CES: Das Handy wird zum Fernseher

Der Kampf um die Vorherrschaft im Wohnzimmer geht unvermindert weiter. Doch neue Fronten tun sich auch außerhalb des Heims auf: Mobilgeräte werden für den TV- und Videoempfang fit gemacht. Und diesen Trend treiben überwiegend kleine Startup-Firmen an.

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Von
  • Erich Bonnert

Bis auf Apple Computer wird kein namhafter Anbieter digitaler Unterhaltungstechnik fehlen, wenn am Donnerstag in Las Vegas die Consumer Electronics Show (CES) eröffnet wird. Die Big Players aus Computer-Branche und Elektronikindustrie bestimmen das Bild, denn sie grasen seit geraumer Zeit im gleichen Revier. Das Geschäft mit Unternehmens-IT schwächelt -- im Consumer-Segment dagegen rauscht es. Nicht nur die Mobilfunkfirmen sondern auch die gesamte PC-Industrie konzentriert sich daher auf Privatkunden. Dazu kommen aber auch noch Telekommunikations- und Kabelnetzbetreiber, die sich mit VoIP-, TV- und Videodiensten gegenseitig Abonnenten abjagen wollen. Obwohl der gesamte Chipmarkt beispielsweise 2005 bestenfalls noch um zehn Prozent wachsen soll (bei einem langjährigen Mittel von 17 Prozent), rechnet Marktforscher Semico in der Unterhaltungselektronik mit einem durchschnittlichen Anstieg von 25 Prozent zwischen 2003 und 2008. Kein Wunder also, dass sich nicht zuletzt durch die Absage der IT-Leitmesse Comdex nunmehr so ziemlich jede Computer-Firma auf der früheren Elektronikhändlermesse tummelt. Mehr als 2400 sollen es sein. Damit allerdings sieht die Consumer Electronics Association auch die Grenze erreicht. Auch die Besucherzahl allerdings will Veranstalter CEA auf 120.000 limitieren. Zu deutlich steht wohl das abschreckende Vorbild der auswuchernden Comdex vor Augen -- zuletzt eine konturlose Massenveranstaltung ohne echtes Zentrum und ohne Orientierung.

Den Reigen der Keynote-Vorträge eröffnet traditionsgemäß Bill Gates bereits am Vorabend der Messe. Verschiedene US-Medien spekulierten bereits über eine mögliche Vorstellung der Spielkonsole Xbox 2. Dies wäre angesichts des Zeitplans für den Spielcomputers allerdings reichlich früh -- und Microsoft winkt denn auch auf Nachfrage ab: "Es gibt nichts zu sagen." Zweifellos aber wird Gates die Vorzüge des Betriebssystems Windows Media Center ins Licht rücken wollen. Ebenso gilt als sicher, dass er neue Varianten der Funkuhrenserie SPOT präsentieren wird nebst zugehörigen Datendiensten von MSN. Zum Thema Konsolen wird sich hingegen Sony zu Wort melden, und zwar ausgerechnet kurz vor der Gates-Rede am Mittwochnachmittag. Auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz wollen die Japaner ihre im Mai als Prototyp gezeigte tragbare Playstation PSP en detail vorführen und Einzelheiten zum US-Marktauftritt bekannt geben.

Den eigentlichen Messeauftakt macht dann Intel-Chef Craig Barrett -- wohl einer seiner letzten öffentlichen Auftritte als CEO vor seiner Pensionierung. Intel will weitere Details zur kommenden Mobilchip-Plattform Sonoma verraten, von der bereits Grundkomponenten bekannt sind: Pentium 4 mit schnellerem Frontside Bus, Tri-Modus WLAN-Chip, Alviso-Chipset mit integrierter Grafik für Direct Media Interface und HD-Audio.

