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Was war. Was wird.

Sind wir dümmer als der Dodo? Ist die IT-Höhle von Ctulhu am Ende? Gehört Iggy Pop zu den No Angels? Ach, Fragen, die eine nur mühsam grün übertünchte CeBIT aufwirft, sind eh nicht zu beantworten, seufzt Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Leise weinend schreibe ich ein paar nächtliche Zeilen, während meine heißen Tränen auf das Thinkpad tropfen. Was einem Thinkpad natürlich nichts ausmacht, das schon Pferde auf Laptops kotzen gesehen hat. Die KlimaBIT in Hannover hatte gerade Halbzeit und das heißeste Gerücht der Branche ist raus: Halle 1 muss sterben, nur die Serengeti lebt weiter. Halle 1, 1984 als weltgrößte Messehalle gefeiert, ist ein Monstrum, ist schlicht die architektonische Verkörperung des ganzen IT-Wahnsinns. Unten fahren Autos rum und parken wie die Bits und Bytes in meinem Laptop. Darüber liegt das Mezzanin, in dem die Messejobber irgendwelche Sachen für das User Interface bereitstellen. Und ganz oben auf dem Dach stehen die "Trelements" herum, Wellblechhütten, in denen die Manager geschäftig managen. Von all dem sieht der gemeine Messebesucher der KlimaBIT herzlich wenig, denn er verliert in der Halle mit idiotischen Standangaben wie 4g5/4f4/ die Orientierung: ein gutes User Interface bringt den Besuser um den Verstand.

*** Nun soll diese vortreffliche Parabel auf den Irrsinn der IT geschrottet werden? Meine heißen Tränen usw. usf.: Das ist wohl nur in Hannover möglich, der Stadt, in der die Nanas jahrelang einen schweren Stand hatten. Aber so ist es: In jedem Hannoveraner steckt ein kleiner Haarmann. Kurz nach dem 70. Todestag von Lovecraft dürfen wir nicht vergessen, dass Halle 1 auch als die Halle von Ctulhu firmierte, ganz im Gegensatz zur "Hölle 17", der "Buromaschinenhalle" mit ihren laut tösenden Druckern. Laut tösende Drucker? Heute vor 157 Jahren erschien der scharlachrote Buchstabe von Nathaniel Hathorne in einer Auflage von 2500 Exemplaren und verkaufte sich innerhalb von 10 Tagen. Der erste Bestseller der Welt wurde zum Tort für die Buchmacher, die ab dem 16. März Sonderschichten fahren mussten.

*** Dabei hat die KlimaBIT nichts mehr mit der CeBIT zu tun, einer Messe für USB-Sticks, Navigationssysteme und "Business Process Intelligence". Das ist, wenn man eigene und fremde Visitenkarten immer auseinander halten kann, egal, wie viel Alkohol im Träger des Jacketts gluckert. Warum es überhaupt eine kleine, feine KlimaBIT ist, die die olle CeBIT vergessen lässt, das zeigen die grünen Mainboards, bei denen die schwarze Angela verweilt. Oder wie wäre es mit diesem urschreiartigen Jubel: "Gruen Licht, geschafft unend Funktion Wartenden!" Jawohl, die grünste und netteste Firma der KlimaBIT 2007 heißt Hengij Weije, auf englisch Hi-Tech Wealth, die ein Mobiltelefon präsentiert, dessen Rückseite mit Solarzellen beschichtet ist. 40 Minuten in der Sonne reichen für 20 Minuten Telefonieren. 40 Minuten in der Sonne waren für den Übersetzer der Einladung zur Pressekonferenz einfach zu viel: "Wenn Sie das geraet, was Sie nicht vepassen dürfen, mal frueher probieren willen, und dann warum nehmen Sie nicht schneller an die Ausgabe Sitzung von dem erst Licht Energy Mobiltelefon im Welt von Hengij Weiye teil? Wir fwarten auf Ihren Präsentiert!"

*** Natürlich ist mein Chinesisch schlechter als dieses Deutsch, aber dafür bin ich Journalist geworden, nicht Übersetzer. Im Journalismus reicht es, die Muttersprache nicht zu können und Zwischentöne zu überhören. Wenn Hengij Weije den wirklich gekonnten Firmenslogan "hochtechnologie macht mehren Spass" verbreitet, dann tröpfeln meine heißen Tränen nur noch und ich kann eine bissige Bemerkung über Schweißflecken des Bosses nonchalant überhören. Etwa auf der netten KlimaBIT-Präsentation des Telepresence-Systems, das T-Systems als Cisco-Partner in Deutschland installiert. Schlappe 300.000 Euro und eine Standleitung mit 15,5 MBit/s reichen, um solch einen Schweißfleck klimaneutral vermitteln zu können. Ein wahrlich eindrucksvolles System, das das Anliegen der KlimaBIT würdig repräsentiert. Niemand muss mehr zu den Meetings fliegen. Besser ist nur noch, einen Avatar auf Second Life zur Konferenz zu schicken. Dort, wo zukünftig die CeBIT stattfindet, verhandelt dann der rothaarige Cheerleader-Teen im kurzen Röckchen mit einem rolligen Krokodil.

