Was war. Was wird.
Haben wir ein Recht auf Antworten? Das schon, meinen die Philosophen. Aber ob wir sie auch bekommen, die Antworten, etwa von den Pfadfindern des Computerzeitalters? Hal Faber hat so seine Zweifel.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Hartz IV, Maut, Gesundheitskarte, überall hapert es und knirscht und knackt, wo Staat Deutschland digital modern sich geben will. Der schwere Ausnahmefehler ist Regierungsstandard geworden. Da rechnet die Software falsch das Arbeitslosengeld II aus, da merken die Tester, dass die Buchung über das Internet überhaupt nicht klappt, da streiten sich Ärzte nicht ums Skalpell oder die Vergütung, sondern um die serverbasierte Lösung. Der deutsche Herbst anno 2004 ist ein einziges Miasma. Freunde, nicht diese Töne! So stimmt es mich wieder heiter, am letzten Tag der DDR auch mal das Positive, das Werthaltige, das Fortschrittliche dieser unserer Deutschen Bundesrepublik benennen zu können: Search and replace, ähem, das Sechen und Ersutzen klappt! Anstandslos wird aus Raider Twix und aus dem Bundesgrenzschutz die Bundespolizei. Das ist doch ein Fortschritt, dieser zupackende Name, wie das große amerikanische Vorbild, das Indymedia-Server zum Frühstück vernascht. Neuer Name, neue Farben, Seyfried koloriert um; auch die Wagen müssen dran glauben. BPZ statt BGS und die Beamten üben fleißigst. Plozei, Plolizei war gestern, Bupolizund, Bundespozei wird morgen sein. Denn an der Grenze wird schon lange nicht mehr geschützt. Freundlich und in blauer Kapitänstracht werden unsere Bundesabschnittsbeauftragten etwa im idyllischen Afrika, in den neuen Club Mediterannées für Nichtschwimmer, als Animateure mit komplementären Maßnahmen auftreten.
*** Es ist dunnemal vom großen Weißgeist Persil bescheinigt worden, dass Umbenennungen mitunter wahre Wunder bewirken. Nehmen wir nur die Anhänger der quelloffenen Software. Seitdem sie zu den Pfadfindern zählen und Stallman himself beim Fähnlein Wieselschweif das berühmte Installationshandbuch studiert, ist die Welt noch ein bisschen freundlicher geworden. Die gute Tat ist dann nicht länger die berühmte Oma, die über die Straße gezerrt wird, sondern der Druckertreiber, der für Oma installiert wird. Auch das Einsammeln von Tannebäumen entfällt hoffentlich, mit dem bei mir der Verein Christlicher Pinguine alljährlich nervt.
*** Doch die guten Nachrichten sind noch gar nicht zu Ende! Es kommt noch fast besser. Einstimmig haben die deutschen Ministerpräsidenten das Sommerloch zugeschüttet und eine Rechtschreibreform bestellt, Anlieferung am 1. 8. 2005. Das ganze Tamtam der Spiegel-Springer-Koalition hat sich bezahlt gemacht: Politiker wollen nicht von den Herren Aust und Döpfner regiert werden. Nun müssen schwanzfixierte Spiegel-Redakteure wieder lernen, wie man Betonphähle schreibt. Leider sind diese guten Nachrichten leicht verunreinigt, haben doch die nämlichen Ministerpräsidenten die Einführung der Rundfunkgebühren für internetfähige Computer bestellt, abzuliefern bei der "Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland" (GEZ). Ist es das En.de? Spätestens jetzt kann die Forderung nach einer Umbenennung im modernstaatlichen Geiste Otto Schilys nicht mehr ignoriert werden. Wie wäre es mit Medienpolizei? Die Uniformen werden von der Hitparade der Volksmusik geliefert, Herzilein.
*** Eigentlich ist der Browser-Krieg Vergangenheit. Microsoft hatte ihn gewonnen, doch danach wohl gedacht, dass Anwender so genĂĽgsam sind und weiterhin den Explorer mit allen Unsicherheiten akzeptieren. Nun gibt es niedliche Alternativen. Kein geringerer als Marc Andreessen, der Ziehvater des Netscape-Browsers, sieht die Situation so, wie sie ist. Prophetisch seine Worte ĂĽber die nicht minder problematische Firma eBay, ĂĽber die einige Zeitgenossen ihre Reputation definieren, um im Gegenzug was zu erhalten? Nichts. "Zwei, eins, meins" ist der Refrain, den man in der modernen geizgeiligen Sklavenhaltergesellschaft singen muss.