Von AMD erwarten Insider eine Antwort auf Intels ungemein erfolgreiche Centrino-Kampagne im Mobilsektor. Hier kann der Herausforderer aber kaum eine ähnliche Gebindestrategie von Prozessor und Chipsätzen einschlagen -- dazu ist die Unterstützung der Partner aus der Chipsatz-Ecke für AMD zu wichtig. Wohl aber will AMD eine Centrino-ähnliche Marke etablieren, die dem Kunden die Stärken von AMDs Mobilprozessoren nahe bringen soll.

Motorolas neuer Chef Ed Zander, früher Vize bei Sun, und Carly Fiorina von HP setzen den Keynote-Marathon fort. Während die eloquente HP-Chefin den PC als Mittelpunkt des "digitalen Lebensstils" sieht, favorisiert der Komponenten- und Appliance-Hersteller andere Geräte im Zentrum. Dazu gehört beispielsweise ein intelligenter Motorola-Media-Server, den Kabelanbieter Comcast -- bei Abschluss eines Kabelvertrags -- ab sofort für 300 Dollar anbietet. Mit integriertem Breitbandanschluss, Festplattenaufzeichnung und Heimnetzwerk-Fähigkeiten bilden solche Geräte die nächste Entwicklungsstufe bisheriger Settop-Boxen und Harddisk-Rekorder. Ein weiterer Anbieter ist die Startup-Firma Dave Networks, die eine Windows-CE-basierten Home-Server namens Xport als Zugangsgerät zu einem eigenen Content-Netz vermarktet. Mit Hilfe proprietäter Verschlüsselungssoftware können Inhalte von Kabel- und Satellitensendern sowie aus dem Internet kopiert werden.

Software-basierte Konzepte verfolgen die Aussteller Orb Networks und Gloolabs, die beide auf Streaming-Technologie anstatt gespeicherter Dateien setzen. Die Orb Server-Software wird auf dem Heim-PC installiert und streamt alle dort befindlichen Media-Files auf andere Geräte mit Web-Zugang, beispielsweise Notebook oder Handheld mit WLAN. So ist von jedem Internet-Einwahlpunkt ein laut Orb absolut gesicherter Zugang zu den eigenen Dateien möglich. Ist im PC ein TV-Tuner vorhanden, können auch Fernsehsendungen live weitergestreamt und mobil per Internet empfangen werden. Orb transkodiert den Datenstrom für das jeweilige Zielgerät und liefert das jeweilige Displayformat. Dieser individuelle Internet-Kanal ist für 10 Dollar im Monat oder 80 Dollar Jahresgebühr zu haben. Jeder weitere Benutzer kostet monatlich 4 Dollar. Die Lösung von Gloolabs basiert auf Peer-to-Peer-Verbindungen zwischen PC und Abspielgeräten und ist nicht für den Weitverkehr, sondern eher für Heimnetze gedacht. Die Netzsoftware Digital Media Transport Protocol (DMTP) legt sich über bestehende Netzwerkprotokolle wie Upnp oder Rendezvous.

Die letzte Keynote macht Rich Templeton, Vorstandsvorsitzender von Texas Instruments. Die Entwickler des Chip-Hersteller wurden vom neuen Mobil-TV-Schub als eine der ersten erfasst. TI-Chef Templeton will eine Digital-TV-Lösung für Mobiltelefone, integriert auf einen einzigen Chip, vorstellen. Der Baustein mit dem Codenamen "Hollywood" soll digital ausgestrahlte Sendungen mit 24 bis 30 Frames pro Sekunde empfangen. Bis Telefone mit dem Chip auf dem Markt sind, werden allerdings noch Monate vergehen. Wer nicht so lange warten will, kann sein Handy per Software-Download von Mobi TV zum Minifernseher aufrüsten. Mehrere vorhandene Telefone von LG, Motorola, Samsung und Sanyo können mit der Tuner-Software in den GPRS-Netzen der US-Provider AT&T, Cingular und Sprint den TV-Dienst nutzen. Mehr als 20 Kanäle von verschiedenen Fernsehsendern stehen zur Verfügung.

Zur Consumer Electronics Show 2005 siehe auch:

(Erich Bonnert) / (tol)