*** Habe ich eigentlich schon einmal die norddeutsche Tiefebene erwähnt, in der das Leben seinen Gang geht? Diese Ebene wird bekanntlich geflutet, wenn die KlimaBIT nicht einschlägt. Grüne Mainboards braucht das Land, Server-Racks, die von dem Wind befüttert werden, der durch die norddeutsche Tiefebene braust wie ein niedersächsischer Innenminister durch unsere Universitäten, immer bereit, ein verdächtiges islamistisches Element in der Buchausleihe zu extrapolieren. Aus grünem Grunde ist der Verkauf von Eintrittskarten zum Schleuderpreis eine landrettende Maßnahme. Denn jeder Besucher der KlimaBIT bekommt zumindest eine Ahnung, warum Standby-Geräte strunzdumm sind und stromfressende Klingeltöne verdammt werden müssen. Warum ein sehr erfolgreicher Konzern wie IBM dringend die Aufstockung staatlicher Förderungsmittel fordern kann, wenn seine Blades den Strom regelrecht durchpusten. Ob man dann noch den fünffachen Teil mit eigenen Mitteln bezahlen will, steht freilich noch aus. Und während bäumepflanzende PC-Hersteller und CO2-Ausgleich suchende IT-Firmen rumtrompeten, die Branche habe sich schon immer um ökologisches Bewusstsein bemüht, vergessen sie doch immer noch, einen schlichten, echten Ausschalter in ihre Geräte einzubauen. Nicht wahr, da gibt man dann doch gerne staatliche Fördermittel an eine Branche, die noch dümmer als der Dodo ist, dessen Aussterben eh keiner so recht mitbekommen hat – der Dodo aber war wenigstens nicht selbst Schuld am eigenen Ende.

*** Im Tierreich angekommen, ist es wirklich peinlich, einen Rechtsanwalt namens Joachim Steinhöfel und ein Schwein in ein und demselben Satz erwähnen zu müssen. Das haben die Borstenviecher nicht verdient. Wie Horst Stern im deutschen Aufklärungsfernsehen nachwies, ist das Schwein an sich ein ganz besonders empfindliches Tier. Zur saugeilen Werbung einer bekannten Marktkette gesellt sich darum die schlichte Erkenntnis, dass Meinungsfreiheit dem Anwalt der Schweinemissbraucher zufolge heute genau 40.000 Euro wert ist. Und weil Geiz ja schweinegeil sein soll, erspare ich uns heute viele Links, indem ich auf ein bemerkenswertes Motiv (PDF-Datei) für eine Werbeanzeige verlinke, die dokumentiert, was bei deutschen Anwälten los ist: Wer im Grab rotiert, wird herausgeholt und verurteilt, weil die gesetzlich definierte Rotationsgeschwindigkeit überschritten wurde. Vertrauen ist gut. Anwalt ist saugeil.

*** Ich gebe zu, ich habe es mit der Geschichte. Der Blick zurück enthält überraschend viele Momente, bei denen Käufer in einem bestimmten Elektronikmarkt nur noch "ich bin blöd, ich kaufe sowieso jeden erdenklichen stromfressenden Mist" posaunen können. Vor 25 Jahren erschien der Berliner Appell, mit dem die Friedensbewegung in der DDR auf Konfrontation zum Staate ging. Später kamen dann blühende, entvölkerte Landschaften, ein klimaBITtiges Biotop.

Was wird.

Was kann es nach so einer fulminanten KlimaBIT noch geben? Kann Sigmar "Siggy Pop" Gabriel die ökologische Leistungsschau an der Leine mit einer Liste toter Tierchen toppen? Wird er die Spezies der verblichenen Sozialdemokraten in seine Liste aufnehmen? Und wie berechnet man eigentlich die durch den Tierschwund bedingten Schäden ohne Computer?

Aber was soll man noch neue Antworten finden, in Zeiten, in denen selbst Iggy Pop und die Stooges ihre alten Knochen wieder auf die Bühne schwingen. Und während die KlimaBIT ihrem Ende zugeht, dreht die Brainshare richtig auf. Im Mormonenland soll es nach einer Ankündigung von Bruce Perens kräftig auf Novells Parade regnen, weil das Abkommen zwischen Novell und Microsoft wider alle Open Source ist. Wobei die Freunde der Open Source ein kleines mormonisches Wunder feiern können, wie Groklaw berichtet: Ganze 326 Codezeilen sind offenbar von den Codebergen übrig geblieben, die von Darl McBride und seinen MIT-Experten vor vier Jahren als gestohlen gemeldet wurden. 326 copyrightfreie Zeilen, die nicht einmal von IBM nach Linux transferiert wurden – am Ende der zähen Beweisaufnahme steht SCO im Regen, juristisch wie klimatechnisch. (Hal Faber) /

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