Die Geburt des Videospiels aus dem Geist der Anti-Mattscheibe

Ralph Baer, Erfinder des Heim-Telespiels und der Game-Konsole, sprach bei einem Besuch des Computerspielemuseums Berlin über die Geschichte und Zukunft des Home-Entertainment, Hardware-Wettrennen und die Killerspiele-Debatte.

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Ralph Baer, der Erfinder des Heim-Telespiels und der Game-Konsole, prophezeit der Videospiele-Industrie eine rosige Zukunft. "Es gab eine Pause Mitte der Siebziger", erklärte der 84-jährige Techniker bei einem Besuch des Computerspielemuseums in Berlin am heutigen Freitag. Damals habe es niemand gegeben, der "die nächste Generation einer Spielemaschine entwickelt hat". Doch die Zeiten hätten sich geändert, und "wir haben jetzt die Technologie, um bessere Games zu entwickeln". So glaubt der in Pirmasens geborene und in Köln aufgewachsene Vater des digitalen Home-Entertainment etwa an die Rückkehr von 3D-Effekten in Computerspiele. Der "stereoskopische Anblick" werde zumindest minutenlange Bestandteile in Games bilden. Dass Spielesoftware auch immer "schönere visuelle Welten" auf die Bildschirme zaubert, hält er dagegen für nebensächlich. Bei dieser Entwicklung stellt sich für ihn die Frage, ob die Games überhaupt noch spielbar bleiben.

Weitgehend ausgereizt sieht der Tüftler, der mit seiner 1967 gebauten "Brown Box" die erste für den Heimgebrauch konzipierte Spielekonsole mit zwei Drehreglern fertigte, das Wettrennen bei der Fertigung externer Steuergeräte. "Da tut sich sehr viel momentan", weiß der 1938 vor den Nazis in die USA geflüchtete Baer, und denkt an interaktive Controller oder Trackballs. Für jedes Angelspiel gebe es aber bereits zig entsprechende Steuerungsruten aus China oder Taiwan, sodass die Auswahl riesig sei. Vor zehn Jahren hätte er gemeinsam mit seinen Entwicklern bereits daran gedacht, Charaktere auf dem Schirm mit neuen Methoden zu lenken, wie einem Helm auf dem Kopf des Spielers nebst Mikrophon. Damals habe eine andere Firma seine Idee aber rascher auf den Markt gebracht und ihn übers Ohr gehauen.

Mit gerichtlichen Auseinandersetzungen, Patentschutz und unliebsamen Konkurrenten hat sich Baer immer wieder herumärgern müssen. Schließlich machte ihm Nolan Bushnell, der spätere Präsident des Konsolenherstellers Atari, schon früh den Titel des "Erfinders des Videospiels" streitig. Für Baer ist die Sache klar: Er begann 1966, seine Idee für eine elektronische Heimspielekonsole in die Praxis umzusetzen. Die erste Applikation für die Brown Box, die Baer während seiner Tätigkeit als Leiter der Abteilung Gerätedesign beim US-Militärausrüster Sanders Associates auf den Screen zauberte, war ein schlichtes Ping-Pong-Spiel. Die Leitidee des Bastlers war dabei, Fernsehgeräte für neue Nutzungsmöglichkeiten zu erschließen, die damals in immer mehr Haushalte einzogen, aber nur wenige Programme empfingen. "Das Wort Interaktivität existierte damals noch nicht", erinnert sich Baer. "Aber die Vorstellung, mit dem Bildschirm zu interagieren, gab es bereits".

