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Was war. Was wird.

Ist der neue Umweltminister doch noch die Rettung für die Popmusik? Ist 42 die Alternative zur Apokalypse des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik? Statt solch grüblerischen Gedanken anzuhängen fordert Hal Faber lieber: Freut Euch und frohlocket!

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Chad Kroski hat natürlich recht: "Meist ist es die Verkäuferin, die noch scheißer drauf ist." Deswegen hakt es ja bei uns mit dem Konsum und deswegen ist der Aufschwung weniger als ein Klimmzug. Aber hier, in dieser kleinen Wochenschau, hakt es noch schlimmer. Meistens ist Hal Faber am scheißesten drauf und die Sicht der Welt so negativ, dass sich die nur noch gelegentlich vorbei schauenden Leser erschüttert mit Alt-F4 abwenden, genau wie beim neuen Asterix, der einfach nur Scheiße ist. Also bitte, ab jetzt keine platten Witze mehr, sondern prall aufgeblasene, die im Zeichen der geistig moralischen Doppelwende einen sanften Optimismus verkünden, wie ihn der Angie-Bär mit Münte-Brummstimme an klassischer Holzwolle-Füllung verkündet. Mit Schwung und Optimismus kommt heute nur das Positive in meine Kolumne und, was noch anti-scheißerischer ist: Kein Tier musste dafür leiden, dass diese Kolumne verfasst wurde. Alles ist gut, selbst die Vogelgrippe noch, die dem optimistischen Techniker die Steilvorlage zur CCD-Seuche gibt. Alles, was ist, ist gut und wird, um es mit Chad Kroski zu sagen, noch guter.

*** Freuen wir uns am real existierenden Egoismus des pursuit of happiness der Volksgemeinschaft. Freuen wir uns, wenn 'Siggy Pop' Gabriel tatsächlich Umweltminister wird und damit ein Ressort bekommt, das er niemals ernst nahm, als er noch in Niedersachsen präsidierte: Früh biegt sich, was ein großer Koalitionär werden will. Freuen wir uns über den sanften Wind des Opportunismus, der dieses unsere Land beflügelt. Unser sattes Land feiert heute das 60. Jubiläum des Welternährungstages und gibt folgerichtig den Afrikanern die Verantwortung für eine gute Regierungsführung und gute Ernten. Mit gutem Vorbild geht es voran, wenn in der Koalition Kürbisse und Kartoffeln größer werden, die Tische sich wieder biegen unter dem, was Deutschlands Bauern aus dem deutschen Boden holen werden. "Frieden. Essen. Nicht mehr Menschen, als die Erde ernähren kann. Das ist das Problem, das wir lösen müssen": Mit diesen Worten verabschiedete sich Charles Percy Snow 1980 kurz vor seinem Tod von der Öffentlichkeit.

*** Im Oktober 1964 war dieser Lord Snow nach dem Sieg der Labour Party der wichtigste Sprecher als parlamentarischer Staatssekretär im neu gegründeten "Ministry of Technology", der sich unermüdlich für neue Technologien einsetzte. An diesem Samstag, an dem ich die 1. optimistische Wochenschau schreibe, wurde Percy vor 100 Jahren in Leicester geboren. Als talentierter Chemiker war ihm eine der größten Karrieren im Vereinten Königreich beschieden, doch verrechnete er sich gnadenlos bei den Versuchen, in den Cavendish Laboratories von Lord Rutherford das Vitamin A künstlich herzustellen. Als Autor von wissenschaftlich angehauchten Krimis konnte C.P.Snow überleben, bis er das britische Gegenstück zum amerikanischen Wissenschaftsorganisator Vannevar Bush wurde. Der Weltruhm kam indes mit einer Rede, die er am 7. Mai 1959 punkt fünf Uhr zum Tee in Cambridge hielt und eigentlich "Die Reichen und die Armen" heißen sollte. Unter dem noch viel schwabbeligeren "Die zwei Kulturen" wurde sie bekannt. Im Kern geht es um eine Differenz:

-- jeder Progger weiß, was 42 bedeutet (und kann den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik im Schlaf herunterbeten). Entropie, anyone?

-- jeder humanistisch gebildete Mensch weiß, was ein Sonett ist, ohne gleich mit selbigem die nächste Passstraße herunterzubrettern. Rhizom, n'est pas?.

