laufen und offensichtlich ohne Gegenkorrektur drucken ließ. So berichtete es das Schwarzbuch der Steuerzahler in dieser Woche. Aus Freibad wurde free bath und wir wollen lieber nicht wissen, wie die freie Staatsknete übersetzt wird, die freie Berater für ihr sachverständiges Wissen beim Verkehsministerium abholten. 15,6 Millionen Beraterhonorare bei der LKW-Maut deuten auf ein gutes Eigenleben hin.

*** Wir sind das dicke Volk, die dicken Deutschen! Nun ist auch Verbraucherministerin Künast, die letzte Woche noch zum Hamstern von Lebensmitteln rief, auf das trendige dicke Thema gestoßen und hat den Pummelalarm ausgerufen. Natürlich sind in diesem Kontext Computer pfui. Sie machen aus wachen, tobenden Sesamstraßenkinder fette Klöpse, die schnaufend die Maus schubsen und Counter Strike spielen. Dass es keinen empirischen Nachweis für den Zusammenhang von Pummel und PC gibt, ficht niemanden an. Schließlich ist jeder Erwachsene von Kindern genervt, die bei jeder Gelegenheit am Computer abtauchen. Dann werden sie eben für geistig dick erklärt und sind eine Gefahr für die Volksgesundheit. Was machen nun die dicken Kinder, die nicht mehr Kim Schmitz nacheifern können? Natürlich erklären sie, dass die Welt Scheiße ist und schicken als Weltherrscher gleich das ganze Internet in den Krieg.

*** Krieg, Untergang? Volk, höre die Signale: Neben der Photokina gab es noch die Popkomm (hier aus der Sicht eines Piratensenders) in Berlin, eine Messe, auf der natürlich die dümmste deutschste Debatte aller Zeiten geführt wurde, über die Deutschquote in der Musik. Sie ist so schauderhaft, so speichelschlürfend an den Rändern einer angeblich Not leidenden Branche, dass jeder Link auf diese Debatte entfallen muss. Rio Reiser und Wolle Kriwanek rotieren in den Urnen. Es gibt großartige deutsche Lieder und großartige französische Chansons. Mehr Quote für die Böhsen und die angefahrenen verfetteten Schulkinder? Noch ein bisschen mehr Pur, Scooter, Bockelmann? Glaubt wirklich jemand, Formatradios und Musikindustrie entdecken, weil sie eine Radioquote erfüllen müssen, plötzlich ihr Herz für unbekannte Indie-Experimente und die vielbschworenen Künstler jenseits des Mainstreams, die sie gerade gefeuert haben? Man sollte sich wirklich nicht kirre machen lassen von Fetischisten aller Sorten. Nur weil der neue Superstar Jessica Stone in jedem dritten Lied ihren fehldesignten iPod erwähnt, gerät etwa eine Marianne Faithful ins Hintertreffen, die gerade mit Desperados etwas Feines abgeliefert hat. So ist die Welt, so geht sie unter. Nur echt mit Untergang, einem bestialischen Film, den ich hier erwähne, weil die echt deutschen Komparsen feixen, eine feine Nummer abgezogen zu haben. Deutsch sprechen können reichte, um dem Schweizer Bruno Ganz ergriffen die Hand schütteln zu können.

Was wird.

Was ist schon der Untergang, wenn nicht eine hervorragende Gelegenheit, eine wissenschaftliche Konferenz über ihn zu gestalten. Oder aber man kann, wenn alles zusammengebrochen ist und das Volk endlich weggelaufen ist, auf einer kleinen, feinen Konferenz die Geschichte revolutionärer Errungenschaften feiern, ganz ungestört. Die im Westen haben schließlich genug mit ihrer Buchmesse zu tun. Wir sind ein Volk. Ein Reich, ein Führer müssen leider draußen bleiben.

Und die Computer? Die holden Wesen mit dem Eigenleben, die nicht von der Mauer im Kopf betroffen sind? Erschüttert müssen wir mit Intels Chefdenker Craig B. zur Kenntnis nehmen, dass Moore's Law des unbegrenzten Wachstums auch seine Nachteile hat: "Unsere Strategie ist es, mit 200 Meilen pro Stunde zu brettern, und wenn wir die Mauer treffen, so treffen wir sie mit voller Geschwindigkeit." Viel Spaß. Ich enthebe mich solch seltsamer Aktivitäten, schaue mir gleich den "Dritten Mann" an und stoße mit allen, die es zu genießen wissen, noch nachträglich auf Graham Greenes Hundertsten an. Cheerio, was immer ihr auch trinkt .... (Hal Faber) / (jk)