Polen will EU-Softwarepatent-Richtlinie verhindern
Die Regierung des neuen EU-Mitglieds stemmt sich vehement gegen die Patentierbarkeit von Computerprogrammen -- und könnte damit das gesamte Brüsseler Gesetzgebungsvorhaben torpedieren.
Die polnische Regierung drängt auf die Rücknahme der umstrittenen Version der Softwarepatent-Richtlinie, auf die sich die Mitgliedstaaten im EU-Rat Mitte Mai nach einigem Hin und Her zunächst geeinigt hatten. Das Kabinett des neuen Beitrittslands verweist dazu auf die Anfang November in Kraft getretene neue Gewichtung der Stimmen der Mitgliedsländer im Rat nach der EU-Erweiterung im Mai. Wie die Kampagne NoSoftwarePatents.com kürzlich vorgerechnet hatte, gibt es gemäß der geänderten Regeln keine qualifizierte Mehrheit mehr für den Text des Rates zur Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen". Polen hatte sich bei der "Probeabstimmung" enthalten, dies aber nicht mehr zu Protokoll gegeben, weil sein Votum im Rahmen der alten Stimmgewichtung nichts ausrichten konnte.
Nach einer Besprechung des weiteren Vorgehens im polnischen Kabinett Anfang der Woche hat die Regierung nun eine Erklärung auf ihre Website gestellt. Darin betont sie, dass Polen den im Rat zunächst informell verabschiedeten Richtlinientext "nicht unterstützen kann". Weiter heißt es, man wäre zwar "definitiv" für "eindeutige Regeln", stelle sich aber gegen eine Richtlinie, der zufolge "ein Computerprogramm oder Teile davon" patentiert werden könnten.
Die Haltung Polens hat Sprengkraft: Der Ministerrat kann mit dem klaren Statement aus dem EU-Osten nicht mehr wie geplant schon in den nächsten Wochen seine Richtlinienversion vom Frühjahr ohne weitere Diskussion formell besiegeln. Dieser offizielle Akt war im Sommer und Herbst bereits immer weiter verzögert worden -- angeblich wegen Schwierigkeiten bei der Übersetzung des Textes in die inzwischen 20 offiziellen EU-Amtssprachen. Auch der letzte ins Auge gefasste Termin für die Verabschiedung der Richtlinie während der Ratssitzung am 24. und 25. November gilt bereits wieder als überholt: Vertreter der niederländischen Ratspräsidentschaft hatten kürzlich verlauten lassen, dass man das heiße Eisen nun Mitte Dezember absegnen und damit dem Europaparlament zur 2. Lesung übergeben wolle.
Doch auch aus diesem Plan dürfte nichts mehr werden. Die inoffizielle Ansage aus der niederländischen Regierung ist derzeit, dass vor einer glatten Annahme des bisherigen Ratstextes ohne Aussprache routinemäßig noch einmal abgezählt werde, ob eine qualifizierte Mehrheit für eine Entscheidung besteht. Mit dem "Veto" Polens können sich die Zeremonienmeister jetzt aber leicht ausrechnen, dass eine qualifizierte Mehrheit für die Patentrichtlinie im Rat kaum noch besteht. So fordert Jan Macek vom Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) in Polen nun auch Länder auf, in denen sich nationale Parlamente gegen die Ratslinie formiert haben, für Änderungen an der Position des Gremiums der EU-Regierungen zu stimmen. In den Niederlanden wie auch im Deutschen Bundestag haben sich bereits Mehrheiten gebildet, welche die bisherige Linie des EU-Parlaments stärken. Dieses hatte im Gegensatz zum EU-Rat im Herbst 2003 für eine klare Begrenzung der Softwarepatentierung plädiert.
Platzt die offizielle Verabschiedung der Ratsversion, sind die Karten in Brüssel wieder vollkommen offen. Einerseits könnte sich das Gremium der Regierungsvertreter gezwungen sehen, seinen Richtlinientext vollkommen neu zu verhandeln. Andererseits könnte die EU-Kommission, die das Gesetzgebungsvorhaben 2002 gestartet hatte, das gesamte Projekt für gescheitert erklären und zurücknehmen. Damit würde die Vergabepraxis des Europäischen Patentamtes, die von vielen Seiten als zu weit gehend kritisiert wird, im Rahmen gerichtlicher Entscheidungen weiter zum Tragen kommen.
Das ist eine Aussicht, die bei Abgeordneten des Bundestags keine Begeisterung auslöst. "Es wäre verheerend, wenn unterschiedliche Patentierungspraxen und die Schwierigkeiten, die es beim Europäischen Patentamt gibt, bestehen blieben", sagt der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Hans-Joachim Otto. Auch sein Kollege Jörg Tauss von der SPD fürchtet in diesem Fall die Durchsetzung einer "sehr großbetrieblichen und mittelstandsfeindlichen Position". Noch ist sich Tauss aber sicher, "dass wir noch zu einer Richtlinie kommen". Das Thema müsse dringend auf der Brüsseler Tagesordnung bleiben. Der Manager der Kampagne NoSoftwarePatents.com, Florian Müller, hat ebenfalls noch Hoffnung, dass das Gesetzgebungsvorhaben nicht völlig gekippt wird: "Im Wechsel zwischen der alten und neuen Kommission müssen wir erst einmal abwarten". Letztlich sei aber auch eine Rücknahme der Direktive besser als die Verabschiedung der bisherigen Ratsposition.
Zum Thema Softwarepatente siehe auch:
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- Gefahr für den IT-Mittelstand, Die Softwarepatent-Richtlinie des EU-Rates erhitzt die Gemüter, c't 13/2004, S. 22
- Die Brüsseler Patentschlacht, Der Streit um EU-Softwarepatente in der vorletzten Runde, c't 12/2004, S. 60
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(Stefan Krempl) / (pmz)