Studie: Deutschland schöpft sein IKT-Potenzial nicht aus

Der konsequente Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in Staat und Wirtschaft könnte den Weg aus dem Mittelfeld in eine Voreiterrolle ebnen, heißt es in einer Studie von Boston Consulting, Siemens und der Telekom.

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Von
  • Sven-Olaf Suhl

Durch den konsequenten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in Staat und Wirtschaft könnte in Deutschland bis zum Jahr 2008 eine zusätzliche Wirtschaftsleistung von 75 Milliarden Euro erbracht werden. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Studie (PDF-Dokument, 611 KByte) der Boston Consulting Group (BCG), Deutscher Telekom und Siemens Communications. Um die Potenziale für den Standort Deutschland konsequent zu nutzen, schlagen die Verfasser der Studie vor, auf Bundesebene einen Chief Information Officer (CIO) zu etablieren, der die Verwirklichung eines "IKT-Masterplans" zwischen Politik, Wirtschaft und Bürgern koordiniert.

Europa ist mit einem Volumen von 631 Milliarden Euro im Jahr 2004 der weltweit größte Markt für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). In diesem Markt besitzt Deutschland mit 130 Milliarden Euro den größten Anteil (über 20 Prozent) aller europäischen Länder. Mit einem Anteil von sechs Prozent an der Bruttowertschöpfung (Wert der produzierten Waren und Dienstleistungen abzüglich der bei der Produktion verbrauchten Güter und Vorleistungen) ist die IKT der Studie zufolge der größte und bedeutendste Industriezweig in Deutschland – und liegt damit deutlich vor der Maschinenbau-, Automobil- oder Baubranche. Zudem trägt die IKT-Branche mit überdurchschnittlichen Wachstumsraten gut ein Drittel zum Produktivitätswachstum in Deutschland bei. Während die Gesamtzahl der Beschäftigten in Deutschland seit Jahren abnimmt, hat die deutsche IKT-Industrie zwischen 1998 und 2004 rund 113.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Bereits heute finden sich 4 Prozent aller deutschen Arbeitsplätze in der IKT-Industrie. Hinzu kommt ein Multiplikatoreffekt der Informationstechnologie: Weitere fünf Prozent aller Beschäftigten arbeiten zwar in anderen Branchen, sind aber dort mit IKT-Produkten und -Dienstleistungen befasst.

Dennoch attestiert die Studie der deutschen IKT-Industrie im internationalen Vergleich nur einen Platz im Mittelfeld, da sie in den vergangenen Jahren deutlich geringere Produktivitätszuwächse als etwa in Großbritannien, Schweden oder den USA erzielte. So konnte Deutschland von 1995 bis 2002 nur die Hälfte des amerikanischen Produktivitätswachstums aus IKT generieren. Damit bleibe Deutschland damit deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurück. "Wenn wir nicht schnell aktiv werden, bleibt die Bundesrepublik innerhalb der ersten Liga der IT-Staaten weiter im Mittelfeld und wird sich sogar mit dem drohenden Abstieg beschäftigen müssen.", mahnt Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt.

Nachholbedarf sieht die Studie im IKT-Einsatz im öffentlichen Sektor, beispielsweise eGovernment und eHealth: Sowohl die IKT-Ausgaben der öffentlichen Hand (0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) als auch das Angebot an Online-Verwaltungsdiensten seien hierzulande vergleichsweise unterentwickelt. Dadurch verschenkten die Behörden ein jährliches Einsparpotenzial von 27 Milliarden Euro. Hingegen sei Österreich mit der Einführung der digitalen Signatur auf dem Weg zum führenden eGovernment-Anwender in Europa, Großbritannien habe bereits 2003 ein umfassendes Programm zur Effizienzsteigerung des öffentlichen Sektors durch IKT-Nutzung begonnen und will damit bis 2007 insgesamt 30 Milliarden Euro einsparen. Und Australien habe mit der Centrelink-Verwaltung ein beispielhaftes Internetportal für rund 140 Verwaltungsdienste geschaffen, die zuvor auf 32 Einzelbehörden verteilt waren.

Über die Forderungen an die öffentliche Verwaltung hinaus enthält der in der Studie skizzierte Masterplan Forderungen danach, die IKT-Bildung – der deutschen "Technikskepsis" zum Trotz – stärker in der Schulbildung zu verankern, um dem Ziel von 5000 zusätzlichen IKT-Hochschulabsolventen näherzukommen – dem Berufsverband VDE zufolge sinkt derzeit jedoch die Zahl der Studienanfänger der Elektrotechnik und IT. Weiter fordert die Studie eine Stärkung der IT-Kompetenz und -Akzeptanz quer durch alle Branchen und Unternehmensgrößen. Der Aufbau von Gründungszentren und "Innovationsclustern" soll den Wissenstransfer und "Spillover-Effekte" begünstigen. (ssu)