USA und EU im Clinch über Internet-Regulierung
Die EU schlägt eine neue Verteilung der Aufgaben für die Verwaltung des Domain Name System und für die Vergabe von IP-Adressen vor. Die US-Regierung kritisiert die Vorschläge scharf.
Der Leiter der US-Delegation, David Gross, hat bei den Verhandlungen zum bevorstehenden 2. Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) Vorschläge der EU für die künftige Organisation der Netzverwaltung scharf kritisiert. "Wir sind sehr enttäuscht über den Vorschlag der EU, denn er will die Vereinten Nationen mitten in die Verwaltung einer Menge technischer Dinge setzen. Das ist völlig unangemessen", sagte Gross gegenüber heise online in einem Pressegespräch. Noch bis morgen dauern die am 19. September gestarteten Verhandlungen in Genf, die den Entwurf einer Erklärung für den Gipfel produzieren sollten. Inzwischen wird allgemein davon ausgegangen, dass die Diplomaten sich ohne Ergebnis trennen werden.
Der Streit zwischen der EU und den USA, die nach wie vor an ihrer Aufsicht über das DNS und Änderungen in der DNS-Rootzone festhalten, wurde durch einen von der britischen EU-Präsidentschaft vorgelegten Vorschlag angeheizt (DOC-Datei). Darin wird neues, internationales Aufsichtsmodell vorgeschlagen, das zwar laut dem Vorschlag auf bestehenden Institutionen aufbauen, gleichzeitig aber die Aufsicht über alle Aufgaben bezüglich des DNS und der IP-Adressen umfassen soll. Unter die Aufsicht internationaler Regierungen sollen demnach "die Zuteilung von IP-Adresseblöcken, die nicht-diskriminierend und effizient ist", "Verfahren für Änderungen in den zentralen Rootzone-Einträgen", "Erstellung von Notfall- und Ausfallsicherheitsplänen", "Schaffung eines Streitschlichtungsmechanismus gemäß internationalem Recht" und "Regeln für das DNS" fallen.
Beobachter zeigten sich über die stark etatistische, also für mehr staatlichen Einfluss werbende Linie im EU-Vorschlag überrascht. Dem Statement waren offenbar harte Verhandlungen zwischen EU-Mitgliedsstaaten vorausgegangen, in den sich nicht zuletzt Großbritannien für einen "weicheren" Vorschlag ausgesprochen hatte. Mindestens in Teilen erscheint der gefundene Kompromiss nun auch widersprüchlich, wie der Völkerrechtler und Telepolis-Autor Wolfgang Kleinwächter urteilte. In Prinzipien für die künftige Neuorganisation hatte die EU zu Beginn der Woche vor allem betont, man setze auf bestehende Institutionen und wolle nicht ins Tagesgeschäft eingreifen. Dass die neue Aufsicht nun auch über "Regeln fürs DNS" wachen will, läuft dem zuwider. Laut Insiderinformationen war der Vorschlag nicht -- wie auf dem diplomatischen Parkett üblich -- mit den USA vorher abgesprochen worden. Mitglieder der EU-Delegation gaben sich zurückhaltend bei Fragen zu ihren Vorschlag, man habe versucht, einen Kompromiss zwischen Ländern wie Brasilien und China auf der einen und den USA auf der anderen Seite zu schaffen.
Gross pochte demgegenüber während des Pressegesprächs nun noch einmal hart auf die im Sommer von der US-amerikanischen National Telecommuncations and Information Authority (NTIA) veröffentlichten vier Grundsätze. Darin hatte die USA unter Hinweis auf die Stabilität des DNS eine Aufgabe ihrer Aufsichtsrolle für die DNS-Rootzone und die ICANN abgelehnt. "Wir sind an weiteren bilateralen und multilateralen Gespräche zu der Frage interessiert, was nach dem Ablauf des Vertrags der US-Regierung mit ICANN geschehen will. Ich kann aber nicht sagen, was genau geschehen wird", sagte Gross. Ein künftiges internationales Netzpolitik-Forum für Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, das ebenfalls in Genf zur Debatte steht, begrüßte Gross . Allerdings soll es nach seiner Ansicht keinerlei Aufsichtsfunktion haben, vielmehr sollen dort Hinweise für bestmögliche Vorgehensweisen ausgetauscht werden. "Eine Hintertür zu Aufsichtsfragen sollte man sich vom Forum nicht versprechen", betonte Gross.
Inzwischen laufen Bemühungen aller Parteien auf Hochtouren, für ihre jeweiligen Positionen Verbündete zu gewinnen. Ob sich das Patt noch auflösen lässt, steht derzeit in den Sternen -- ebenso wie ein mögliches Vorgehen, wenn kein Gipfelkompromiss zustande kommt.
Der Weltgipfel der Informationsgesellschaft ist eine von der UNO ausgerufene Weltkonferenz. Sie soll zu einem gemeinsamen Verständnis der Informationsgesellschaft beitragen. Ein Gipfel fand bereits 2003 statt. Gastgeber des WSIS im November ist Tunesien. Diesem Gipfel gingen Vorbereitungskonferenzen voraus. Siehe zum Thema auch:
- Mitbestimmung im Cyberspace? in Telepolis
- Scharfe Kritik an Gipfelgastgeber Tunesien
- Streit beim Auftakt zu WSIS-Verhandlungen
- USA für einen Gipfel ohne Folgen
- Maulkorb für zivilgesellschaftlichen Vertreter beim WSIS
- Internet Society: Das Netz muss weltweit offen bleiben
- Die Regierungen, die UNO und das Internet
- Mehr Regierungseinfluss in der Internet-Verwaltung
- US-Regierung gibt Kontrolle über DNS-Rootzone nicht her
- WSIS-Konferenz zur "digitalen Kluft" und zu mangelnden Inhaltsangeboten
- Meinungsfreiheit in Tunesien kein Thema für den Informationsgipfel
(Monika Ermert) / (jk)