Bundestagsgutachten sieht Chancen fĂĽr "Killerspiele-Verbot"
Es gebe keine grundsätzlichen Bedenken gegen ein Verbot brutaler Computerspiele, das mit einer Zugriffsbeschränkung für Internetseiten mit entsprechenden Inhalten zu koppeln sei. Derweil geht der aktuelle Streit um die so genannten "Killerspiele" weiter.
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Laut einem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags gibt es keine grundsätzlichen Bedenken gegen ein Verbot brutaler Computerspiele. "Der Bundesgesetzgeber ist generell nicht gehindert, ein Einfuhr-, Verkauf-, Vermiet- und Verleihverbot für 'Killerspiele' zu erlassen", zitiert die Netzeitung aus der Expertenanalyse. Demnach würde eine solche Regelung "per se" nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Machbar halten die Autoren der Studie ein Verbot, wenn dessen Grenzen deutlich abgesteckt werden. "Der Begriff des 'Killerspiels' ist vom Gesetzgeber klar zu definieren, um dem Bestimmtheitsgrundsatz zu genügen", heißt es in dem Papier. Darüber hinaus sei "im Hinblick auf die Berufsfreiheit der Hersteller und Händler dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Beachtung zu schenken".
Ein Verbot so genannter Killerspiele fordern nach dem Amoklauf eines 18-Jährigen in Emsdetten momentan vor allem Politiker aus der CDU und CSU. Aus den Reihen von FDP, Grünen und Linkspartei werden genauso Bedenken laut wie aus Wissenschaft und Wirtschaft. Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann hat mittlerweile von Ministerpräsident Christian Wulff Rückendeckung für eine neue Bundesratsinitiative zur Verbesserung des Jugendschutzes im Spielebereich erhalten. Sein bayerischer Kollege Günther Beckstein drängt gleichzeitig auf eine "schnelle politische Entscheidung". Eine rechtlich wasserdichte Definition von "Killerspielen" kann nach Ansicht des CSU-Politikers bei "gutem Willen" in vier Wochen erreicht werden.
Beckstein zeigte sich tief betroffen vom Ausmaß der Gewaltdarstellungen in einzelnen Computerspielen, die er selbst gesehen habe: "Da graust's einem Erwachsenen, das geht einem tagelang nach." Zumindest der Jugendschutz müsse Vorrang haben vor dem Gewinnstreben von Herstellern. Es gebe kein Recht darauf, Menschen zu verderben, wehrte sich Beckstein gegen eine besondere Berücksichtigung wirtschaftlicher Tätigkeitsausübungen. Auch den Einwand, im weltweiten Internet könne man die Verbreitung solcher Spiele nicht wirksam untersagen, ließ er nicht gelten: Beim Kampf gegen die – allerdings international geächtete – Kinderpornografie habe man gezeigt, dass die "Cyberpolizei" das Problem massiv zurückdrängen könne.
Auch das Bundestagsgutachten hat sich über die Effizienz eines deutschen Alleingangs Gedanken gemacht. Um die grundsätzliche Eignung einer Verbotsregelung zu untermauern, schlägt es vor, "auch eine Regelung zur Zugriffsbeschränkung für Internetseiten mit entsprechenden Inhalten zu erlassen" und trotz jahrelanger Debatten über Sinn und Grundrechtsverträglichkeit von Zwangsfiltern über derartige Methoden neu nachzudenken. Aufgegriffen hat die Fraktionsvize der Union im Bundestag, Katherina Reiche, laut einem Bericht des Senders N24 diesen Hinweis teilweise mit ihrem Vorschlag, dass Provider Netzinhalte vorauseilend überwachen und verdächtige Inhalte anzeigen sollten: Sie finde es an der Zeit, "die Internet-Anbieter zu verpflichten, bei bestimmten Stichworten die zuständigen Behörden zu informieren".
Kritisch beurteilen die Gutachter des Parlaments die Tätigkeit der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Die Spielehersteller seien nicht ausdrücklich verpflichtet, ihre Produkte von der USK auf ihre Alterstauglichkeit hin überprüfen zu lassen, monieren sie. Ohne eine Kennzeichnungspflicht sei jedoch die Kontrolle äußerst erschwert, welche Spiele überhaupt vermarktet würden. Generell dürfte ein Eingriff in das Elternrecht, bestimmte mediale Inhalte zu verbieten und damit ein Stück der medialen Erziehungskompetenz der Eltern zu beschneiden, "nach Abwägung mit dem staatlichen Schutzauftrag im Bereich des Jugendschutzes im Ergebnis als zulässig zu bewerten sein".