*** Wer sind die Armen, wer die Reichen? Wie können sie sich überhaupt noch verständigen? Gibt es überhaupt noch einen gemeinsamen Bezugspunkt der Kulturen, wenn die einen in ihrem defekten dissertationsdichten Brockhaus blättern und die anderen an ihrer Wikipedia herumfälschen, bis sich die Balken biegen? "Die Welt fällt auseinander, es gibt kein Zentrum mehr", heißt es in William Butler Yeats' Gedicht The Second Coming. Die Welt ist aus den Fugen, hauchte Katja Rieman in ihrer besten Rolle als Sabine Strohe(i)m in Nick Bantocks "Wiederentdeckung der Leidenschaft".

*** Wir blättern um und blättern zur hohen Kunst der Fuge. Mit Angie gilt es heute, die letzten Frontschweine des Rocks zu feiern! Damals, vor 20 Jahren, als Intel am 16. Oktober seinen wun-der-bar-en 80386DX vorstellte, endete die große Zeit der Headbanger. Man erzeugte Kinder und bebrütete Geschäftspläne, die freie Gesellschaft über ein Netzwerk selbstverwalteter Betriebe hintenrum einzuführen. Was bleibt, wenn Fischer und Trittin abziehen, wird abgezapft.

*** Der gute Vorsatz, optimistisch in die bipartisane Zukunft zu blicken, wurde in dieser Woche nur durch Otto Schily torpediert. Wie wird es eigentlich weiter gehen mit der Freiheit von Wort und Bild, wenn aus Zufallsfunden neue Anklagen konstruiert werden können? Schon biedern sich breitschenkelig die Speichelleckerinnen an, die ein 1936 von den Nationalsozialisten erfundenes "Dienstgeheimnis" nach Paragraph 353b höher werten als die Pflicht zur Aufklärung durch Journalisten. Alle beschlagnahmten Festplatten werden bis zum letzten Bit durchsucht, doch buchen wir die hanebüchenen Vorwürfe von der "Verletzung eines Dienstgeheimisses", dass es noch weiter geht, im Herbst des Patriarchen Schily.

Was wird.

In meinem Schädel habe ich ein wunderbares Bild gespeichert, das ich gerade nicht googlen kann. Zwei Offiziere sitzen da bei ihrem Abschiedsmal zu Haarlem oder Amsterdam vor einer großen Schlacht. Die Sonne scheint herein von einem großem Platz, auf dem die Pferde warten, und drängt. Sie werden viele töten müssen. Das Schlechteste ist nicht, an dieser Stelle noch einmal auf eine Konferenz hinzuweisen, die zeigt, wie das Leben ganz einfach weiter geht.

So positiv gestimmt kommen langsam die Big Brother Awards ins Auge, die in der offenbar von Frank Sinatra gegründeten Stadt Bielefeld verliehen werden. Die eigentlich betrübliche Verleihung der Datenkraken wird ab dominae Angiae eine spaßige, lustige Sache für Aus- wie Inländer: Es gibt in Deutschland weltoffene Menschen im Sinn von Kanzlerin Merkel, die das gesamte Ausland nach Deutschland einladen. Was kümmern uns schon Melilla oder Ceuta, die stehen ohnehin nicht im Katalog von t-lour, Cook und Dr. Snuggles.

Mit Chad -- ich tu was gegen die Scheißlaune -- Kroski begann die optimistische gestimmte Wochenschau, mit Chad Kroski gilt es, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Denn in ihr ist nicht nur die Verkäuferin noch scheißer drauf, sondern auch bald nach den Gesetzen der Arithmetik in seinem Bett: "Arithmetik der Stimmungsmache und apropos Kaffee, vielleicht hat sie ja Lust, morgen welchen zu kochen." Verkäufe sind's, die uns den Aufschwung bringen. Damit jeder kapiert, wie das geht, wirbt Microsoft seit Jahren mit der sagenhaft erfolgreichen Firma Contoso, die nunmehr rollenbasiert das gute Vorbild für den großen Umschwung abgeben wird. Ab dem 18. Oktober wird diese virtuelle Musterfirma von Chad Kroski in den "T-Punkt Business-Contoso-Centern" mit der "vollen Beratungskompetenz" von Microsoft und T-Com "hautnah erlebbar" sein, heißt es in der Einladung. Eine hautnah erlebbare virtuelle Firma, das ist genau das, was jetzt gebraucht wird. Oder, um es mit den einschlägigen Blogotomanen zu formulieren: Wir füllen jede Tüte. (Hal Faber) / (jk)