Medienexperten diskutieren ĂĽber Handy-TV-Zukunft
Während Vertreter von MTV und debitel dem mobilen Fernsehen eine goldene Zukunft voraussagen, präsentierte IBM auf dem 18. Medienforum NRW die Ergebnisse einer Studie, nach denen gegenwärtig nur eine klare Zielgruppe erkennbar ist: Junge Leute unter 20.
Das 18. Medienforum NRW, zugleich das erste nach dem Machtverlust der SPD in Nordrhein Westfalen, ist infolge massiver Mittelkürzungen durch die neue CDU-FDP-Landesregierung erheblich geschrumpft. Dafür sind die Zukunftsvisionen wieder einmal umso größer. Triple Play, das Fernsehen via IP IPTV und das Handy-TV sollen den großen Aufschwung bringen. Besonders beim Handy-TV können die Visionen gar nicht groß genug sein: 200 Millionen Nutzer bis 2010 soll der von Kritikern mitunter auch als "Briefmarken-Fernsehen" bezeichnete technische Fortschritt den Content-Anbietern, Mobilfunk-Providern und Handyherstellern bringen.
Zu Beginn des Konvergenz-Kongresses im Rahmen des Medienforums, den NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) eröffnete, gab es eine kräftige kalte Dusche: Veit Siegenheim, bei IBM als "Leader Media & Entertainment" tätig, präsentierte die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage "Wieviel Fernsehen passt auf's Handy", die IBM zusammen mit der Universität Bonn durchgeführt hatte. Nach der Auswertung von 1000 Telefoninterviews mit Menschen im Alter von 14 bis 69 Jahren ist Handy-TV derzeit offenbar nur für Personen im Alter von bis zu 20 Jahren attraktiv. 40 Prozent der Jugendlichen möchten es haben und wollen beim nächsten Handy auf dessen Fernsehtauglichkeit achten. Der Rest der Befragten lehnt Handy-TV ab, weil es "ausreichend andere Alternativen zum Fernsehen gibt".
Aufgeschlüsselt nach Einkommen ist Handy-TV nur in den unteren Einkommensgruppen attraktiv: 60 Prozent der Befragten, die weniger als 500 Euro im Monat zur Verfügung haben, begeistern sich fürs Fernsehen auf dem Handy. Wer mehr verdient, hat Siegenheim zufolge "den persönlichen Mehrwert noch nicht erkannt" und fragt vielmehr, wozu man mobiles Fernsehen braucht. Das auf dem Konvergenz-Kongress häufig genannte Beispiel von der Fußball-WM, die man wenigstens auf dem Handy verfolgen könne, wenn man im Stau stecken bleibt, ist für Ältere wie für Besserverdienende offenbar eine eher abschreckende Vision. Viel Arbeit wartet also auf die Branche, um aus einem mobilen Unterschichtenfernsehen eine richtige "Cash Cow" zu machen. Veit Siegenheim empfahl den Anwesenden, strategisch auf "Lifestyle und Statusdenken bei den Meinungsführern" zu setzen. So, wie der Blackberry zum Status des Geschäftsmannes gehöre, müsse das TV-taugliche Handy zur Standardausrüstung der TV-Stars und -Sternchen gehören: "Mobilität und Fernsehen alleine reichen nicht aus, um einen Markt zu schaffen."
Das Gegenteil einer kalten Dusche ist heiße Luft. Diese wurde von MTV-Vizepräsident Dieter Gorny geliefert. Für ihn führen die besagten Jugendlichen die Handy-TV-Revolution an, weil laut einer von MTV in Auftrag gegebenen Studie ihre Zahlungsbereitschaft für die Handynutzung – einschließlich damit abgerufener Inhalte –, achtmal so groß sein soll wie ihr Etat für den gesamten Musikkonsum. 2010 sollen die Jugendlichen dieser Welt für Handy-TV rund 7,6 Milliarden US-Dollar ausgeben. Gorny, der seiner Firma den Slogan "We're the kings of the short attention span" verpasst hat, lobte die Zusammenarbeit mit Microsoft beim Musikkanal Urge und den Erfolg der Neopets als Vorbereiter für das Handy-TV. Zugleich hofft Gorny, dass das Einstiegsalter bei der Handy-Nutzung, das gegenwärtig bei rund acht Jahren liegt, noch weiter sinkt.
Im Rahmen der Anbieterpräsentation auf dem Medienforum waren auch nachdenkliche Töne zu hören. Den vielbeschworenen Rückkanal, den der CNN-Referent mit Live-Bildern vom Londoner Bombenattentat als Citizen-Journalismus par excellence pries, ordnete sein Gegenüber von ProSiebenSat1.Media als problematische Quelle ein: Bei einer Aktion seines Senders, bei der die Zuschauer Videoclips per MMS einsenden konnten, seien zu 30 Prozent erotisches Material, 30 Prozent – lizenzrechtlich problematische – Fußball-Aufnahmen und 30 Prozent Beiträge der Kategorie "Kinder grüßen Mama" eingegangen. Nur 10 Prozent der MMS seien brauchbare Beiträge gewesen.
Auch der Moderator der Veranstaltung, Medien-Professor Werner Schwaderlapp von der Europa FH Köln, warnte vor übertriebener Euphorie und inbesondere vor der irrigen Vorstellung, der Konsument mache sein Handy einfach zum mobilen Fernseher. "Handy-TV ist Fernsehen beim Warten", so seine These, aber sicher nicht das Gucken vom WM-Spielen im Stau.
Aber: "The proof of the pudding is in the eating". Am 1. Juni, so gaben es debitel und die Firma Mobiles Fernsehen Deutschland bekannt, wird rechtzeitig zur Fußball-WM das mobile Fernsehen via DMB in Berlin, Köln, Frankfurt, Stuttgart und München an den Start gehen. Zusammen mit dem einzigen bislang in Deutschland verfügbaren DMB-fähigen Handy Samsung SGH-P900 (199 Euro mit Vertrag) soll Handy-TV je nach Vertrag zwischen 9,95 Euro und 14,95 Euro pro Monat zusätzlich kosten. Von der Fußball-WM erhofft debitel sich dabei den nötigen Aufschwung. In seinem angestammten Geschäft leidet der Mobilfunk-Provider unter dem Preisrückgang bei Handy-Telefonaten.
Auch das konkurrierende Verfahren DVB-H, das eine größere Übertragungskapazität verspricht, für das jedoch nicht in allen Bundesländern die erforderlichen Frequenzen verfügbar sind, geht mit der WM an den Start. Mit dem "T-Mobile FIFA WM 2006"-Paket sollen alle Spiele der deutschen Elf, die wichtigsten Viertelfinal-Begegnungen, die Halbfinals, das Spiel um den dritten Platz und das Finale übertragen werden. Mobil fernsehen via DVB-H könne man in Berlin, München, Hamburg und Hannover, verkündete T-Mobile-Geschäftsführer Philipp Humm in Köln. Er rechnet damit, dass sich 25 Prozent der Kunden von T-Mobile fernsehtaugliche Handys zulegen und für den Fernsehkomfort zwischen 10 und 20 Euro Monatsgebühr akzeptieren werden.
Der Konvergenz-Kongress des Medienforums NRW wird am morgigen Mittwoch unter anderem mit einem Podcast-Day fortgesetzt. Internet-mäßig gibt sich der Veranstalter ohnehin sehr fortschrittlich und hat eine Reihe von Bloggern engagiert, die in einem Sammel-Blog ihre Eindrücke von den Vorträgen veröffentlichen.
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(Detlef Borchers) / (ssu)