Wikipedia-Gründer kritisiert Google und China

Als Enzyklopädie ergreift die Wikipedia keine Partei, meint Jimmy Wales. Er hofft, die chinesische Regierung werde das begreifen.

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Jimmy Wales hat Google dazu aufgefordert, nach den Prinzipien der Informationsfreiheit zu handeln. "Zensur steht unserer Philosophie entgegen", sagte der Wikipedia-Gründer in einem Interview mit der britischen Tageszeitung Observer. "Wir nehmen eine Position ein, die auch Google einnehmen sollte." Wenn sich die Wikipedia nicht an die Prinzipien der Informationsfreiheit hielte, würden die falschen Signale ausgesandt. Die freie Online-Enzyklopädie, an der sich jeder Internet-Nutzer beteiligen kann, wird seit vergangenem Oktober in China blockiert.

"Wir haben Regeln über Neutralität und Persönlichkeitsschutz. Wir sind weit davon entfernt, eine Protest-Site zu sein oder ein Versammlungsbecken für Dissidenten", sagte Wales in dem Interview. Er ist strikt dagegen, dass für die chinesische Regierung heikle Einträge entfernt werden. Das Motto laute "alles oder nichts". Beispielsweise enthält die Wikipedia einen eigenen Eintrag zum Massaker auf dem Platz der Himmlischen Friedens in Peking im Jahr 1989 mit von offiziellen chinesischen Darstellungen divergierenden Zahlen der Todesopfer. Wales fragt sich, ob die chinesische Regierung in der Lage ist, zu unterscheiden, ob ein Bericht eine Seite bevorzugt oder ob er lediglich die Kontroverse darstellt. Die Wikipedia erfülle den Anspruch an eine Enzyklopädie, beide Seiten zu zeigen.

Jimmy Wales plant ein Treffen mit chinesischen Vertretern, um die Aufhebung der Blockade zu erreichen. Als ein Argument wolle er vorbringen, dass den Chinesen nicht nur Inhalte über die Bewegung Falun Gong und anderes, der Regierung Unerwünschtes vorenthalten werden, sondern dass sie auch keine Gelegenheit haben, sich selbst in der Wikipedia darzustellen.

Der Observer weist bei dieser Gelegenheit auf die Kampagne Irrepressible.info von Amnesty International hin, an der sich auch die Tageszeitung beteiligt. Sie zählt mittlerweile über 38.000 Unterstützer. Auf der Kampagnen-Website sollen Nutzer ab nächste Woche Zugriff auf zensierte Inhalte bekommen oder selbst welche einstellen können.

Derweil hat die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen Bundeskanzlerin Angela Merkel aufgefordert, sich bei ihrem Treffen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao für Presse- und Meinungsfreiheit in China einzusetzen. "Die deutschen Politiker dürfen sich nicht auf Wens Forderung einlassen, Handel und Menschenrechte voneinander zu trennen" sagte die Geschäftsführerin der Journalistenvereinigung, Elke Schäfter, heute in Berlin. Politik und Wirtschaft müssten die Wahrung der Menschenrechte zur Bedingung ihrer Beziehungen mit China machen. Meinungs- und Informationsfreiheit seien elementares Menschenrecht und unabdingbare Voraussetzung für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

China hatte erst vor wenigen Tagen die Zensur verschärft. Ausländische Nachrichten müssen von der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua als oberster Kontrollinstanz genehmigt werden. Die Zensur verbietet Informationen, die nach Einschätzung der chinesischen Behörden die "wirtschaftliche und soziale Ordnung stören" oder "die soziale Stabilität gefährden" könnten. Wen Jiabao ist an diesem Mittwoch und Donnerstag zu Besuch in Deutschland. In Hamburg nimmt er an dem Wirtschaftsgipfel "China Time 2006" teil.

Siehe zum Thema auch: (anw)