Was war. Was wird.
Paranoia? Welche Paranoia? Wenn sich wahre Sozialdemokraten offenbaren und von der CSU links ĂĽberholt werden, hat die Paranoia vor der Paranoia ausgedient, meint Hal Faber, dem die seinige nicht nur musikalisch lieb und teuer ist.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** Bundesumweltminister 'Siggy Pop' Gabriel ist ein gern gesehener Gast in diese Wochenschau, denn er ist ein Wiederholungstäter. So will Gabriel nicht nur seinen Patenbär Knut wieder besuchen, weil es toll sein soll, den kleinen Eisbären aufwachsen zu sehen. Nein, er legt auch gegen das Urteil des Hamburger Gerichtes über die "Ich will auch zu den Nutten, Herr Hartz"-Satire Berufung ein. Es hat ja Tradition in der Sozialdemokratie, dass Genossen hart gegen Genossen sind. Schließlich und endlich ist die SPD nicht erst seit dem Alptraumduo Hartz/Schröder die erklärte Partei der bürgerlichen Mitte, aus der gestählt in dreißig Jahren die Kampftruppe entsteht, die endlich die verdammte Revolution machen wird. Da will Gabriel als roter Großvater mit seinem Kampfbären an vorderster Front dabei sein oder mindestens erzählen, wie alles begonnen hat, damals, als er sich tapfer der übermächtigen Blogosphäre, diesem Prekariat 2.0 in den Weg stellte. So also sieht konsequentes sozialdemokratisches Verhalten aus, verbunden mit der Hoffnung, dass auch für Gabriel die Presse-Nutzungsvereinbarungen gelten, die seinen Knut schützen. Wie heißt es noch so schön im verlinkten Text? Knut ist doof und stinkt und wird in einem Jahr wie sein Pate sein?
*** Die andauernde Passbild- und Fingerabdruckdebatte über Daten, die in den Meldeämtern digital vor sich her gammeln, statt ordentlich den Untertan zum allzeit identifizierbaren Staatsfeind zu stempeln, hat Nebenwirkungen. Spekuliert wird über die Traumata des Wolfgang Schäuble, dem Angstminister dieser Republik. Die Beharrlichkeit, mit der die Exekutive die Judikative plätten will, zeigt klar, wohin die Reise geht: Wir bekommen einen hochmodernen digital agierenden Staat, inklusive Stasi 2.0.
*** Stellenweise leben wir schon in diesem Murks-Staat – in dem CSU-Granden so manchen gestandenen Sozialdemokraten links zu überholen scheinen –, wenn man Pressemeldungen wie diese über einen angeblichen deutsch-arabischen Livestream liest, die die Firma Pan Amp veröffentlichte. Die Firma, auch bekannt als Spieletester für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, fordert das BKA auf, einer in Deutschland aktiven Zelle das Handwerk zu legen. Ich kann die Stimme des Kalifaten nicht hören, aber die Stimme von Pan Amp klingt schrill genug. Was wird erst passieren, wenn diese Truppe auf ebenso felsenfeste die afghanische Sexwebcams stößt, die den Untergang des Abendlandes herbeistöhnen? Mindestens die Forderung nach einem "robusten Blauhelmeinsatz" deutscher Militärs dürfte vom Ausschläger Elbedeich kommen.
*** Robuster Einsatz ist eine deutsche Tugend, ganz rosenklar. Und ganz nebenbei wäre die "Deep-Internet-Recherche" der Hamburger Apokalyptiker wirklich etwas etwas für die aktuelle Debatte um Herrn Oettinger und seiner einfachen Textübernahme von der Homepage des furchtbaren Militärrichters Hans Filbinger. Alles nur Cut&Paste? Aber bitte komplett mit dem furchtbaren Blog-Geschwurbel wie Es gab damals keine Alternative zur Einbindung auch kompromittierter Kräfte in den demokratischen Aufbau. Genau diese Haltung gegenüber den Nazis hat die furchtbaren Taten der RAF ausgelöst.
*** Ich muss an dieser Stelle innehalten und gegen die Filbinger-Drücklinge an Männer wie Josef Mattauch oder Rudolf Fleischmann erinnern. Am 12. April vor 50 Jahren veröffentlichten sie die Göttinger Erklärung und gingen als "Göttinger Achtzehn" ausdrücklich auf die deutsche Geschichte der Göttinger Sieben ein. Dass öffentlich mehr über Krummschwaben wie Oettinger und Filbinger diskutiert wird, statt über aufrechte Wissenschaftler, zeigt den geistigen Zustand dieser Republik. Aus der Göttinger Kantate von Günther Weisenborn:
Die Göttinger Gelehrten hielten Rat und sie erklärten jede Mitarbeit an einer Bombe zu verweigern. Das ist nicht nur ein Manifest, das ist die Tat.