Sanders Associates lizenzierte den rechteckigen Holzkasten, der hauptsächlich mit Transistoren und Schaltern arbeitete, 1970 an die US-Firma Magnavox, die sie unter dem Titel Odyssey im Mai 1972 auf den Markt brachte. Zwölf Spiele lagen der Konsole bei, die in Deutschland als "elektronisches Fernsehspiel für die ganze Familie" angepriesen wurde. Darunter auch das Ping-Pong-Spiel. Bushnell teste die Odyssey kurz nach ihrer ersten Demonstration auf einer Messe in Kalifornien. Wenig später beauftragte er einen Programmierer, das legendäre Spiel "PONG" für einen Spielautomaten mit deutlich mehr technischem Aufwand als die kostenbewusst entwickelte Baer-Box zu entwerfen. Fortan warfen sich die beiden Pioniere die Streitbälle zu, wer sich denn nun als tatsächlicher Erfinder des Videospiels bezeichnen dürfte.

Magnavox reichte schließlich eine Klage wegen Patentverletzung gegen Atari sowie die Spielefirmen Seeburg und Bally-Midway ein. Bushnell ließ sich darauf aber gar nicht erst ein sondern kaufte eine Lizenz. Gegen die anderen Beklagten gewann das Team Baer/Magnavox sowohl in erster als auch in zweiter Instanz und verklagte später auch Mattel, Activion, Nintendo sowie einige weitere Spieleproduzenten erfolgreich. Trotz der gerichtlichen Bestätigung ist Baer aber höchst erfreut darüber, dass die Smithonian Institution, eine der wichtigsten Archiv- und Museeneinrichtung der USA, inzwischen 500 Arbeitsdokumente des Tüftlers eingescannt hat und in seinen Sammlungen aufbewahrt. Über deren Beweiskraft lasse sich schließlich nicht streiten; er habe immer genau festgehalten, wann er welche Arbeitsschritte vollendet habe. Mit Bushnell, den er 1976 auf den Stufen des Gerichts das letzte Mal sah, hat sich Baer nun mehr oder weniger darauf geeinigt, dass der eine der Erfinder des Heim-, der andere der des Spielhallen-Videospiels ist.

Die neuesten Entwicklungen auf dem Konsolenmarkt verfolgt Baer nicht mehr aktiv. "Mein Spiel ist die Werkbank", sagt der Ingenieur, der immer noch jeden zweiten Tag in sein Labor geht und gerade mit Logitech etwas Neues ausheckt. "Ich habe mal auf der Xbox gespielt mit meinem Enkel, es war ein Autorennen, aber ich konnte das verdammte Ding gar nicht steuern", zeigt er sich vom Stand der Technik erschlagen. Die Arbeit an Spielsachen habe er generell aufgegeben, obwohl auch sein "Simon", ein hierzulande als "Senso" vertriebenes Musikspielzeug fürs Gedächtnistraining ein Renner war.

Die Debatte um die Auswirkungen von Games auf die Gesellschaft und die Forderung eines Verbots von "Killer-Spielen" quittiert der Techniker mit einem Achselzucken. "Die Gesellschaft kann nicht heiliger sein als der Papst", lautet seine Einsicht. Wenn man gewalttätige Computerspiele verbiete, müsse man auch den Verkauf von entsprechenden Büchern untersagen. Er selbst könne keine Verantwortung "für das Blut in Games" übernehmen. Man müsse auch auf andere Kulturen schauen, etwas nach Japan, wo sich die Kids blutrünstige Comics "schon zum Mittagessen" reinziehen würden. Letztlich sei es Aufgabe der Eltern, über den Spielekonsum ihrer Kinder zu wachen. Altersfreigaben auf den Verpackungen seien dabei eine gute Hilfe.

Letztlich sind Videospiele für den in New Hampshire lebenden Erfinder eine Kunstform, die in Museen gezeigt werden müsse. Ein Dorn im Auge ist Baer daher, dass auch die Werbung in immer mehr Games Einzug hält. "Die haben Coca-Cola-Flaschen überall mitten in die Spiele gestellt, das ist nicht schön", empört er sich. Sein Vorschlag zur Güte: Die Industrie möge doch bitte Games ohne Werbung anbieten, die dann eben auch etwas mehr kosten dürften. (Stefan Krempl) (je)