Wirksame Schritte gegen die "Medienverwahrlosung" von Jugendlichen wünscht sich auch der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst. "Killerspiele" fördern nach Ansicht des Seelsorgers, der zugleich Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz ist, aggressives Verhalten und müssten strengeren Kontrollen unterzogen werden. Fürst beklagte, dass die Bewertung der USK trotz ihrer staatlichen Beaufsichtigung zur Werbung für gewalttätige Computerspiele verkomme.
Die USK prüfe "extrem gut und richtig", erklärte dagegen Jörg Müller-Lietzkow, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Jena. Außerdem werde die Verbreitung so genannter Ego-Shooter grundsätzlich überschätzt. Solche Spiele mit den Altersfreigaben 16 und 18 Jahren würden nur fünf Prozent von rund 56 Millionen verkauften Spielen im Jahr ausmachen. Am beliebtesten seien immer noch Strategiespiele. Seit Jahren drehe sich zudem die Wirkungsforschung mehr oder weniger im Kreis und könne daher nicht für eine Verbotsforderung herangezogen werden: "Auf die Gewaltfrage verdichtet gibt es weltweit nur rund 50 relevante Studien", sagt der Medienforscher. "Langfristig konnte noch keine Steigerung der Aggressivität nachgewiesen werden."
Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) wies darauf hin, dass der Täter von Emsdetten sich offensichtlich in einer für ihn aussichtslosen Situation befunden habe. Dem Abschiedsbrief sei zu entnehmen, dass er in erster Linie die Schule und das soziale Umfeld für seinen verlorenen Lebensmut verantwortlich mache. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Konsum gewalthaltiger Medien und der Tat sei bislang nicht erkennbar. Versagt hätten die sozialstaatlichen Mechanismen zur gesellschaftlichen Orientierungsvermittlung. Gleichzeitig weist der BIU darauf hin, dass die Alterskennzeichnung von Spielen mit durch die Obersten Landesjugendbehörden erfolge. Von diesen über die USK nicht gekennzeichnete Spiele könnten jederzeit von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert werden. Deutschland verfüge damit über das engmaschigste Netz im Jugendmedienschutz. Ein generelles Verbot von Spielen für Erwachsene käme einer Zensur gleich, die angesichts der vielfältigen staatlichen Mechanismen nicht gerechtfertigt sei.
Skeptisch äußerte sich auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW): "Computerspiele wie 'Counterstrike' sind verabscheuungswürdig. Aber wer glaubt, mit einem Verbot alle Probleme lösen zu können, liegt falsch", sagte der GEW-Vorsitzende Ulrich Thöne der Berliner Zeitung. Er kritisierte die geringe Zahl von Psychologen an Schulen. Auch der Berliner Innensenator Ehrhart Körting macht sich für eine Stärkung der Selbstkontrolle in der Computerspielbranche und in den Medien stark. Das sollte nicht nur so genannte Killerspiele, sondern auch Gewalt verherrlichende Filme einschließen, sagte der SPD-Politiker der dpa. Eine gesetzliche Regelung könne das Problem vielleicht in Deutschland lösen. Aber so lange auch "graue Importe" aus anderen Staaten zu bekommen seien, komme man mit Verboten nicht weit. Der nordrhein-westfälische Familienminister Armin Laschet (CDU) wandte sich ebenfalls erneut gegen weitere gesetzliche Einschränkungen der Spielenutzung.
Siehe zu dem Thema auch:
- Kritik an "naiver Scheindebatte" um das Verbot von "Killerspielen"
- Niedersachsens Innenminister startet Bundesratsinitiative gegen "Killerspiele"
- Neue Forderungen nach Verbot von "Killerspielen"
- "Ich hasse es, überflüssig zu sein": die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen - einmal wieder wird die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht; Artikel in Telepolis
- "Ich will R.A.C.H.E": der vollständige Abschiedsbrief, den Bastian B. im Internet hinterlassen hat, bevor er auf seinen suizidalen Rachefeldzug in seiner Schule in Emsdetten zog; Artikel in Telepolis