Vorratsspeicherung von TK-Daten: Frontalangriff auf die Demokratie befĂĽrchtet
Nach Verbänden der direkt betroffenen Branchen und Bürgerrechtsorganisationen üben jetzt Verbraucherschützer, Verleger und der Chaos Computer Club scharfe Kritik an der Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung.
Nach Verbänden der direkt betroffenen Branchen und von Datenschützern üben jetzt auch Verbraucherschützer, Verleger und der Chaos Computer Club (CCC) scharfe Kritik an der geplanten Aufzeichnung der elektronischen Spuren der rund 450 Millionen EU-Bürger. Die Argumente, mit denen die aus sehr unterschiedlichen politischen Ecken stammenden Gruppierungen gegen die Verabschiedung einer EU-Richtlinie zur Vorratspeicherung von Telefon- und Internetdaten Sturm laufen, reichen von der Gefährdung der Pressefreiheit bis zur Bedrohung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Führende Politiker aus SPD und CDU halten dagegen an der mit dem EU-Rat gefundenen Abstimmungslinie fest.
Bei den Überwachungsplänen in Brüssel, die vom Rat und der EU-Kommission mit Nachdruck vorangetrieben werden, geht es prinzipiell um die Speicherung der Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, SMS, E-Mailen, Surfen oder Filesharing anfallen. Mit Hilfe der Datenberge sollen Profile vom Kommunikationsverhalten und von den Bewegungen Verdächtiger erstellt werden. Gemäß einer Einigung im EU-Rat am vergangenen Freitag sollen die Mitgliedsstaaten Telcos verpflichten, die Informationen inklusive IP-Adressen sechs bis 24 Monate vorzuhalten.
Im Vorfeld der entscheidenden Abstimmung am Mittwoch in Straßburg wird der Widerstand gegen das Abnicken der Direktive immer größer. "Die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung träfe die Pressefreiheit in einem ihrer sensibelsten Punkte mit bislang ungeahnter Intensität," warnt Wolfgang Fürstner, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Sie untergrabe den Informantenschutz, was zu einem Versiegen von Quellen führe. Sollte die Richtlinie wie geplant das Parlament passieren, erhalte der Staat "Zugriff auf alle elektronischen Kontakte von und mit Journalisten jeweils für die vergangenen sechs Monate", führt Fürstner aus. Informanten müssten befürchten, enttarnt zu werden, wenn beispielsweise der Autor eines Insider-Beitrages – wie im Fall Cicero – ins Visier der Staatsanwälte gerät. Die angeblich der Bekämpfung des Terrorismus dienenden Maßnahme gefährdet seiner Ansicht nach die Demokratie, da diese gerade in schwierigen Zeiten auf eine effektive und robuste Pressefreiheit angewiesen sei.
Die Grundrechtsgefährdung durch die Vorratsdatenspeicherung treibt auch Edda Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Sorgenfalten ins Gesicht. "Eine demokratische Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass nicht der Staat die Bürger, sondern die Bürger den Staat kontrollieren", stellt sie klar. "Aus der informationellen Selbstbestimmung wird langsam aber sicher eine informationelle Fremdbestimmung", bewertet Müller die zunehmende Daten-Sammelwut. Datenschutz würde zur reinen Datenverarbeitungspolitik. Sie fordert die Parlamentarier auf, den Richtlinienvorschlag vollständig abzulehnen.
Der CCC hat die Internetgemeinde aufgerufen, sich in "Last Minute"-Lobbyingaktionen gegen das seiner Ansicht nach drohende Ungemach einzusetzen. Die Surfer sollen ihre Abgeordneten anrufen, ihnen "Faxe schicken und Mails schreiben und auf die Risiken der Richtlinie hinweisen". Vielen Parlamentariern dürfte noch nicht bewusst sein, dass mit dem im Rat ausgehandelten und von den Spitzen einer "Großen Koalition" von Christ- und Sozialdemokraten eingebrachten angeblichen Kompromiss "eine flächendeckende Überwachungsinfrastruktur in Europa" aufgebaut werde.
Über 20 internationale Organisationen von Bürgern, Freiberuflern und Unternehmen wie die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD) oder das Epic Privacy Information Center (EPIC) haben den Abgeordneten zudem eine "Gemeinsame Erklärung" übergeben. Die systematische Erfassung oder Speicherung personenbezogener Daten über unsere Kommunikation, Bewegungen und Mediennutzung erklären sie darin für inakzeptabel und diskriminierend. Sie verlangen, dass "sämtliche Vorhaben zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung sofort aufgegeben werden." Ihre Kritik erneut bekräftigt haben zudem Branchenverbände wie der Bitkom oder der VATM: "Wir sind auf dem besten Weg in den Überwachungsstaat", klagt Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder. Sollten die Kosten der Überwachung nicht europaweit den Staatskassen auferlegt werden, sei eine Verfassungsklage zu erwägen.
Bei der "Großen Koalition" im EU-Parlament prallen die Argumente bislang ab. "Ich erwarte eine klare Mehrheit für unseren Kompromiss", erklärt der Schattenberichterstatter der Sozialdemokraten, der Münchner SPD-Abgeordnete Wolfgang Kreissl-Dörfler. Er wertet es als wichtige Errungenschaften der Abgeordneten, dass der Zugriff auf die Datenberge für Ermittlungen zu "schweren Verbrechen" eingeschränkt und die Erstellung von Bewegungsprofilen verhindert worden sei. Die deutsche Position sieht er so größtenteils berücksichtigt, obwohl sich die entsprechende Haltung von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries mit dem Votum des Bundestags im Widerspruch befindet. Hätten die beiden großen Fraktionen nicht den Schritt auf den Rat zu gemacht, wäre seiner Meinung nach von den Mitgliedsstaaten ein noch schärferes Papier verabschiedet worden.
Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die bei der Abwicklung von Diensten wie Telefonieren, E-Mailen, SMS-Versand, Surfen, Chatten oder Filesharing anfallen, siehe siehe den Artikel auf c't aktuell (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):
(Stefan Krempl) / (jk)