*** Ach, hey, wir sind im Krieg? Das ist doch lustig! Das wird ein Mordsspaß! Da wird mir wikipedianisch ganz schwurbelig zumute, wenn ich die verschiedenen Darstellungen vergleiche. Vor 25 Jahren lehnten am 12. April 1982 die argentinischen Diktatoren jede weitere Diskussion ihrer Besetzung der Falkland-Inseln ab. Was folgte, wird heute als Kraftakt zugunsten von Demokratie und Selbstbestimmungsrecht gefeiert. Etwas schlichter gesehen machte der Krieg das kipplige Tatcher-Regime unangreifbar, obwohl er eigentlich die argentinische Despotie retten sollte. Informationstechnisch war der Falkland-Krieg dann ein absolutes Desaster und führte dann zur NATO-Doktrin von der Informationsüberlegenheit – mit der man dann im Kosovo kläglich scheiterte. Und dann war da noch das echte deutsche Boot für echte Helden. Aber Feuerland ist abgebrannt. Über 400 argentinische Kriegsteilnehmer begingen Selbstmord.
*** Musik, Musik, Musik, vermissten letztens die treuen Dauergäste dieser kleinen Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene. Wie wäre es denn da mit der von Brian Eno produzierten Falkland Suite? Nichts gegen Eno, der auch nur just another day on earth verlebt, aber da hat der Wochenrückblick wahrhaftig besseres zu bieten, nämlich den reversierenden Gonzo-Journalismus der Netzeitung. Wer dieses Interview gelesen hat, wird sich freuen, dass es noch richtige Journalistinnen gibt und nicht nur die immer wesser bessernden Blogger. Vor vielen Jahren kippte mir ein Interview mit Peter Gabriel in ähnlicher Manier, nur wollte das niemand drucken – genau, Finger weg von meiner Paranoia, wer postmodern und dekonstruktivistisch bestens geschulte Frager so ins Leere laufen lässt, braucht sich auch vor Brian Eno und Peter Gabriel (den wir endlich mal wieder in dieser kleinen Stadt in der norddeutschen Tiefebene open air begrüßen dürfen) nicht zu verstecken. Man muss ja nicht gleich mit der Straßenbahn des Todes den Mittelpunkt der Welt in Delmenhorst suchen: Es reicht ein bisschen Blaulicht und Zwielicht von Element of Crime, um all den nervtötenden Kuschel-Punk von Bands wie "Wir sind Helden", "Juli" oder "Silbermond" endgültig beim Edeka des Grauens als Leergut abzugeben.
Was wird.
Oh Wanderer, der du nach Hannover kommst und alles öde findest: Die Städter liegen draußen an der Leine in der Sonne und kippen ihr Lindener hinter die Binde. An den Maschteichen tun sie das, was in Brandenburg verboten ist. In den Weiten des Internet gibt es eine hübsche Üstra-Karte mit einem Pärchen, das an allen Haltestellen gegen das neue brandenburgisches Recht verstößt, mit Höhepunkt unter der Lister Meile, in der Gegend, wo die meisten Redakteure des Verlages wohnen, der diese kleine Wochenschau finanziert.
Aber Wanderer, du bist ja wegen der Hannover Messe hier, von der es etwas zu berichten gibt. Etwa über Energieeffizienz und Digital Mobile Radio, dem neuen digitalen Funkstandard für Taxen und Putzkolonnen, der unter beknackten Namen wie Mototrbo prsntrt wrd. Inmitten der Vorratsdatenspeicherer, der Bundestrojaner-Bauer und der Debattierer um Maut- und Meldeämter-Daten denkt niemand an den Widerspruch, dass die eigentliche Kraft, die uns schützen soll, "Polizei" genannt wird. Sie kämpft mehr mit einem uralten, abhörbaren Funksystem als mit den Terroristen und sogenannten Islamisten. Die Installation einer neuen Behörde zeigt deutlich, was ein verbitterter alter Mann in seinem Rollstuhl plant. Die innerstaatliche Feinderklärung richtet sich gegen jeden von uns.
Ach Wanderer, der du nach Hannover gehst, berichte doch, dass 300 oder doch einige mehr die Stasi 2.0 ablehnten, damals, im sonnigen Frühling 07. Wie überhaupt 300 schwer angesagt ist, ganz ohne Euler ... Da feiern wir hier in Hannover – und, Wanderer, solltest du verweilen wollen, sei herzlich eingeladen – heute dann auch gleich noch den 175. Geburtstag eines der größten Satiriker, Zyniker und Pessimisten, den Deutschland hervorbrachte. (Hal Faber) / (jk)