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Was war. Was wird.

Falsche Versprechungen, billige Plagiate oder grenzenlose Geschmacklosigkeit. Hal Fabers Favorit ist bisher FrĂĽhstĂĽck mit Tiramisu.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Immer wieder treffe ich auf diese Www-Schlaumichel. In der Hoffnung, ihren Schund besser unters Volk bringen zu können, springen sie auf alles drauf, was gerade hip zu sein scheint. Folgt man dann ihren Spuren, die sie nicht ohne Geschick im Netz gelegt haben, trifft man auf falsche Versprechungen, billige Plagiate oder grenzenlose Geschmacklosigkeit, die jeder Diskussionsgrundlage entbehren. Rock 'n' Roll rules!" Wow, Chad Kroski, du alte Klagetunte, jetzt legst du also los, da legst di nieder. So also liest es sich, wenn T-Mobile hochbezahlte Starblogger beschäftigt, die eine grenzenlos debile Werbekampagne retten sollen. Magenta rulez! Bis jemand merkt, dass Lefze im Mittelhochdeutschen etwas "schlaff Herabhängendes" bezeichnete, wird Chad Kroski laut mit seinen Lefzen denken. Ein Denkmal, wie peinlich Corporate Blogging sein kann, ist Chad "Michel" Kroski jetzt schon.

*** Nun, ich habe nichts gegen Blogger. Meine besten Freunde hat es erwischt und sicher werden wir eines Tages neben dem Bildblog und dem Netzweltspiegel auch den gewünschten heiseblog haben, wenn Tyler Durden mal eine Blogsoftware anfasst. Doch davon unabhängig blüht und gedeiht das Heise-Biotop. Da freut sich der Verlag, da kämpfen die Recken des Off-Topic-Forums und schließlich sei der Channel heise.de im Ircnet erwähnt, auf dem die Party-Vorbereitungen zum zweiten Geburtstag des Channels angelaufen sind.

*** Ich habe auch nichts gegen Pressemeldungen. Sie sind mein täglich Brot und enthalten manchmal den einen oder anderen Informationskrümel, aus dem ein Artikel werden kann. Leider werden sie immer schlechter, weil Produkte beschrieben so werden müssen, bei denen niemand merken soll, welche Kröten mitgeschluckt werden müssen. Wenn Hewlett Packard von der Verschlusssache Farbe schwärmt und berichtet, dass "proprietäre chemische Prozesse" auf das Druckerpapier einwirken, statt von patentierter Technik zu reden, dann ist das so ein Fall von Verdummungs-PR. Wenn Apple und Motorola ein Rocker-Handy auf den Markt bringen, das exakt nur 100 Songs speichern kann, weil das eingebaute DRM-System nur 100 Tracks akzeptiert, dann umschreibt man das feinsinnig mit "Die Anzahl der übertragbaren Songs ist abhängig vom Land und dem Netzbetreiber", um vom viel größeren Flash-Speicher abzulenken. Die Vorstellung ist hart, dass solcher Unsinn verbreitet wird. Man sollte die *Bling* einfach beim Namen nennen, damit Leser wenigstens wissen, was für einen *Bling* sie da kaufen. Ganz ohne Zensur: Bling.

*** Apropos "Rokr" alias Rocker. Man sollte auf die Namen achten, unter denen sich manche Lösungen dem Nutzer andienen. Vorgestern wurde auf der Fernsehmesse IBC in Amsterdam "Tiramisu" vorgestellt, das "barrierefreie" DRM-System der nächsten Generation und alles andere als eine Süßspeise. Die entsprechende Presserklärung feiert Tiramisu als System zum Schutz der Anwenderdaten.

*** An dieser Stelle könnte ich eigentlich das gute alte Sommerrätsel aufleben lassen. Für welche Software wirbt diese PR-Meldung: "UNICEF warnt vor kinderarmem Deutschland"? Na? Auch mit der Nachhilfe "Revolution der Heimarbeit als Weg aus der Krise" will der Groschen nicht so recht fallen, wenn die Hamburger Firma PrimeSharing die Frau als Gebärmaschine mit ihrem P-Drive nutzbringend in Geschäftsprozesse einbinden will. Wie gaga solche Pressemeldungen sind, fällt in einer IT-Szene nicht auf, in der Bill Gates den *Bling* von einer Mittelstandsvision verbreiten darf. "Ziele sind die Fokussierung auf Skalierbarkeit, Sicherheit, einfache Verwaltung und schnelle Entwicklung. Durch die Kombination dieser Faktoren können Unternehmen Anwendungen zur Verfügung gestellt werden, die noch spezifischer an die tatsächliche Funktionsweise der Betriebe ausgerichtet sind und den Mitarbeitern helfen, den Geschäftserfolg zu steigern und einen optimalen Return on Investment zu erreichen." Was schrieb Chad Kroski noch über die Schlaumichels? Sie springen auf alles drauf. Genau.