*** Als die Browser noch jung waren und das Internet eine kaum bekannte Verästelung von Computern und ressourcenbewussten Computernutzern, gab es das Heiseforum noch nicht. Stattdessen druckte die c't Monat für Monat eine immer länger werdende Liste von Mailboxen. Viele, die sich heute hier tummeln, ob als Menschen oder Textomaten, suchten damals ihre Stamm-Mailbox auf und nutzten die verschränkten Möglichkeiten, wenn eine solche Box den Zugriff auf das Usenet im Angebot hatte. Die heute bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Super-Mailbox Compuserve traf der Bannstrahl deutscher Richter, weil sie angeblich Nazimaterial zugänglich machte. Der Strahl erwischte den deutschen Geschäftsführer Felix Somm. Die Sache ging gut für ihn aus, was Alvar Freude von der Online Plattform für Menschen- und Bürgerrechte im digitalen Zeitalter nicht behaupten kann. Vorerst. Während die Heise-Forumsteilnehmer nach einem Hyperlink für Spenden suchen, muss man bei den Büssow-Gegnern erst einmal Luft holen. Mit einer Verurteilung, einer Niederlage hatte niemand gerechnet. Aber ist es nicht so, dass man auch 2004 damit rechnen muss, Menschen zu begegnen, denen das Internet nichts sagt, nichts bedeutet? Die Verwechslungsgefahr geht vom Volke aus.
*** Auf Compuserve gibt es die Elfriede Jelinek Homepage der Literatin, die in diesen Tagen den Literatur-Nobelpreis gewonnen hat. Die ehr-baren Faschistoiden sind aufgebracht und eingeschnappt. So hat es den Anschein, als ob Deutschland sich leichter mit der Jelinek aus Mürzzuschlag freuen kann, die sich vom Einfluss eines jüdischen Vaters und einer strengen katholischen Mutter schreibend befreien musste. Aber wir in Deutschland werden Österreich und besonders die Wiener Nekrophilie ohnehin nie verstehen. Das Bergland hat mit Udo Proksch einen veritablen Verbrecher gehabt, der mit dem Versenken eines Schiffes bekannt wurde. Mit Udo 77 kehrt er in Österreichs Theatrarium als Held zurück. Schuld ist, wie üblich, eine ausgerutschte Maus, ein fehlerhafter Klick, eben ein Computervirus. In dieser Form wird "Jelinek" der Knaller beim K.u.K. Musical. Für die Mutter der Bäume gibt es solche Hoffnung nicht, Für die Ansicht, dass das HI-Virus eine biologische Waffe ist, mit der die schwarze Rasse ausgerottet werden soll, hat die derzeitige Petra-Kelly-Preisträgerin bereits das Prädikat "Rassistin" kassiert, gleich nach dem Nobelpreis.
*** Ein Missverständnis? "Wenn ein Missverständnis möglich ist, wenn ein Miss-überhaupt ("Missgriff", "Missverstehen", "Missdeuten", "Misskennen" usw,) möglich ist, was folgt daraus für die Natur der Sprechakte im allgemeinen?" Jacques Derrida ist tot. Der größte Theoretiker des Codes wurde an dieser Stelle das letzte Mal erwähnt, als er zusammen mit Jürgen Habermas in einem Aufruf die Erneuerung der europäischen Intellektuellen forderte. Nun werden die Nachrufe kommen, die sich mit der "Dekonstruktion" gelahrt beschäftigen. Halten wir darum fest, dass mit Derrida einer der letzten großen Philosophen abgetreten ist, der das Recht auf Antwort formulierte.
Was wird.
Mit großem, ich wiederhole mich, aber es ist wie bei der Debatte um die Rechtschreibreform. Mit großem Tamtam also wird Microsoft in der nächsten Woche das neue Media Center vorstellen, den nächsten Anlauf zur Eroberung des Wohnzimmers. Aus ganz Europa werden die Journalisten eingeflogen, denn dieses Vorhaben ist anspruchsvoller als die Schlacht um den Browser: Jeder verzeiht einem PC den Absturz, doch einem Fernseher? Niemals. Gelingt es Microsoft, verantwortlich zu handeln und einen absturzsicheren Unterhalter zu bauen? Spannend, spannend, wie die Frage, die ich schamlos vom großen Heise-Autor Volker Weber mopse: Was macht man eigentlich, wenn man Bill Gates beim Pinkeln vorgestellt wird? Ist die Etikette nicht ein bisschen dürftig?
An dieser Stelle könnte man mitteninne aufspringen und mehr Verantwortlichkeit fordern. Genau das geschieht zu Berlin, wo sich die Lenker mit den Denkern zusammensetzen, um die Corporate Social Responsibility zu diskutieren. Ja, so sind Firmen wie KarstadtQuelle wirklich. Ich ende für heute mit Schopenhauer: "Die Wahrheit ist keine Dirne, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren. Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, dass selbst wer ihr alles opfert, noch nicht ihrer Gunst gewiss sein darf." So ist das mit den Antworten. (Hal Faber) / (jk)