EU-weiter Stromausfall: Der Luxus-Liner war Schuld - oder doch der Wind?
Der DĂĽsseldorfer Energieversorger E.ON hat die Verantwortung fĂĽr den europaweiten Stromausfall am Samstagabend ĂĽbernommen. Die eigentlichen HintergrĂĽnde liegen aber immer noch im Dunkeln.
Nach dem europaweiten Stromausfall am Samstagabend hat der Energiekonzern E.ON inzwischen die Verantwortung übernommen. E.ON-Energie-Vorstand Klaus-Dieter Maubach erklärte am heutigen Montag im Fernsehen, Ursache der Versorgungsstörung, von der mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland, Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich, Italien, Spanien, Portugal und selbst Marokko betroffen waren, sei das Abschalten einer Hochspannungsleitung im Emsland gewesen. Mit der temporären Außerbetriebnahme der Leitung hätten sich die Belastungen auf andere Leitungen verteilt, was später zu Überlastungen geführt habe.
Grund für das Abschalten der Starkstromleitung über der Ems war die geplante Durchfahrt des Luxus-Liners "Norwegian Pearl". Das größte jemals in Deutschland gebaute Kreuzfahrtschiff sollte von der Papenburger Meyer-Werft in Richtung Nordsee überführt werden und kommt mit seinen insgesamt 15 Decks der 380.000-Volt-Leitung gefährlich nahe. Die Störungen traten nach Angaben des Sprechers von E.ON Netz, Christian Schneller, aber erst eine halbe Stunde nach der Abschaltung auf. Vermutet wird deshalb, dass ein fehlerhaftes Last-Management bei der Einspeisung von Strom aus Windkraft im Nordosten Deutschlands die Störungen entscheidend mit verursacht haben könnte.
Das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium hatte am Wochenende mitgeteilt, am Sonnabend habe es eine erhöhte Einspeisung von Windkraft-Strom gegeben, im Gegenzug sei vermutlich die übrige Strommenge nicht ausreichend reduziert worden. Der Bundesverband Windenergie wies jedoch Vorwürfe zurück, schuld am Stromausfall zu sein. Am Samstag seien lediglich 30 Prozent der maximalen Kapazität geliefert worden. Die gelieferte Strommenge habe dem entsprochen, was aufgrund von Wetterprognosen zu erwarten gewesen sei.
Der jüngste "Mega-Blackout made in Germany" wirft unterdessen erneut ein schlechtes Licht auf die Stromversorger hierzulande. "Das Stromnetz ist marode, weil zu wenig investiert wird", erklärte der Vorsitzende des Bundes der Energieverbraucher, Aribert Peters. "Wir fallen auf den Stand eines Entwicklungslandes zurück, wenn wir so weitermachen." Stromausfälle würden sich künftig häufen, wenn alles beim Alten bleibe. "Wir brauchen unbedingt eine unabhängige technische Überwachung des Stromnetzes – es kann nicht sein, dass die sich selbst kontrollieren", forderte Peters.
Nach Ansicht von Christoph Maurer, Oberingenieur am Aachener TH-Institut für elektrische Anlagen und Energiewirtschaft, sind die Unsicherheiten für den Netzbetrieb insbesondere durch den Stromhandel gestiegen. Aber auch die Einspeisung von Windenergie erhöht die Unsicherheiten – bei der Erzeugung von Strom aus Wind gibt es unvorhersehbare, schnell wechselnde Lastflüsse, zudem tritt eine hohe Konzentration von Stromeinspeisung in einem räumlich eng begrenzten Gebiet auf. Maurer geht davon aus, dass die Klärung der Ursachen für den Stromausfall noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Fakt sei aber, dass sich das europaweit zusammengeschlossene Netz von E.ON in drei separate Bereiche aufgetrennt habe. Normalerweise würden in dem synchron betriebenen europäischen Verbund Last und Erzeugung ausgeglichen. Nach der Aufspaltung in drei "Inseln" habe im Westen ein Erzeugungsmangel geherrscht. Vorschriftsmäßig habe ein sogenannter automatischer "Lastabwurf" eingesetzt, also die Abschaltung von Stromabnehmern.
Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) verlangte von E.ON eine "rückhaltlose Aufklärung des Vorfalls und seiner Ursachen". Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) drängte die deutschen Konzerne zu einem forcierten Ausbau der Netze. E.ON, mit einem Umsatz von 56 Milliarden Euro größter privater Strom- und Gasversorger in Europa, erklärte, in den kommenden Jahren etwa 2,8 Milliarden Euro in die Verbesserung und den Ausbau des Stromnetzes in Deutschland zu stecken. Neue Herausforderungen entstünden beispielsweise durch die Einspeisung von Windkraftstrom. Die nächste Aufgabe muss E.ON schon heute Abend bewältigen: Dann nämlich soll die "Norwegian Pearl" die Meyer-Werft tatsächlich Richtung Nordsee verlassen. Der erste Auslauf-Versuch war nach Bekanntwerden der Probleme mit der Stromversorgung abgebrochen worden.
Siehe dazu auch:
Zum deutschen Stromnetz und notwendigen Erneuerungen siehe auch in Technology Review 9/2006: (pmz)