*** Chad Kroski und Bill Gates werden nur von einem getoppt: Streichlisten-Paule. Wenn am 18. September die Paul-Kirchhof-Wahl stattfindet, dann feiert vor allem eine Partei, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die ihren Botschafter Kirchhof bestens platzieren konnte. Ja, nach der Wahl finden wir uns dann in Kirchhofs "Garten der Freiheit" mit seinen 427 Streichfrüchtchen wieder -- oder in Schönhubers Dresden. Immerhin hat bis dahin die Wahl für einige Belustigungen gesorgt, ehe es ganz hart kommt mit den Alternativen. Man vergleiche nur die feinsinnige, literarisch-differenziert vorgetragene linke Positionsbestimmung des Ästheten Harry Rowohlt mit den Floskeln einer Claudia Roth.

*** Mindestens ebenso spaßig ist die seit Jahr und Tag geführte Debatte über die Sinnhaftigkeit des Microsoft-Logos bei der wahlabendlichen Schlacht der Balken und Torten. Erinnert sich denn niemand mehr an die Systemkonkurrenz von Infas/GMD in Bonn, die für die ARD auf IBMs 370-175 rechneten, in Konkurrenz zur Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, die eine Siemens 4004/151 einsetzte? Beide Systeme wurden gerne in Wort und Bild vorgestellt. Da hatte es der Urvater aller Wahlrechner nicht so einfach: die PDP 11/40 mit ihrem Farbterminal zur Darstellung der Torten kämpfte einstmals mit dem Problem, dass sie nicht richtig abgefilmt werden konnten und es noch keinen ausreichend schnellen Farbdrucker für die Torten gab.

*** Was wäre dieser Wochenrückblick ohne Heise-Leser, was wäre die IT ohne Studenten, was wäre die Welt ohne Wissenschaft? Fragen, auf die es nur traurige Antworten gibt. Studenten sind die Hilfsmotoren dieses Systems, die verkappten Außenborder, ohne die eine IFA nackt ohne Fachbesucher dastehen würde, ohne die Raketen hohl herumfliegen würden. An dieser Stelle sei darum leicht verspätet an den großen Wissenschaftler Joseph Rotblat erinnert, der am 31. August in London starb. Er war der letzte lebende Unterzeichner des Manifests von 1955, mit dem Russell und Einstein die Abschaffung aller Atomwaffen forderten, ein unermüdlicher Mahner an die Wissenschaftler, aus der "Todesforschung auszusteigen".

Was wird.

September ist's, die Zeit der Symposien und Kongresse, bevor die Matadore des Wissens und die Dompteure der Datenbanken sich wieder an ihre Forschungen machen und etwa darüber grübeln, wie unsere digitale Kultur langzeitgespeichert werden kann. Aus dem Überangebot der Kongresse sei auf den Weltkongress der Datenschützer verwiesen, der in Montreux am Genfer See stattfindet. Während in Deutschland in Niedersachsen mit kräftiger Unterstützung von Otto Schily der betriebliche Datenschutz entgegen den EU-Richtlinien in das Innenministerium ausgegliedert wird, weg von den lästigen Datenschutzbeauftragten, gibt es anderswo noch Standesehre. Vor den Datenschützern rufen die Datenaktivisten der European Digital Rights Initiative in Montreux zu einem Stelldichein.

Gleich zwei Veranstaltungen beschäftigen sich mit den Funk-Chips, die Datenschützern so viele Sorgenfalten werfen lassen. Inmitten der Dortmunder Logistik-Gespräche veranstaltet die Fraunhofer-Gesellschaft ein RFID-Symposium, das sich mit den "Chips von der Rolle" im Masseneinsatz beschäftigt. Was die verflixten fixen Adressen in den Chips für den Datenschutz bedeuten können, klären die Fraunhofers etwas weiter südlich in Darmstadt. Auf dem SmartCard-Forum überlegt man auch, was die Chips in den Reisepässen leisten sollen, ehe Zehntausende vor rot blinkenden Bildschirmen stehen und versucht sind, in ihren Pass zu beißen.

Das letzte Word zur Qwahl hat natürlich Chad Kroski, das sprachlich rasende Meme von Timo Beil: "Ist das der Zeitpunkt, sich endlich an dieses Menü zu wagen, dieses Menü, das Koch jüngst in seinen Bann zog, das ihm den Speichel aus den Lefzen trieb, ihn sogar dazu zwang, die Seite aus der Hausfrauenzeitschrift zu reißen, während er beim Friseur darauf wartete, endlich unters Messer zu kommen?" Ja, Chad, die Messer sind geschärft, der Herd geputzt, die nicht ganz so proprietären chemischen Prozesse rund um das Stück Fleisch können beginnen. Zum letzten Mal rufe ich nach einer kleinen Unterbrechung die Leser auf. Wird es so gruselig ausfallen müssen, mit Düsselalt und Peterskölsch? Muss Benzin im Essen wirklich sein? Mein bisheriger Favorit ist eindeutig das Frühstück mit Tiramisu. (Hal Faber) / (anw)